𝕶apitel Eins

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𝕲erüchte verbreiten sich in Prilias schneller als der Wind. Insbesondere wenn sie die Imperiale Familie betreffen.

»Eine der Imperix soll tot sein.«, sagen sie, während sie an mir und Hauptmann Corian auf unseren Phylilen vorbeischlendern.

»Es war ein Attentat. Deshalb hat die Imperal die beiden anderen nicht mehr aus dem Palast gelassen.«, mutmaßen andere.

Ich wünschte, ich könnte einfach weghören, die Gespräche der Menschen ausblenden. Aber ich schaffe es nicht. Ich ziehe nur den Kopf weiter ein und richte meinen Blick starr auf den Rücken des Hauptmanns vor mir.

Das Wissen, dass mit jedem Schritt, den meine Phylilosstute tut, sich der Palast hinter mir immer weiter entfernt, liegt mir schwer im Magen. Dort ist mein Zuhause. Das Einzige, welches ich in meinem Leben kenne. Meine Familie. Oder zumindestens die, welche mir von meiner Familie noch geblieben sind.

Inmitten der Lebendigkeit Jamesins fühle ich mich plötzlich sehr einsam.

Vor fünf Tagen bin ich noch dort gewesen. Zwar abgegrenzt von fast allem, aber wenigstens ist mein Leben noch einfach gewesen. Inzwischen ist es unendlich kompliziert.

Ich fühle noch immer den weichen Stoff des Canapé im Arbeitszimmer der Imperal unter meinen Händen. Die Ungewissheit darüber, was die Herrscherin Prilias von mir wollen könnte, hat mich meine Finger darin verkrallen lassen.

Es ist in den ersten Stunden der Hellsonne gewesen, der Himmel noch leicht perlmuttfarben gefärbt. Erstes Sonnenlicht ist in den Raum gefallen und hat die blonden Haare der Imperal zum Schimmern gebracht.

In meinen Gedanken sitze ich wieder vor ihr und versuche ihrem Blick auszuweichen, der sowieso nie etwas Liebevolles für mich bereithält. Nicht gerade, wie man meint, dass eine Mutter ihre jüngste Tochter ansieht. Aber meine Familie ist zerrüttet, die Beziehungen kompliziert und nicht immer gut.

Mein Bruder ist derjenige gewesen, den meine Mutter bevorzugt hat, den sie bereits lange vor der Elektia als ihren Erben angesehen hatte. Selbst eine Imperal von Prilias kann sich scheinbar täuschen.

—⋄—

»Es werden Veränderungen auf dich zukommen. Große Veränderungen.«, hat die Imperal begonnen. »Schau mich an, Lyca. Weißt du, was das für dich bedeutet?«

Gezwungenermaßen begegnete ich ihrem Blick, nickte stumm und grub die Finger nur noch weiter in den feinen Stoff.

Meine Mutter seufzte, ganz so, als wäre es eine schreckliche Anmaßung, sich mit mir überhaupt abgeben zu müssen.

Das Klopfen an der Tür ersparte mir glücklicherweise eine Antwort. Das Geräusch tönte wie ein Donnerhall durch das Arbeitszimmer und ließ mich zusammenzucken.
Dies sollte das erste Mal sein, dass ich auf Kisha Deval traf.

Prinz Jeremin öffnete als Erster die Tür und trat ein, hinter ihm folgte eine in einen bodenlangen, schwarzen Umhang gehüllte Gestalt. Mir fielen als erstes die silbernen Borten am Umhang auf, bevor mein Blick zu ihrem Gesicht wanderte, das noch komplett im Schatten der Kapuze lag.

Dann wurde die Kapuze zurückgeschoben und enthüllte das von Falten gezeichnete Gesicht einer Frau, das von einigen silberweißen Haarsträhnen umrahmt wurde.

Chroniken der Götter - Das Vermächtnis des KristallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt