Eine wilde Verfolgungsjagd

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Freitags, es war Nachmittag, überredeten meine Freunde mich mal wieder zu einem Spaziergang, diesmal in das nahegelegene Wäldchen, das ebenfalls zum Schulgelände gehörte. Wanderwege gab es dort nicht, so mussten wir uns über liegende Baumstämme schwenken und uns durch Büsche kämpfen.

„Ist es nicht schön, draußen zu sein?", fragte Benni mich.

„Wie man's nimmt. Wenn es so schattig ist wie hier, dann schon."

Plötzlich hörten wir ein Knacken hinter uns.

„Was war das?", wollte ich wissen.

„Ach, sicher nur ein Vogel", beruhigte Lia mich. Doch beim zweiten und schließlich beim dritten Knacken zweifelte Lia doch.

„Irgendwie hab ich das ungute Gefühl, das es näher kommt, oder?"

Benni rückte etwas näher an mich. Und dann zerbrach ein Ast nur wenige Meter von Benni entfernt, der sich wohl stark zusammenreißen musste, um nicht ein kleiner Frosch zu werden.

„Hey!", rief ich. „Wer ist da?"

Jemand kicherte in meine Gedanken rein. War das etwa ein Coldblood?

„Wer ist da?", rief ich noch einmal.

Keiner antwortete.

Auch wenn man nichts sehen konnte, spürte ich, dass wir nicht allein waren. Gleichzeitig spürte ich aber auch, dass wir umkreist wurden. Ich wollte meine Freunde im Notfall als Krokodil beschützen, doch im Wald war meine zweite Gestalt genauso unnütz wie ein Mensch im Wasser.

Also mussten wir rennen, zugleich. Ich musste meinen Freunden sagen, was ich dachte, aber so, dass derjenige, der uns umkreiste, es nicht mitbekam.

In der letzten Stunde Verhalten in besonderen Fällen bei Miss Fatura hatten wir gelernt, dass man seine Gedanken abschirmen und nur mit bestimmten Personen sprechen konnte.

Der Haken war, dass mindestens einer von uns ein Tier sein musste, oder jemand verwandelte sich nur zum Teil. Aber trotzdem, anders ging es nicht.

Also konzentrierte ich mich auf das Kribbeln, um meine Arme in die weißen, schuppigen Pranken zu verwandeln, da ich darin ja so gute Erfahrung hatte. Kurz schloss ich die Augen, dann checkte ich meine Hände ab, die nun krallenbesetzte Krokodilspranken waren. Schnell richtete ich meine Gedanken an meine Freunde und achtete sorgsam darauf, keinen anderen mithören zu lassen.

Ich zähle jetzt bis drei, dann rennen wir, ihr folgt mir, gut?

Lia und Benni nickten kurz.

Ok, eins, zwei...

Ich wartete das nächste Rascheln der Blätter ab, das hinter uns ertönte.

Drei!

Wie der Blitz stürmten wir los. Ich hörte ein wütendes Fauchen, dann schien uns der Fremde zu verfolgen. Zwar hatte ich klar und deutlich gesagt, dass mir meine Freunde folgen sollten, doch schon Minuten später war ich von Lia überholt worden.

„Lia! Warte doch!", keuchte ich. Benni hatte größte Mühe, uns zu folgen, Frösche waren nicht gerade Athleten. Kurzerhand packte ich ihn und zog ihn hinter mir her.

„Keon! Deine Hände!", schrie Benni. Stimmt, ich hatte ja immer noch Krallen! Eilig verwandelte ich sie zurück, hörte aber nicht zu laufen auf. Wartet nur, gleich hab ich euch!, zischte der unsichtbare Verfolger.

Wir rannten was das Zeug hielt, doch der geheimnisvolle Fremde schien kein bisschen zu ermüden.

„Ich sehe schon die Reptil School!"

Lia hatte recht, weit hinten, hinter den Bäumen und Palmen, konnte man die Umrisse unserer Schule erkennen.

Leider waren auch Krokodile nicht die besten Sportler, zumindest nicht an Land, sodass mir allmählich die Puste ausging. Egal, ein Hoffnungsschimmer erfüllte mich, doch im selben Augenblick ertönte ein merkwürdiges Krächzen von hinten, und zwar deutlich näher als von mir erwartet.

Ade, Hoffnungsschimmer.

„Wir müssen Haken schlagen!", keuchte Benni, immer noch in meinem Griff.

„Wie Hasen!"

„Gute Idee!"

Lia sprang zur Seite, ich und Benni machten dieselbe Bewegung nach. Keiner bewegt sich, ist das klar? Wie aus dem nichts tauchte Mr. Kirrin als Wasseragame auf.

„Mr. Kirrin? Sie hier?" Ich war fassungslos. Was machte unser Naturwissenschafts- und Kunstlehrer hier, im Wald der Reptil School? Und vor allem: Was wollte er gegen unseren Verfolger tun? Ich war wohl noch nicht besonders gut darin, meine Gedanken abzuschirmen, Daniel Kirrin antwortete mir sofort: Eure Rufe konnte man von weitem hören.

Ups. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir geschrien haben. Und außerdem ist Nikita auch noch hier. Miss Bluereef kroch in ihrer zweiten Gestalt zu uns heran. Lia, ich und Benni stoppten schlagartig, letzterer knallte beinahe gegen mich. Ich horchte auf, doch nichts regte sich, der fremde Coldblood war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Was ist denn hier los? Mr. Kirrin blickte uns fragend an, was in seiner Tiergestalt ziemlich komisch aussah. „Nichts Besonderes, abgesehen davon, dass wir verfolgt wurden. Womöglich vom unsichtbaren Mr. T", berichtete ich so locker es ging.

Das kann nicht wahr sein! Ich hörte Miss Blureef in Gedanken aufstöhnen.

Wir haben schon alle Hände voll mit den Angriffen zu tun, da fehlen grade noch Verfolgungsjagden.

„Ich störe sie ja nur eeecht ungern, aber unsere Eltern warten auf uns, es wäre eeecht Zeit, zurückzugehen", unterbrach Lia unsere Lehrerin, worauf sie einen missbilligenden Kobrablick einsteckte.

Nun, dann wollen wir euch zur Reptil School bringen, wir wollen eure Eltern doch wirklich nicht warten lassen, meinte Mr. Kirrin.

Auf der Rückfahrt war Jul so gar nicht begeistert von den Ereignissen der letzten zwei Stunden. „Vielleicht solltest du doch lieber nicht an die Reptil School gehen, so gefährlich, wie es hier ist." Ich war fassungslos. Es war gerade mal zwei Wochen her, dass ich ihn versucht hatte zu überreden, nicht auf die Wandlerschule zu gehen. Und jetzt, wo ich mich nicht wohler fühlen konnte, sollte ich all das vergessen? Niemals, mit anderen konnte man das womöglich tun, aber nicht mit einem gewissen weißen Krokodil!

„Bitte, ich will dort bleiben! Mir geht's besser denn je, wenn ich dort bin. Und was ist mit Benni und Lia?"

Julian überlegte kurz, was er darauf antworten sollte.

„Sicher?"

„Sicher!"

„Nun gut wie du willst."

Ich seufzte erleichtert auf.

„Gibt's sonst noch etwas Neues bei dir?", fragte ich.

„Ich habe diese ‚Medusa'-Erscheinungen die ganze Woche über beobachtet. Zwei weitere Auftritte, diesmal an einem anderen See. Dabei kam mir in den Sinn, dass es ein Wandler sein könnte."

„Das denkt Mr. Redsea auch, und hat mich darum gebeten, eine verdächtige Schülerin zu überwachen", berichtete ich ihm.

„Na, da wollen wir deinen Schulleiter doch nicht enttäuschen, oder?" Ich verstand nicht so recht, was Julian damit meinte.

„Was würdest du von einer Campingnacht an diesem See halten. Sagen wir, von Samstagabend auf Sonntagmorgen?" Baff glotzte ich ihn an, nickte dann aber entschlossen. Meine erste Nacht in einem dieser Stoffhäuschen außerhalb der Stadt, das könnte aufregend werden.

Coldbloods - Die WandlerschuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt