Kapitel 4

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August 2019 – Millie

Ich hatte meinem Onkel also geschrieben und wartete nun auf irgendeine Regung.
Doch diese kam nicht, wieso sollte er sich auch noch für mich interessieren nach all dem was passiert war.
Es machte mich traurig, das er wohl keinen Kontakt mehr mit mir wollte. Dabei sehnte ich mich nach einer Familie, Tante Paula war auch so etwas wie meine Familie, aber es war anders mit Onkel Ben.
Er war für mich immer der Held gewesen, der meine Langeweile gelindert hatte in den Sommer und den Winterferien.
Er hatte mit mir Dinge unternommen die Tante Paula mit mir nie unternommen hatte.
Wir waren an einem Konzert gewesen, Schlittschuh laufen, klettern oder wir haben uns zusammen riesige Eisbecher gegönnt.
Es waren schöne Erinnerungen und all die Bücher die er mir mitbrachte, ich habe sie gehütet wie einen Schatz.
Doch jetzt mit diesem Hintergrund konnte er mich wohl nicht mehr leiden.
Ich sah wieder einmal aus dem Fenster und über die Dächer von London, doch es wollte sich kein Freiheitsgefühl mehr einstellen.
Ich kroch also in mein Bett und drückte Goethes Faust an meinen Körper.
In meinem inneren wünschte ich mir dann drei Mal „Bitte Onkel Ben, komm mich besuchen. Bitte Onkel Ben, komm mich besuchen, Bitte Onkel Ben, komm mich besuchen."
Dann war ich auch schon eingeschlafen.

Kurz nach 16 Uhr klopfte es an meine Türe.
„Miiills...los geht's heute ist wieder Gitarrenstunde..",fröhlich wie jeden Tag, kam Sam zu mir rein und strahlte über beide Wangen.
„Ja, ich komm ja schon...",murmelte ich noch etwas verschlafen.
„Du bist so ein Langweiler Millie..du solltest nicht hier schlafen sondern raus gehen in den Garten und schreiben oder Yoga mit Dorothea machen..es würde dir gut tun!",flötete er wirklich nervtötend und ich stöhnte nur auf.
„Jaajaaa...ich weiß schon ...ich halt meine Klappe...",er tat so als würde er sich den Mund abschließen und ich schüttelte nur den Kopf.
Gemeinsam gingen wir in den Musikraum in dem Tessa, sonst ihre Musiktherapie gab, doch einmal in der Woche kam Marc und gab Gitarren Stunden und ich mochte diese Stunden, denn es viel mir leicht Gitarre zu spielen, ich war nicht perfekt, doch nach schon 10 Stunden gab es einige Lieder die ich gut spielen konnte.

Ich betrat den Raum und Marcs Gesicht zeigte wieder dieses Lächeln. „Hey Millie Maus...",dann nahm er meine Hand und führte mich zu meinem Platz, das machte er immer mit allen, doch meistens bekam ich noch ein Kompliment wie zum Beispiel „Deine Augen leuchten heute wie Saphire."
Was mich tatsächlich rot werden ließ.
Ich war immer noch ziemlich mager, doch mein Hunger kam jeden Tag etwas mehr zurück und bald würde ich wieder in meine Klamotten passen ohne das ich ständig Gürtel oder die Bändel so eng ziehen musste.
Wir waren schon fast über der Hälfte der Stunde als ich im Augenwinkel eine Frau sah, zusammen mit Dr. Stevens.
Sie hatte schulterlange schwarze Haare, braune Augen und eine spitze Nase.
Dazu war sie definitiv schwanger und sah besorgt aus.
Ich blickte also wieder auf meine Noten und Marc erklärte was wir heute noch machen sollten, als die Türe aufging und Dr. Stevens mit dieser Frau eintraten.
„Hallo Marc, entschuldige bitte die Unterbrechung ,doch ich müsste mir Millie einen Moment ausleihen, wäre das in Ordnung?"
Marc blickte mich an und ich war für einen Moment etwas irritiert, dann nickte ich und stellte die Gitarre bei Seite.
Dr. Stevens ging vor und die junge Frau folgte ihr.
Danach kam ich mit Sam an meiner Seite, da ich ja nicht alleine durch dass Gebäude gehen konnte.
Wir betraten kurze Zeit später das Arbeitszimmer von Dr. Stevens und diese deutete der jungen Frau an sich hin zusetzten.
Während ich lieber stehen blieb, es verunsicherte mich ziemlich, da ich diese Frau nicht kannte und nicht wusste was sie von mir wollte. So blieb ich ruhig stehen und schaute zu Dr. Stevens.

„Nun gut, Millie. Das hier ist deine Tante, Meredith Winston. Sie ist die Frau deines Onkels."
Ich riss die Augen auf, das war seine Frau?
Jetzt wusste ich, das ich niemals zu ihm gehen konnte, sie war hier um mir das zu sagen.
Sie würde mir sagen, das ich keinen Platz hatte in ihrem Leben.
Ich würde für immer alleine bleiben... und als hatte Dr. Stevens geahnt was ich mir schon gedacht hatte, sagte sie „Na na Millie, so weit sind wir noch nicht, doch sie macht sich natürlich Sorgen."

Die junge Frau mir gegenüber rutschte langsam hin und her auf ihrem Stuhl. „Hi Millie, ich bin Meredith. Schön, dich kennenzulernen.",sie streckte die Hand nach mir aus und ich schüttelte sie.
„Warum ist Onkel Ben nicht hier?",fragte ich nun an Dr. Stevens gewandt doch Meredith antwortete stattdessen „Weil ich dich kennenlernen wollte ohne das dein Onkel dabei ist. Du würdest dich in seiner Gegenwart nie für mich interessieren. Und ich wollte dich sehen und mir selbst ein Bild von dir machen. Er hat mir in den letzten Wochen, seit dein Brief kam einiges über dich erzählt. Und eben auch das er dich gerne bei uns aufnehmen würde, wenn es dir besser geht. Doch das konnte ich ihn nicht alleine entscheiden lassen. Immerhin sind auch noch Ruby und das Baby da. Und ob ich eine Fremde in meiner Familie möchte, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Doch Dr. Stevens meinte das du keine Fremde sein sollst und das es ein Trauma war das dich dazu verleitet hat Drogen zu nehmen. Sie meinte das du nicht mehr rückfällig werden wirst, sobald ihr das Thema mit dem Trauma durchgesprochen habt.",sie sah mich an um Wut oder Enttäuschung zu sehen, doch ich hatte gewusst das so etwas passieren würde.

„Du hast mit so etwas gerechnet? Kann das sein?",ich nickte und sie lächelte „Gesprächig bist du nicht wirklich... oder willst du nur nicht mit mir sprechen?",sie fragte das wirklich aus reinem Interesse und ich schüttelte den Kopf.
Ich sprach generell nicht viel.
Zumindest war es bisher immer so gewesen.
„Ich spreche nie wirklich viel und ich hatte schon damit gerechnet das ich nicht zu Onkel Ben kann. Er meinte das er mich nicht zu sich nehmen kann solange du und die Kinder nicht sicher währt."
„Bist du enttäuscht ?",fragte Frau Doktor mich und ich nickte „Verstehen kann ich es...doch eigentlich wollte ich nie etwas anderes als bei Onkel Ben wohnen, ich hab es mir jedes Jahr zu Weihnachten gewünscht als ich klein war."
Nun blickte mich Meredith lächelnd an „ Wie fändest du es wenn Ruby und ich dich nächste Woche besuchen kommen?"
„Meredith du musst das nicht tun. Ich bin dir nicht böse .."
„ Ach was du musst doch eine Chance bekommen und wenn Ben so fest an dich glaubt, dann werden wir das gemeinsam. Aber du musst die Therapie ernst meinen und dich dann an unsere Regeln zu Hause halten oder in LA.",ich nickte wild es war alles was ich immer wollte.
„Dann machen wir das so, nächste Woche ich und Ruby dann dein Onkel und irgendwann wir alle zusammen.",jetzt nahm sie mich in den Arm.

Ich war total überwältigt und begann unkontrolliert zu schluchzten.
„Es wird alles wieder gut, Millie!",sagte Meredith und verabschiedete sich von mir. Als Sie die Türe hinter sich schloss, brach ich zusammen.
Es war einfach zu viel.
Zu viel Güte und Verständnis.

„Millie? ",Sam war gerade wieder ins Zimmer gekommen.
Ich lag dort am Boden, zitternd und wimmernd wie ein Häufchen Elend. „Mils? Hey Mils..Mäuschen ..bleib bei mir...",doch ich fiel in Ohnmacht. Kurze Zeit später, wurde ich wach und Sam saß neben mir und bevor ich Panik bekommen konnte beruhigte er mich „Psscht...pscht..alles wird gut, Mils. Es war ein gutes Gespräch, es darf dich freuen.",dann streichelte er meine Hand und nickte mir zu. Ich versuchte tief einzuatmen und erinnerte mich daran, das mich Bens Frau mit ihrer Tochter besuchen wollte.

Mich! Die Cracknutte !

„Denk nicht so schlecht von dir..wenn du möchtest geb ich dir noch etwas Beruhigungsmittel, dann kannst du heute Nacht wenigstens durchschlafen. ",Sam kannte mich sehr gut, er wusste das ich mir jedes Wort noch einmal durch den Kopf gehen lassen würde.
Also streckte ich ihm meinen Arm hin und er gab mir die Dosis die ich benötigte um in einem traumlosen Schlaf zu sinken.

