Ich sah den Schnee hinter mir, sah mich hektisch um, stolperte über meine eigenen Füße, fing mich wieder, lenkte meinen Blick nach vorne und auf meine Füße, die mich wie in Trance langsam vorwärtstrieben. Das Board ließ ich einfach im Schnee liegen, ich warf ihm einen letzten Blick zu, bevor ich mich vollständig aufs Rennen konzentrierte. Ich hatte das Board vor fünf Jahren von meiner Oma geschenkt bekommen, vorher hatte es meinem verstorbenem Opa gehört. Ich verwarf die Gedanken daran.
Die ganze Erde schien zu vibrieren und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie in den nächsten Sekunden entzweigebrochen wäre.
Der Schnee hinter mir jagte mich und erst in diesem Moment erkannte ich die eigentliche Gefahr, die das Ganze für mich bedeutete. Der Schnee war eiskaltes Wasser und in so einer Menge für mich sogar tödlich. Ich begann zu zittern, meine Beine wurden zu Pudding und ich riss die Augen so weit auf, dass es weh tat. Ich geriet in Panik, mein Blick glitt nochmal durch das Schneechaos hinter mir. Ein Blick zurück könnte schon tödlich sein. Dieser Satz schoss mir sofort durch den Kopf. Ein Satz, der auf dem Notizbuch meines Opas stand, nach dem ich mal heimlich gesucht hatte. Sofort riss ich meinen Kopf herum und schrie innerlich laut auf. Was sich da vor mir auftat, war ein großer Stein, der einfach so auf der Piste aufgetaucht war. Ohne zu überlegen, beschleunigte ich mein Tempo und schmiss mich schließlich mit letzter Kraft hinter den Stein. Dass ich dabei mit meiner Schulter gegen das harte Gestein knallte, ignorierte ich. Ich quetschte mich so eng wie nur möglich an mein Schutzschild und umschlang meine Beine mit den Armen. Wenig später spürte ich auch schon den kalten Wind, der mich immer enger zu umhüllen versuchte.
Ängstlich kniff ich die Augen zusammen und versuchte irgendwie an etwas Schönes zu denken. An dem Versuch scheiterte ich allerdings kläglich. Ich spürte, wie der Schnee meine Jacke berührte und versuchte ihn gedanklich dazu zu bringen, sich von mir fernzuhalten. Das Vibrieren wurde immer stärker und erst später bemerkte ich, dass es nicht die Umgebung war, die vibrierte, sondern ich selbst.
Ganz langsam öffnete ich die Augen und erblickte einen kleinen Strahl helles Licht. Viel zu helles Licht. Der Schnee schnitt mich regelrecht von der Außenwelt ab. Mit ein paar heftigen Atemzügen versuchte ich mein Zittern wieder in den Griff zu bekommen. Der Schnee hatte mittlerweile aufgehört rumzubrüllen und das Schneechaos legte sich langsam wieder. Dafür wurde mein inneres Chaos umso größer und lauter. Mit den Händen verdeckte ich meine Augen, atmete ein paar Mal tief durch und brachte damit den Schneesturm in meinem Kopf zum Stillstand. Mit den Füßen schubste ich den Schnee beiseite, der mir den Ausgang versperrte, wohl bedacht diesen dabei nur mit den Schuhen zu berühren. Unsicher bahnte ich mir einen Weg aus meinem Versteck und tauchte langsam wieder an der Oberfläche auf.
Meine Augen scannten einmal die Umgebung und erlitten einen kleinen Schock. Von der schönen glatten Piste war nichts mehr übrig. Nur noch ein riesiger Haufen aufgewirbelter Schnee, der irgendwie zum Liegen gekommen war. Meine Füße sanken bei jedem Schritt ein wenig ein. Das riesige Geröll aus Schnee unter mir schien mich regelrecht auffressen zu wollen, mich in sich saugen und nie wieder frei lassen. Aus Reflex stolperte ich ein paar Meter rückwärts. Erneute Panik machte sich in mir breit, mein Herz begann bedrohlich schnell zu schlagen und mein Atem setzte für ein paar Sekunden aus, bevor ich ihren Namen rufen konnte.
„Zoe?" Keine Antwort.
„Zoe!" Wieder keine Antwort.
„Zoe man!" Und wieder bekam ich keine Antwort. Ich fiel auf die Knie und es war mir egal, wenn sich etwas von dem kalten Wasser den Weg durch meine Hose bahnte. Zoe war weg, von dem Schnee verschluckt. Sie lag da unten, ich konnte sie sehen, dort unten in der Dunkelheit mit geschlossenen Augen. Ich spürte Tränen in mir aufkommen und machte mir nicht die Mühe, sie zu unterdrücken. Ich hätte sie früher warnen müssen, ich hätte die Gefahr früher erkennen müssen. Ich kannte mich hier schließlich am besten aus. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und zuckte sofort zurück, als ich mit meinen Handschuhen meinen Augen, die nicht geschützt waren, bedrohlich nah kam. Verzweifelt boxte ich einmal in den Schnee, nur um es kurz darauf schon wieder zu bereuen. Mit verheulten Augen schaute ich mich noch einmal um.
„Hallo? Hilfe!", schrie ich, obwohl ich eigentlich schon wusste, dass mir niemand antworten würde. Mit zittrigen Händen kramte ich mein Handy aus der Jackentasche, doch auch nach zehnmal Drücken blieb der Bildschirm schwarz, rabenschwarz.
„So ein Mist!" Fluchend brachte ich meine zitternden Beine dazu, sich aufzustellen. Mit hektischem Blick scannte ich erneut die Umgebung. Ich musste Zoe finden, aber das Gebiet war viel zu groß. Sie konnte direkt neben mir vergraben liegen, aber auch Meter entfernt. Das war unmöglich. Deprimiert stützte ich meine Hände auf meine Knie. Meine Gedanken kreisten in meinem Kopf hin und her, so konnte man sich doch nicht konzentrieren. Nach ein paar Minuten hatte ich mich wieder einigermaßen beruhigt und versuchte mir im Stillen einen Plan zu erstellen. Also, links Piste hoch, rechts Piste runter. Ich musste unbedingt nach rechts, ich musste ins Tal und zum Lift. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns hier befanden, wie weit oben noch oder vielleicht auch schon wie weit unten.
Ich schaute mich ein letztes Mal um und prägte mir die Umgebung ein. Diesen einen Berg würde ich wiedererkennen. Ich wusste zwar nicht, wie er hieß, aber auf einer Karte würde ich ihn zeigen können.
Ein letzter Ruf entwich noch meinem Mund, in der Hoffnung, dass doch noch ein Wunder geschehen würde, aber es tat sich rein gar nichts.
Enttäuscht schleppte ich mich das erste Stück vorwärts, ich war ja nicht mal an der Baumgrenze und der Lift lag noch einige Meter darunter. Instinktiv wollte ich auf mein Handy schauen, um die Uhrzeit zu checken, aber dort empfing mich nur wieder das schwarze Display. Wie sollte ich denn so ein Zeitgefühl entwickeln?
Kurz davor das Telefon einfach wegzuschmeißen, behielt ich es doch noch bei mir und stopfte es wieder zurück in die Tasche.
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Winter des Todes
Mystery / Thriller----------------------------------------------- Skiurlaub! Darauf freut sich Zoe schon das ganze Jahr! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Doch plötzlich taucht jemand auf, der ihre Familie zu jemand ganz anderem werden lässt! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Als sie dann auch...