5. Kapitel: Fisch |Tag 4|

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Auf dem Weg legten sie noch einen kleinen Stopp ein, damit KID verschnaufen konnte. Der Dieb war immer noch ziemlich angeschlagen.
Als sie schließlich das Esszimmer betraten, erstarrte KID, sodass Shinichi leicht ins Stolpern geriet. Er wollte gerade den Mondscheindieb fragen, was los sei, als KID das Wort ergriff.
"W-Weißt du was? Ich glaube ich habe doch keinen Hunger.", stammelte er. Für einen kurzen Moment war KIDs Pokerface wie weggefegt und Shinichi konnte einen Ausdruck von purem Terror in seinen Augen erkennen, dann war sein Gesichtsausdruck wieder wie immer.
„Das bezweifle ich. Magst du etwa keinen Fisch?", fragte er neugierig. Mori war Angeln gewesen und hatte ihnen ein paar Fische überlassen, da er in Angeln wohl etwas gefunden hatte, worin er gut war.
Bei dem Wort „Fisch" zuckte KID leicht zusammen und stützte sich schwer atmend am Türrahmen ab.
„S-so etwas ähnliches.", murmelte er etwas abwesend, den Blick immer noch fest auf den Fisch auf ihren Tellern fixiert.
„Sag mal...Hast du etwa Ichthyophobie?"
„W-Wie kommst du den darauf? Wieso sollte ich Angst vor so etwas lächerlichem wie F-Fisch haben?", stotterte er.
„Deine Atmung ist unnormal flach und schnell, dein Kreislauf macht schlapp, du schwitzt und von deinem Pokerface ist keine Spur. Die typischen ersten Anzeichen für phobischen Schwankschwindel. Außerdem weiß nicht jeder, was dieses Wort bedeutet. Gib es zu. Ich werde dich nicht auslachen. Warum auch immer du diese Phobie hast, so etwas ist und bleibt etwas Ernstes.", erklärte Shinichi, während er wieder dazu überging, KID zu stützen, der nun noch mehr Gewicht auf ihn verlagerte als zuvor.
,,D-Da musst du dich irren. Das sind bloß meine Verletzungen, die mir zu schaffen machen."
,,Lass es gut sein, KID. Du kannst mir nichts vormachen.", seufzte Shinichi.
KIDs Schultern sackten geschlagen zusammen und er schien es vorerst aufzugeben, möglichst würdevoll und gefasst auszusehen.
„Also gut. Du hast Recht. Es tut mir leid, dass du diesen Moment meiner Schwäche mitansehen musst, Meitantei. Schließlich habe ich Angst vor F-Fi-...diesen grauenhaften Dingern. Außerdem könntest du das immernoch gegen mich verwenden.", nuschelte er, den Blick gen Boden gerichtet.
Irgendwie störte ihn die peinlich berührte Reaktion KIDs. Hatte sich jemand in der Vergangenheit über seine Angst lustig gemacht, dass es zu so einer Reaktion führte? Freunde? Familie?
„Wie gesagt: Eine Phobie ist und bleibt etwas Ernstes. Ich werde das nicht gegen dich verwenden. Das wäre einfach nur durch und durch grausam. Und was hast du denn für Freunde, dass sie sich über so etwas lustig machen. Rennen sie dir etwa damit hinterher und halten ihn dir ins Gesicht?", fragte Shinichi halb scherzhaft.
KID wich seinem Blick aus.
„Ernsthaft? Das machen sie? Das sollte eigentlich nur ein Scherz sein.", stellte er schockiert fest.
Da mischte sich Haibara in ihr Gespräch ein.
„Hört mal! Das Zeug, das dieser stümperhafte Detektiv geangelt hat, ist ungenießbar. Lass uns lieber etwas zu Essen bestellen.", schlug sie vor, während sie begann, den Fisch wieder wegzuräumen, woraufhin sich KID sichtlich entspannte. Mori hatte wohl doch nicht seine Bestimmung gefunden.
„Gute Idee. Kannst du das übernehmen?", stimmte Shinichi erleichtert zu.
Haibara nickte und fuhr damit fort, den ganzen Fisch zu entfernen.
KID hatte sich mittlerweile wieder etwas gefasst und und das Adrenalin verebbte langsam, weshalb Shinichi langsam Richtung Wohnzimmer steuerte, damit KID sich auf das Sofa setzen konnte.
„Kudo, bitte sag wirklich niemanden von meiner Phobie. Ich habe keine Lust darauf, dass Kommissar Nakamori bei meinem nächsten Coup den Raum mit dem Juwel voll mit diesen Dingern stopft.", bat er mit fast schon flehenden Augen.
Er hatte wohl vergessen, sein Pokerface wieder aufzusetzen. Irgendwie fühlte sich Shinichi deshalb etwas unwohl. Deswegen und der Tatsache, dass KID ihn mit seinem richtigen Namen und nicht mit irgendeinem Spitznamen angesprochen hatte. Dass passte einfach so gar nicht zu dem bisherigen Bild, dass er von dem Meisterdieb hatte. Elegant, Furchtlos, Unantastbar, Magisch und doch konnte er sich immer auf ihn verlassen, wenn er ihn brauchte.
Vielleicht zeigte KID ihm etwas von der Person, die er ohne seinen Aufzug als Mondscheindieb war, etwas von seiner menschlichen Verletzlichkeit.
„Lass das mit dem Kudo. Das ist komisch, wenn du mich so nennst. Shinichi reicht. Außerdem ist es doch irgendwie gut, wenn wir ein paar Schwächen des anderen kennen. Schließlich werden wir in Zukunft noch oft zusammen arbeiten und dem anderen den Rücken freihalten. Ich zum Beispiel bin vollkommen unmusikalisch. Mein Gesang ist grauenhaft. Dafür bis du darin aber mit Sicherheit ein Ass, wenn man bedenkt, wie gut du im Verstellen von Stimmen bist.", kicherte Shinichi und ließ KID in einen der Sessel sinken.
Dieser seufzte erleichtert, als er wieder saß und schloss für einen kurzen Moment erschöpft die Augen.
,,Wo du Recht hast, hast du Recht. Ich bin wirklich gut im singen. Aber ich hätte nie gedacht, dass du musikalisch so unbegabt bist, Meitantei. Aber wenn du schon dabei bist, die Dinge herauszufinden, von denen ich eigentlich nie wollte, dass du sie erfährst.....dann kann ich dir auch noch von dieser einen Sache erzählen...", murmelte er ergeben.
,,Was ist es denn?", fragte Shinichi neugierig.
KID seufzte schwer.
,,Erinnerst du dich noch an Skorpion?", wollte KID ungewöhnlich leise wissen.
,,Natürlich! Seiran Hoshi! Wenn ich mich recht entsinne, hatte sie auf dich geschossen, aber dein Monokel hat den Schuss abgewehrt, oder etwa nicht?", wollte Shinichi leicht panisch wissen.
,,Doch, schon. Aber das hat die entstandenen Glassplitter nicht davon abgehalten, in mein Auge einzudringen. Und weil ich mich nicht direkt darum kümmern konnte, weil ich sicher stellen musste, dass ihr Skorpion fangt und dass das Ei zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück kommt, wurde es nur noch schlimmer. Ich bin jetzt fast blind auf diesem Auge.", erklärte er und deutete auf sein rechtes Auge.
,,Aber...es sieht doch ganz normal aus. Normal hat man da doch milchig weiße Narben im Augapfel, oder nicht? Bei dir sehe ich nichts Vergleichbares.", warf Shinichi ein und beugte sich ein wenig nach unten, um KIDs Auge besser mustern zu können.
Dieser wich seiner Bewegung gekonnt aus.
„Hast du zufälligerweise schon einmal etwas von Kontaktlinsen gehört? Oder ist das ein Fremdwort für unseren Herrn Detektiv?", wollte er schmunzelnd wissen.
Der Oberschülerdetektiv errötete sichtlich beschämt und richtete sich wieder auf.
„Das ergibt Sinn....Und das hat noch niemand bemerkt? Ich meine, dein Sichtfeld ist erheblich eingeschränkt und als Magier ist das bestimmt nicht gerade vorteilhaft.", vermutete er besorgt.
„Schon, aber weil ich schon oft als Übung ein paar Wochen vollkommen blind verbracht habe, komme ich eigentlich ganz gut damit klar. Es gibt nur ein paar Dinge, die mir dadurch schwieriger fallen. Mach dir da mal keine Sorgen, Meitantei.", erklärte er lachend.
Mittlerweile war sich Shinichi nicht mehr sicher, ob KID seine Sorglosigkeit über den Verlust nur spielte, oder ob sie echt war, dennoch brannte die Neugier in seinem Inneren wie verrückt.

„Sag mal...Dürfte ich es sehen? Dein Auge meine ich....Also, nur wenn du willst und das auch wirklich okay für dich ist...", druckste Shinichi verlegen herum.
KID schnaubte belustigt und schnippste mit den Fingern, sodass eine kleine Rauchwolke Shinichi kurz die Sicht auf sein Gegenüber nahm.
Als sie sich lichtete, war es, als würde er in einen Spiegel sehen.
„Was schaust du denn so? Hast du etwa wirklich gedacht, ich würde dir das Herausfinden meiner Identität so leicht machen?", schnaubte er belustigt.
Er grinste überheblich und begann, die Kontaktlinse aus seinem rechten Auge zu entfernen. Irgendwie hatte KID jedes Mal, wenn er sich als Shinichi verkleidete, das starke Bedürfnis, den Oberschülerdetektiven zur ärgern. Es war einfach zu lustig. Es war ja nicht umsonst seine Lieblingsverkleidung.
„Als ob ich das wollen würde. So etwas in der Art habe ich schon erwartet.", grinste Shinichi mit einem identischen Gesichtsausdruck zurück.
KID hatte die Kontaktlinse mittlerweile herausgeholt und hielt sie in der Hand. Das betroffene Auge war geschlossen.
„Bereit?"
Er nickte leicht und KID öffnete sein Auge.
Irgendwie....hatte Shinichi alles erwartet, nur nicht das. Er hatte gedacht, dass KIDs Auge vielleicht entstellt oder in irgendeiner Weise hässlich aussehen würde, doch er hatte sich getäuscht. Oh, und wie er sich getäuscht hatte.
Feine weiße Linien durchzogen sein Auge und betonten erstaunlicherweise das wunderschöne leicht ins violett gehende blau. Eine etwas größere milchig weiße Narbe zog sich direkt durch KIDs Pupille.
Shinichi fiel die Kinnlade herunter. Jetzt, wo er einmal die Zeit hatte, in Ruhe die Augen des Magiers zu Mustern, musste er schon zugeben, dass sie wirklich außerordentlich schön waren.
Es war ein wirklich ungewöhnlicher Farbton, von dem sich Shinichi sicher war, dass er ihn überall, zu jeder Zeit wiedererkennen würde.
Völlig gefangen von dem atemberaubenden Anblick, der sich ihm bot, hob er langsam eine Hand und legte sie auf KIDs Wange, um seinen Kopf in einen Winkel zu drehen, von dem er eine bessere Sicht hatte.
,,KID.....eins muss man dir lassen:....dein Auge.....deine Augen! Sind wirklich unglaublich schön.....", merkte Shinichi sanft an, während er langsam seine Hand wieder von der Wange des Diebes gleiten ließ.
KID hielt sanft lächelnd seine Hand fest.
,,Das kann ich nur zurückgeben, Meitantei.", meinte er grinsend und zwinkerte Shinichi frech zu, weshalb dieser sofort etwas errötete.
,,Aber...es muss ganz schön weh getan haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sehr....E-Es tut mir leid. Das ist meine Schuld.", murmelte er traurig und ließ seine Hand in den Schoß fallen.
,,Du und dein Schuldkomplex...Warum denkst du denn jetzt, dass es deine Schuld ist?", murmelte er leicht belustigt und hob leicht Shinichis Kinn an, damit dieser ihm wieder in die Augen sah.
,,Es ist nicht deine Schuld. Es war meine Entscheidung. Und es war die Richtige, schließlich konnte ich dir dadurch wieder einmal das Leben retten. Und ich würde es jedes einzelne Mal wieder tun.", ergänzte KID und schenkte ihm zum Schluss noch ein aufmunterndes Grinsen.

That one fateful SniperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt