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Wir hatten Technik, was den Raum nicht erträglicher machte. Zum Glück nahm Tanaka erst einige Reihen hinter uns Platz. Hatte Sumiyos Ansage etwas gebracht? Ich schüttelte den Kopf. 

Ich muss aufhören, mir unnötig Gedanken darüber zu machen, versuchte ich mir einzureden. Dann öffnete sich die Tür noch einmal. Unser Lehrer kam ins Klassenzimmer. Er trug einen Anzug, dem man das schreckliche Wetter deutlich ansah. Ab der Hälfte seines Oberschenkels war das dunkle Grau pechschwarz gefärbt. 

Zwar hatte ich letzte Woche schon zweimal bei ihm Unterricht gehabt, jedoch tat ich mich noch schwer, mir die japanischen Namen zu merken. War es Hayashi gewesen? Während ich weiter über seinen Namen grübelte, wischte er sich die nassen Haare aus dem Gesicht und packte seine Sachen aus. Gleichzeitig stupste ich Sumiyo an, die gerade gelangweilt vor sich hin malte. Als sie meine Berührung bemerkte, sah sie mit einem „Hm" zu mir rüber. 

„Sumiyo, wie war noch mal sein Name? Hayashi?", flüsterte ich ihr zu.

Sie schüttelte den Kopf und korrigierte mich leise mit ihrer Hand seitlich vordem Mund:„HIRABAyashi."

Ich hielt mir die Hand vor die Stirn und hauchte ihr ein „Dankeschön" zurück. Sie kicherte nur und wandte sich wieder nach vorne. Ich notierte mir den Namen auf einem Stück Papier. Hirabayashi. Es wäre wirklich unangenehm gewesen, ihn irgendwann falsch anzusprechen.

Vorne erzählte dieser etwas darüber, wie man die speziellen Kabel herstellte, die die Organisation verwendete. Sie hatten diese entwickelt, um den hohen Voltzahlen, die sie brauchten, standzuhalten- oder so. Ich passte nicht wirklich auf. Im Verlauf der Stunde rutschte mein Kopf immer weiter meine Hand hinunter. 

OGPA-Technik war nie mein Fach gewesen. Ich konnte mich nie darauf konzentrieren. Stattdessen träumte ich lieber vom Schwimmen, das später beim Klub auf mich wartete. Allerdings lagen noch eine Stunde Japanisch und Forschung zwischen mir und dem Wasser. Forschung hieß eigentlich Partikel- und Wesensforschung, doch die meisten nannten es nur Forschung. Am meisten werden in dem Unterricht Versuche gemacht, die mit den Partikeln zu tun hatten. 

Selbstverständlich bekamen wir keine echten Partikel von Wesen. Diese waren nur begrenzt verfügbar und nur die OGPA benutzte sie für ihre Experimente. Wir Schüler bekamen künstlich hergestellte. Die meisten echten Partikelreste stammen aus den Umgebungen von Riss 0. Soweit ich wusste, war es schwer, Blut und Partikel voneinander zu trennen, weshalb nur wenige Mengen aus dem Blut von Opfern stammten. 

Echte Partikel hatten bisher nur Angestellte der Organisation oder hohe Wissenschaftler gesehen. Mich interessierte das Thema sehr, doch traute ich mich nie Leuten davon zu erzählen, geschweige denn jemals bei der OGPA zu arbeiten.
Mit meinen Diagnosen würden sie mich wahrscheinlich eh nicht annehmen. Meine Eltern würden auch niemals ihr Einverständnis geben – ich konnte es ja verstehen. 

Seufzend und ohne zu wissen, was genau das Thema der Technik Stunde gewesen war, packte ich meine Sachen ein und ging mit Sumiyo aus dem Raum. Ich war freute mich, endlich aus dem kalten Raum zu sein. Das Labor, in dem Forschung stattfand, war deutlich moderner eingerichtet und besser beheizt. 

Der Boden war mit weißen Fliesen überzogen, die keine Spur von Dreck zeigten. Das Licht war kalt. Die Tische waren weiß und wasserabweisend beschichtet und an jedem befand sich ein kleines Waschbecken sowie zwei Hocker. Vorne hinter dem Pult war wie in jedem Raum ein Whiteboard an der Wand befestigt.

Meine Generation war eine der letzten gewesen, die noch richtige Tafeln gesehen hatte. Allerdings vereinzelt und auch nur in der Grundschule. Oft redeten meine Eltern darüber, wie es früher war, als die Technik noch nicht so fortgeschritten war wie heute. Sie landeten dann meistens bei den Tafeln und dem schrecklichen Quietschen von Kreide auf dessen Oberfläche. Dann war ich meistens froh, kaum Erinnerungen an meine Grundschulzeit zu haben.

Ich ließ mich auf den Stuhl neben Sumiyo fallen. Diese drehte sich auf dem Hocker im Kreis.

„Ich bin so schlecht in dem ganzen Laborkram", seufzte sie. „Ich hab' gehört, heute sollen wir wieder mit Partikeln experimentieren. Kommst du damit klar?"

„Mehr oder weniger, ja", antwortete ich.

„Perfekt! Dann experimentierst du und ich dokumentiere. Sonst haben wir am Ende keine Parikel mehr, wenn ich das mache", lachte sie beschämt. Man musste sehr vorsichtig sein im Umgang mit Partikeln, da sie sich schnell auflösen konnten. Zwar waren die künstlichen nicht ganz so empfindlich, jedoch musste man auch bei ihnen aufpassen.

Mrs. Satō stieß schwungvoll die Tür auf und zog einen Rollwagen mit mehreren Tabletts in den Raum. Sie trug eine bunte Strumpfhose mit Blumen und darüber einen knielangen, blattgrünen Rock, in den sie eine helle Bluse gesteckt hatte. Ich hatte sie in der letzten Woche nicht einmal ohne ein breites Lächeln auf den Lippen gesehen. Es war ein wenig gruselig, anders als bei Sumiyo, die zwar auch viel lachte, jedoch nicht durchgängig. Es war mir ein Rätsel, wie man so glücklich wie Mrs. Satō sein konnte.

„Hallo, ihr! Heute wollen wir uns noch einmal genauer anschauen, was auf Mikroskopebene mit Partikeln in Blut passiert", trällerte sie und schob ihre runde Brille hoch. „Also nehmt euch alle ein Glas und eine Blutprobe sowie das richtige Equipment – ihr wisst ja." Danach ließ sie sich breit lächelnd und zufrieden auf den Stuhl hinterm Pult fallen. 

Jeder holte sich ein Glas mit Partikeln. Als ich gerade aufstehen wollte, kam mir Sumiyo zuvor und besorgte uns bereits ein Glas. Partikel wurden in destilliertem Wasser aufbewahrt. Es spritzte fast aus dem Glas, als Sumiyo dieses vor mir auf den Tisch abstellte.

Ich ging näher an das Glas heran. Alleine mit den Augen konnte man sie nur leicht erkennen, so fein waren sie. Kleine, hellblaue Punkte, die wie Quallen durchs Wasser schwebten. Ich holte das restliche Equipment aus dem Schrank – eine Pipette, eine Petrischale, eine Schutzbrille, Mikroskop und eine lange, dünne Nadel. Die Nadel sah fast aus wie ein Faden, nur aus festem Metall. 

Ich setzte mich wieder hin und legte meine Schutzbrille an. Mit der Pipette beförderte ich etwas von dem Partikelwasser in die Petrischale und stellte diese unter ein Mikroskop. Darunter sahen die Partikel aus wie Eiskugeln. Ich bat Sumiyo an, auch durch das Mikroskop zu schauen, doch sie lehnte ab. Also nahm ich die Nadel und zielte auf eine Kugel. Mit einer schnellen Bewegung stach ich zu. 

Ich grinste. Getroffen.

„Mehr oder weniger?! Lewis, bei dir sieht das aus, als würdest du das beruflich machen!", rief Sumiyo und meine Wangen fingen an zu brennen. Man musste Partikel mit dieser speziellen Nadel aufspießen, wenn man sie einzeln befördern will. Dabei musste man aufpassen, sie nicht zu zerstören. Jahrelang übt man dies in der Schule, was vielen auf die Nerven ging.

Ich bewegte die Nadel ruhig über den Tisch zu der Blutprobe und setzte das Partikel in die Schale. Sofort begann die Reaktion.

 Sofort begann die Reaktion

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Death's EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt