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„Du bist doch Abrams Lewis, oder?"

Sie war im Slalom an den anderen vorbeigelaufen und stand nun direkt vor mir. Die Energie, die von ihr ausging, übertraf alles, was ich jemals zuvor gespürt hatte.

Ihr breites Grinsen legte die Haut um ihre Augen in kleine Falten. Die tiefbraune Farbe ihrer Augen erwärmten die eisige Luft um mich herum. Lipgloss brachte das Pink ihrer Lippen zum Strahlen. Unter ihrem Make-up kämpfte ein Muttermal am linken Auge darum, gesehen zu werden. Mir fielen zwei leicht gewellte blonde Haarsträhnen auf, die ihr Gesicht wie ein Gemälde perfekt umrandeten.

„J-Ja, bin ich", stotterte ich.

Sie lächelte noch stärker und klatschte in die Hände.

„Super! Ich bin Yoshida Sumiyo! Ich soll dir ein bisschen die Schule zeigen", stellte sie sich vor und stolzierte zu einer der Türen. Der dunkelblau-karierte Rock ihrer Schuluniform flog im Wind und der Duft eines stark blumigen Parfüms folgte ihr.

„Die Türen öffnen sich nur per Fingerabdruck", erklärte sie und ich nickte. „Hier wird das 'privat' in Privatschule nämlich sehr ernst genommen." Ich lachte mit ihr.

Der Fingerabdruckscanner war in die Wand eingesetzt und von einem blau leuchtenden Rahmen umgeben. Yoshidas zarter Zeigefinger berührte den Scanner und die Tür öffnete sich mit einem lauten Quietschen. Ich bekam Gänsehaut von dem Geräusch.

„Ja, ich weiß. Das Geräusch ist am Anfang echt anstrengend", sagte sie, als sie wieder zu mir sah. „Aber man gewöhnt sich daran. Versprochen." Ihr Lachen zwang sich in meinen Kopf. Die hohen, verspielten Töne drängten jegliche anderen Gedanken hinaus.

Zwei gewählte Schritte von ihr und wir standen zusammen im Schulgebäude. Vor uns befanden sich fünf Spindreihen. Sie deutete mit einer Hand auf einen Spind in der Mitte, umrandet von acht anderen.

„Hier kannst du deine Schuhe wechseln", erklärte sie, wobei sie eine Haarsträhne hinters Ohr strich. Wiederholt nickte ich und begann meine Schuhe auszuziehen. Einmal sah ich hoch. Mit einem breiten Lächeln sah sie auf mich runter und beobachtete mich. Schnell drehte ich mich zurück, als meine Wangen anfingen zu glühen.
Genau in der Sekunde, in der ich fertig wurde, setzte sie ihre Führung ohne zu zögern fort.

Die Welt um sie herum begann stetig heller zu leuchten. Mehrere Schulkameraden begrüßten sie. Jeder war ihr Freund, jedem gab sie ein freundliches Lächeln oder auch Grinsen zurück. Während wir durch die langen Flure liefen, erkannte ich immer mehr, wie sehr wir uns beide unterschieden.
Es zog sich beinahe eine Linie zwischen uns. Yoshidas leichte, feminine Schritte hinterließen einen strahlenden Regenbogen. Meine Seite war grau und von Nebelschwaden durchzogen. Wieder und wieder versuchten die Farben das Grau dazu zu animieren, mehr Licht hineinzulassen. Schließlich, obwohl es versuchte, standhaft zu bleiben, trafen doch einige Farbspritzer auf seine Oberfläche.

Nachdem ich einmal von ihr durch die Schule geführt worden war, liefen wir zusammen zu unserem Klassenraum. Als ich über die Türschwelle tritt, wurde die Luft schwer. Die Fenster ließen warmes, herzliches Licht in den Raum, welches das viele Holz umspielte.
Meine Schutzblase aus grauem Nebel ließ die Strahlen abprallen.

Die Mundwinkel aller Schüler waren oben fixiert. Eine Gruppe von Mädchen näherte sich Yoshida und riss sie weg von mir. Ich schleppte mich an den leeren Tisch hinter Yoshida und holte meine Sachen aus der Tasche. Block, Mappe, Buch, Federtasche. Ich stapelte alles nacheinander an der rechten Ecke des Tisches. Danach lehnte ich mich zurück und ließ meinen Blick durch den Raumtreiben.

Der Geruch von Papier und Stiften stieg in meine Nase. Um mich herum befanden sich mehrere Tischreihen, welche in Richtung des Whiteboards ausgerichtet waren. Ich legte meine Arme auf den Tisch. Das Holz war glatt. An manchen Tischen lehnten Mädchen. Auf anderen hockten Jungs. 

Einzelne Gesprächsfetzen erreichten mich. Ich konnte Unterhaltungen über das Wochenende, Hobbys und das andere Geschlecht ausmachen. Sie waren alle wie Charaktere eines Liebesromans. Einen Platz vor mir saß Yoshida auf einer Tischkante. Sie stützte sich hinten mit den Armen ab und ließ währenddessen ihre Füße über den Boden baumeln. Ihre weichen, rosigen Wangen bewegten sich durch ihr Lachen immer wieder leicht nach oben. Mit zwei weiteren Mädchen sprach sie über Sport und erzählte von ihren neusten Erfolgen.

Nach einiger Zeit trat ein erwachsener Mann mit kurzem braunen Haar und Jackett durch die Tür. Beim Schließen der Tür saßen bereits alle meiner bis vor kurzem noch verstreuten Klassenkameraden auf ihren Stühlen. Die Gespräche waren verstummt. Nur der Platz zwei Reihen vor mir am Fenster blieb frei. 

Der Lehrer bereitete sein Material auf dem Pult vor und bat mich, mich vorzustellen. Also stand ich auf und ging nach vorne. Bei der Vorstellung ratterte ich einfach den Text runter, den ich mit den vielen Umzügen auswendig gelernt hatte. Einige Mädchen vor mir drehten sich zu anderen um und lachten leicht. Ich schluckte. Diesen Teil eines Schulwechsels hasste ich am meisten.

Danach begann der Unterricht mit dem Fach Wesensphilosophie. Ein Beamer fing an zu brummen und am Whiteboard erschien eine Präsentation.

„Wie Sie bereits wissen, ist es bisher unklar, wie die Wesen unsere Welt gefunden haben und woher sie überhaupt kommen. Allerdings gibt es einige neue Theorien, mit denen wir uns heute befassen wollen", erklärte Herr Arai. „Zunächst sollten wir noch einmal klären, was Wesen genau sind. Was wissen Sie bereits über sie?" Er ließ seinen Blick über die Klasse schweifen, bis Yoshida sich meldete.

„Wesen sind nicht menschlich. Sie können sich nur äußerlich an uns anpassen", antwortete sie. „Es wird aber davon ausgegangen, dass sie sonst wie weiße Nebelschwaden aussehen, die unterschiedliche Formen annehmen können." Herr Arai nickte zustimmen und fuhr mit seiner Präsentation fort. Er drehte sich zum Board.

Doch dann fiel die Temperatur plötzlich ins Unermessliche.

Schlagartig wurde die Wärme aus dem Raum gerissen. Mein Körper zitterte. Mir wurde schwindelig. Ich musste meinen Kopf mit der Hand stützen. Dann sah ich hoch. Mein Magen zog sich zusammen.

Dieses Gesicht. Die dunklen Haare, die sich auf und ab bewegten, als sie durch das Bild am Whiteboard schritt. Die Absätze ihrer Schuhe hinterließen ein hallendes Knallen.
Unsere Blicke trafen sich. Die Zeit schien stillzustehen. Ich kannte diesen Blick, denn obwohl braune Augen Wärme ausstrahlten, erkannte ich in diesen nur den Tod.
Dieser eiskalte Blick war einmalig.

Tiefe Augenringe umrandeten beide ihrer katzenartigen Augen. Ihr breiter Kiefer wurde von matten, geraden Haaren abgeschnitten und um ihren Hals blitzte ein silberner Anhänger auf. Er sah aus wie ein Auge, umrandet von zwei Flügeln.

Kalte Winterluft stieg mir in die Nase. Mir kam das Bild von den Mädchen auf dem Parkplatz wieder in den Kopf. Das Blut, das zum Bordstein floss.
Ich bekam Gänsehaut, als ich bemerkte, dass genau sie nun vor mir stand. 
Ich wollte wegrennen.

 Ich wollte wegrennen

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Death's EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt