Winter des Todes

Zoe ♡

Die erneute Stille, die sich in dem Raum breitmacht, ist noch viel drückender als die zuvor. Vielleicht liegt es daran, dass Toni in der ganzen Aufregung seine Kaninchen vergessen hat, die aber auch gerade keinen anderen interessieren. Vielleicht liegt es auch einfach an der weiteren Person, die nun schweigend im Wohnzimmer sitzt und auf das Telefon starrt.

Nicht gerade die beste Beschäftigung, vor allem, wenn man nicht weiß, ob es überhaupt irgendwann klingeln wird, aber jede andere Beschäftigung wäre nur noch schlimmer gewesen.

Ein Seufzen, welches nicht einmal einer bestimmten Person zugeordnet werden kann und gleich darauf ein Stöhnen einer anderen Person.

All diese Geräusche und die Stille, die irgendwie doch nicht still ist, lassen das Warten unendlich wirken.

So, als würde schon bald die Sonne untergehen, obwohl gerade mal eine Stunde vergangen ist.

Toni will gerade ansetzen, etwas zu sagen, da passiert das, auf das alle Anwesenden so sehnsüchtig gewartet haben.

Der Klingelton des Telefons ertönt. Jeder einzelne zuckt zusammen. Man spürt diese angespannte Stimmung regelrecht sich im ganzen Raum verteilen. Alle gucken einander an, aber niemand bewegt sich, sitzen dort in vollkommener Schockstarre, bis schließlich Veronika aufspringt und zum Telefon spurtet.

Hastig nimmt sie den Hörer in die Hand und meldet sich mit einem vernuschelten „Hallo?".

Ihr Gesicht erhellt sich von einem Schlag, verdüstert sich allerdings wieder.

„Nein, ich kenne keine Hannah." Verwirrtheit spricht aus ihrem Blick und sie wirft ihrem Mann unsichere Blicke zu.

„Ja ... ja natürlich ... ja ok ... tschüss!" Wie versteinert stellt sie das Telefon zurück auf die Ladestation und blickt verdattert in die Runde.

„Kennst du eine Hannah?", wendet sie sich stotternd an ihren Mann.

„Nein, was ist denn los?" Langsam kommt er auf sie zu.

„Wir sollen sofort ins Krankenhaus kommen, die haben wohl eine Hannah aus den Bergen geborgen, die anscheinend etwas über unsere Tochter weiß." Je mehr Worte sie ausspricht, desto weiter werden ihre Augen. Es wird deutlich, dass sie keinen blassen Schimmer hat, wer diese Hannah sein soll.

„Hey, das ist doch super! Dann fahrt ihr jetzt dahin, ich halte hier die Stellung und ihr informiert mich, sobald es was Neues gibt, ja?", Toni versucht der Situation die Spannung zu nehmen und hüpft vom Sofa auf.

„Äh, ja klar.", verwirrt steht Thomas auf, nimmt seine Frau an die Hand und winkt Julian kurz zu.

Wenig später stehen sie zusammen mit dem Arzt vor dem Zimmer von Hannah. Er drückt die Klinke hinunter, die Tür geht auf, lautes Piepen schallt ihnen entgegen, ein weißes Zimmer, Intensivstation eben und ein Bett, in dem ein Mädchen liegt.

„Zoe?", Veronika traut ihren Augen nicht. Das ist doch ihre Tochter, ihre Zoe. Verwirrt kommt sie ein Stück näher.

„Zoe?!", wiederholt sie.

„Ähm, nein, das ist Hannah!", verbessert der Arzt sie.

„Das ist meine Tochter, sie sieht aus wie meine Tochter!", beteuert sie und schaut ungläubig auf das Mädchen.

„Das kann nicht sein, Hannahs Eltern waren schon hier, sie hat einen kleinen Bruder."

„Aber ..." Die restlichen Worte bleiben ihr im Hals stecken.

Verzweifelt dreht sie sich zu ihrem Mann um, der seinen Augen gerade genauso wenig vertraut wie sie selbst.

Hannah hustet und kneift die Augen zusammen.

„Zoe?", fragt sie mit erstickter Stimme und hustet erneut.

„Wer ist Zoe?", fragt der Arzt augenblicklich.

Hannah stöhnt auf. „Zwilling!"

Veronika fällt die Kinnlade herunter, Thomas verschluckt sich und bekommt einen Hustenanfall und Julian reißt den Mund auf und versucht den riesigen Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken.

„Das wussten Sie nicht, oder?", der Arzt dreht sich zu den Eltern.

Die schütteln nur den Kopf.

„Okay Hannah, was ist passiert?" Hannah versucht sich zusammenzureißen, das merkt man. Mit all ihrer Kraft versucht sie die Worte aus ihrem Mund zu pressen.

„Berg, Lawine, verschüttet!" Sie hustet erneut.

„Zoe ist von einer Lawine verschüttet worden?" Sie nickt heftig.

„Weißt du, wo das war?" Hannah setzt zu einer Antwort an, bringt ein paar unverständliche Laute heraus, bevor das Gerät neben ihr anfängt zu piepen und ihre Augen sich schließen.

„Hallo, Hannah, hörst du mich?!"