„Am Anfang war es schwer. Dann wurde es immer leichter."
Mittlerweile war der Tag fast ein Monat her. Nur noch ein paar Nächte, dann war es so weit. Er verfolgte mich noch wochenlang. Der Tag, an dem sie das erste Mal sprach. Tanaka hatte mich angegriffen wie ein wild gewordenes Wesen. Ihre klare, bedrohliche Stimme hatte sich in mein Gehirn gebohrt. Ich wusste nicht, was sie mir mit dem Anhänger sagen wollte.
Am Anfang konnte ich jeden Satz, den sie mir an den Kopf geworfen hatte, auswendig aufsagen. Jetzt erinnerte ich mich nur noch daran, dass sie etwas von einem Leuchten faselte und dabei geschrien hatte wie ein Biest. Sie war einfach verrückt. Was wollte sie von mir? Konnte sie mich nicht in Ruhe lassen? Ich hatte mir unendlich oft den Kopf über den Nachmittag zerschlagen.
Wie Nägel waren ihre Worte in meinen Schädel gehämmert gewesen und verursachten schreckliche Schmerzen.Hinzu kam die Angst. Jede Sekunde wartete, dass die OGPA vor meiner Tür stand und mich mitnehmen würde. Ich malte mir aus, wie ich alleine in einer Zelle saß. Abgeschottet von der Welt. Abgeschottet von Sumiyo. Ich würde sie nie wieder sehen, nie wieder einen Fuß nach draußen setzen. Tag für Tag wartete ich darauf.
Doch der Moment kam nicht. Wochen vergingen und ich fühlte mich sicherer, dass sie nichts sagen würden. Warum auch? Tankas Familie hatte bereits einen schlechten Ruf. Im Gegensatz dazu waren wir erst hergezogen. Unsere Weste war noch weiß. Also könnte ich alles auf sie schieben. 'Sie kann mir gar nichts' - so hörte ich es auf einmal immer wieder in meinem Gehirn. Es war gruselig. Es klang nicht wie ich und doch waren es meine Gedanken.Meine Angst hatte einen faden Beigeschmack dazugewonnen - Wut. Ich würde mir nichts mehr wegnehmen lassen.
Über die letzten drei Wochen hatten sich so viele unterschiedliche Gefühle in mir angesammelt, dass mir immer wieder übel wurde. Diese Mischung aus dem wohligen Gefühl in meinem Bauch und die Wut, die meinen Körper durchschoss war ein widerwärtiges Gebräu. Als wären es Gift, kämpfe mein Immunsystem wie ein Krieger gegen die Gefühle an.
Allerdings gewann mein Herz. Ich war glücklich mit Sumiyo an meiner Seite und ich würde nichts zwischen uns kommen lassen. Endlich hatte ich es akzeptiert. Ich konnte nicht fassen, dass ich sogar den Gedankengang hatte, sie möge mich auch wenn sie wüsste, was alles falsch mit mir war. Mein Ich von vor einem Monat hätte mich verspottet. Doch Sumiyo hatte mich verändert. Ich konnte es kaum glauben. Nein, sie war nicht wie jede andere.
Sie war besonders. In der normalsten Weise, die möglich war.Wo jeder schon die Hoffnung aufgegeben hat, wirkte sie ihre Magie. Ich begab mich in ihre Hände. Sie kümmerte sich um mich. Sie konnte meine Sorgen mit einem Schnipsen verschwinden lassen.
Innerhalb eines Monats wurden wir vertrauter, als ich es je mit einer Person war. Ich traute mich nicht, uns Freunde zu nennen. Zu viel Angst hatte ich davor, sie zu verlieren, genau wie es bei meinen früheren Freunden der Fall war. Alle meine Freundschaften hatten bisher dasselbe Ende gefunden und es war nie ein schönes. Dieses Mal sollte es anders werden.Sogar meine Eltern mochten Sumiyo. Eigentlich wollte ich ihnen nicht von ihr erzählen. Aus Angst davor, was sie sagen würden. Allerdings stand sie eines Tages einfach vor meiner Tür. Die Frage, woher sie meine Adresse habe, ignorierte sie und stürmte ohne zu zögern in den Flur. Meine Eltern kamen durch die Tür geschossen, als sie die weibliche Stimme im Gang wahrnahmen. Da meine Mutter ein Profi im Smalltalk war, verwickelte sie Sumiyo in ein Gespräch, das eine halbe Stunde ging. Mir wurde immer wärmer im Gesicht, je mehr sie Sumiyo ausquetschte.
Sie wollte alles wissen. Von Sumiyos Hobbys über ihre Zukunftspläne bis hin zu den Berufen ihrer Eltern. Als Sumiyo von ihrem Vater – dem Leiter der OGPA – erzählt hatte, erschien ein mehrdeutiger Gesichtsausdruck auf dem Gesicht meiner Mutter. Er sagte so viel. Begeisterung und Ehrfurcht. Gleichzeitig bildeten sich feine Schweißperlen auf ihrer Stirn. Nervosität?
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Death's Eyes
Fantasía"Obwohl braune Augen Wärme ausstrahlten, erkannte ich in diesen nur den Tod." Lewis hat die Chance auf das Leben seiner Träume. Trotz seiner Halluzinationen könnte er ein ganz normales Leben führen. Doch eine mysteriöse Begegnung droht seine ruhige...