Ich wurde erst durch die Schwester geweckt die immer die Frühschicht hatte.
Sabrina, hieß sie.
Sie war ebenfalls sehr nett und nicht gerade zimperlich was das Aufstehen anging.
Ich war kein Frühaufsteher, doch hier musste man spätestens um 9 Uhr aufgestanden sein und gefrühstückt haben.
Die ersten Wochen hatte Sabrina, alles daran gesetzt mich zu wecken. Und zwar in jeder erdenklichen Weise, sie war ein Ass im Wasser über den Kopf schütten, Eiswürfel in die Bettdecke stecken, 15 Wecker zu stellen und diese dann im Zimmer zu verstecken.
Oder das wirklich schrecklichste war, als sie mit der Trompete in mein Zimmer kam und mich damit fast umgebracht hätte.
Weil ich vor lauter Schreck aus dem Bett gefallen bin.
Seit dem, bin ich sofort wach wenn Sie ihren Kopf durch meine Türe streckt.
„Guten Morgen Millie, wie geht's dir heute früh?",ich musste kurz überlegen und noch bevor ich ihr antworten konnte hatte sie meine Fenster geöffnet um zu lüften.
„Wehe du springst jetzt aus dem Fenster ..",lachte sie als sie mein verwirrtes Gesicht sah „Ich würde niemals springen, immerhin würde ich das zu 87% nicht überleben. Ich meine, ich bin im vierten Stock unter uns ist zwar der Innenhof aber ich bin nicht Spiderman."
Jetzt lachte Sabrina fröhlich auf „Schön das du noch immer die Alte bist. Ich habe nur Spaß gemacht. Ich weiß das du das nicht tun würdest." Ich nickte zustimmend während ich in meinem Badezimmer verschwand. Dort wusch ich mein Gesicht und machte mir einen Dutt.
Danach putzte ich mir die Zähne und zog mir die Kleidung an die Sabrina mir hingelegt hatte.
Es war die Routine dich ich nun seid gut vier Monaten mitmachte, die mir gut tat. Doch für meinen Geist war dieses Angebot nichts, ich musste eine Beschäftigung finden die mich erfüllte und die mich forderte.
Und so saß ich im Speisesaal und grübelte über meinen Müsli nach , was ich mit meinem Leben anfangen konnte.
Denn Lehrerin wollte ich beim besten Willen nicht werden.
So aß ich langsam und ging in Ruhe meine Liste im Kopf durch was ich gut konnte und wofür ich nicht in einer Uni sitzen musste.
Sondern wo mir ein Laptop und mein Krankenzimmer reichen würden. Zum Schluss kam ich dazu mich für Fotografie und Mediendesign zu entscheiden, wobei mich auch Kunst sehr interessierte.
Also schrieb ich mir diese Studiengänge auf und wollte Frau Dr. Stevens bei unserer nächsten Sitzung fragen ob ich das tun dürfte.
Denn sicher war ich mir nicht.

Die nächste Sitzung hatte ich am nächsten Tag bei ihr und ich konnte es kaum noch erwarten.
Ich wurde richtig nervös als ich kurz vor unserer Stunde mit dem Zettel vor ihrer Türe stand.
Hibbelig klopfte ich schon an die Türe „Huch Millie, du bist aber heute früh dran?",begrüßte mich Dr. Stevens.
„Ich habe auch einige Fragen an sie und ich hoffe sie können mir diese beantworten.",antwortete ich so schnell das mich die Therapeutin etwas schräg aber dennoch belustigt ansah.
„Okay – also dann setz dich doch erst mal hin und erzähl mir was du genau von mir wissen möchtest..",die deutete auf das Sofa auf dem vor zwei Tagen noch Meredith gesessen hatte.
Also tat ich das was sie von mir wollte und hielt ihr den Zettel hin den ich geschrieben hatte. „Okay..und was ist jetzt die Frage?",die sah mich auffordernd an.
Genau so etwas fiel mir schwer, meine Wünsche und Bedürfnisse zu sagen und sie laut auszusprechen.
Das hatten wir in den vergangen Sitzungen schon herausgefunden, das es ein Teil war, der mich in den Drogenkonsum getrieben hatte, weil ich immer das getan hatte was andere von mir erwartet hatten und mit den Drogen, konnte ich zum einen MEIN Bedürfnis befriedigen, nicht das zu tun was andere von mir wollten.

„Ich ...ich..ich möchte wieder studieren. Ich langweile mich hier sehr, die Angebote sind toll, verstehen sie mich nicht falsch aber..für mich ist es zu einfach. Ich möchte eine Herausforderung und das wären die Dinge die ich gerne studieren möchte und für die ich nicht in die Universität gehen müsste. Dafür fühle ich mich noch nicht bereit.",gestand ich ihr und Dr.Stevens nickte mir verständnisvoll zu.
„Das klingt schon sehr gut, auch deine Formulierung ...du hast in den letzten Wochen an so vielen Stellen an die gearbeitet, doch das mit dem studieren das muss dein Onkel machen, er ist dein Vormund und kann dich einschreiben für diese Kurse. Aber ich denke das er das tun wird. Von meiner Seite geht das absolut klar.",jetzt zeigte sich ein kleines Lächeln in meinem Gesicht.

Millie's - Secrets about Love (N.H.- FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt