Yoshida drehte sich auf einmal zu mir um. Ihr blonder Pferdeschwanz flog von einer Seite zur anderen. Meine Aufmerksamkeit wechselte zu ihr.
Im Flüsterton riet sie: „Halt dich lieber von der fern."
„Du kannst sie auch sehen?" Perplex sah ich sie an, bis ich bemerkte, dass auch sie mich verwirrt anguckte. Ich hätte das nicht sagen sollen.
„Ja, leider kann ich sie auch sehen", antwortete sie und kicherte leise. „Ich mag deinen Humor, Abrams." Ich zwang mir ein Lächeln auf. Danach wandte sie sich wieder dem Unterricht zu. Die Kälte kam zurück.
Ich hatte sie mir nicht eingebildet. Meine Lungen war so stark eingefroren, dass eisige Luft aus meiner Mundhöhle stieg. Die Stimme des Lehrers rückte immer weiter in den Hintergrund, während mein Fokus mehr und mehr auf das dunkelhaarige Mädchen fiel.
Sie starrte aus dem Fenster, während alle anderen nach vorne blickten. Niemand zeigte auch nur irgendeine Art von Interaktion mit ihr. Als würde sie gar nicht existieren.Am Ende der Stunde war ich wie an meinem Stuhl festgefroren. Mein Mund war trocken. Als ich schluckte, schien Eis in meinen Hals zu schneiden. Um mich herum standen alle meiner Klassenkameraden gleichzeitig auf. Auch ich riss mich vom eiskalten Stuhl und ging durch die Reihen nach vorne.
Vor der Tür blieb ich noch einmal stehen und blickte nach hinten, doch das Mädchen vom Rastplatz war bereits weg. Ich war erleichtert, aber konnte auch meine Enttäuschung nicht verdrängen.Gerade als ich hinausgehen wollte, spürte ich jedoch ein Tippen auf meiner Schulter. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
„Keine Sorge, ich bin's nur."
Ich drehte mich um und Yoshida stand vor mir. Ihre freundliche braune Augen sahen zu mir hoch. Das komplette Gegenteil von den anderen.„Ich habe gedacht, wir könnten diese Pause vielleicht zusammen verbringen", sagte Yoshida. „Dann kann ich dir noch mehr zeigen!" Erwartungsvoll stand sie vor mir. Ich versuchte, Wörter hervorzubringen, doch mein Mund war immer noch zu trocken, um zu reden.
Nachdem ich mehrmals gehustet hatte, konnte ich endlich die Worte „Diese Pause ist schlecht" herausbringen. Es hörte sich eher an wie eine Frage.Ich war mir nicht sicher, was ich wollte. Einerseits hatte Yoshida etwas an sich, dass mich etwas fühlen ließ, was ich nicht genau beschreiben konnte. Es war irgendwie schön. Doch andererseits trieb mich eine Mischung aus Angst und Neugier dazu, nach dem Mädchen zu suchen. Wieso war sie gestern auf dem Parkplatz gewesen? Was war passiert? Ich hatte die Wahl zwischen Licht und Dunkelheit. Und obwohl ich frei wählen konnte, wählte ich trotzdem den schweren Weg.
Ich schloss kurz die Augen vor meiner eigenen Dummheit und verließ nach einem leisen „Tut mir leid" den Klassenraum.Ich eilte durch die ganze Schule, aber sie war nirgends zu finden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich zweifelte kurz wieder an meiner Wahrnehmung, doch dann erinnerte ich mich an Yoshidas Worte. Es war keine Einbildung gewesen. Sie existierte wirklich. Doch sogar in den dunkelsten Ecken, die ich finden konnte, entdeckte ich sie nicht.
Als die Pause fast vorbei war, gab ich auf. Insgeheim war ich froh, ihr nicht alleine gegenüberstehen zu müssen. Schließlich sagte sogar Yoshida, dass ich mich lieber von dem Mädchen fernhalten sollte. Ich konnte mich nicht von meiner Neugier hinreißen lassen. Der Ruf meiner Familie in Japan lag in meinen Händen. Ich musste die Hände vom Geheimnisvollen lassen.
In der nächsten Pause hatte ich auch nicht mehr die Möglichkeit, ihr zu folgen. Yoshida hatte sich direkt nach dem Unterricht zu mir umgedreht und mich zu ihren Freundinnen gezogen. Allerdings hatten diese uns am Sportplatz verlassen. Nun liefen Yoshida und ich alleine um das Schulgebäude. Als ich die riesige Schwimmhalle sah, war ich kurz geblendet. Vorfreude erfasste mich.
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Death's Eyes
Fantasy"Obwohl braune Augen Wärme ausstrahlten, erkannte ich in diesen nur den Tod." Lewis hat die Chance auf das Leben seiner Träume. Trotz seiner Halluzinationen könnte er ein ganz normales Leben führen. Doch eine mysteriöse Begegnung droht seine ruhige...