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Ich zückte mein Handy aus der Tasche und wischte über den grünen Hörer, direkt zwitscherte ihre Stimme mir entgegen.

,,Hey. Bist du gut angekommen ? Wie waren die letzten Tage ?"

,,Hier gibt es nicht mal nen Supermarkt oder ne Tanke oder irgendwas, wo ich was zu essen bekommen könnte. Es ist nur wenig wie in meiner Erinnerung."

Ich runzelte die Stirn und schaute mich um. Vor zwanzig Jahren war ich das letzte mal hier, mit meiner Familie. Mein Vater hatte gern Urlaub mit uns hier gemacht. Es war günstig und es war die schönste und unbeschwerteste Zeit, die ich je haben sollte. Nie wieder hab ich mich irgendwo so wohl gefühlt wie hier.

Mein Vater wurde älter, vergesslicher und weniger Unternehmungslustig, abwechselnd besuchten wir ihn und versorgten ihn. Nachdem wir dann alle irgendwie erwachsen werden mussten und die meisten meiner Geschwister eigene Familien gründeten, gab es für niemanden einen Anlass zurückzukehren.

Außer für mich. Ich hatte es versprochen, so viele Male.

Ich hatte nur nie Zeit oder besser gesagt, ich hatte nie den Mut, ihr nach all den Jahren in die Augen zu sehen - oder aber wenn sie gar nicht mehr hier war, den endgültigen Verlust irgendwie zu verpacken und zu verstehen, dass ich jede Chance, sie wieder zu sehen, in den Sand gesetzt hatte. Sie hatte so viele Pläne.

Und dann kam irgendwie das Leben, das mich überrollte. Mein Vater wurde krank, wir pflegten ihn, dann starb er. Ich verfiel in eine schwere Depression, war lange von der Bildfläche verschwunden, - beruflich und damit aus der Öffentlichkeit zurück gezogen, war ich auf der Suche nach mir selbst und lernte nach meiner Ankunft in ein neues Leben Amanda kennen. So vergingen die Jahre und immer da, immernoch präsent war sie - wie eine Melodie die man nicht los wurde. Einmal gehört entwickelte sie sich zu einem hartnäckigen Ohrwurm.

Wie lang und wie gern wollte ich sie noch einmal, zum ersten Mal meinen Namen sagen hören.

Und dann endete es ganz plötzlich in meinem Kopf, als hätte es all das nie gegeben. Ich heiratete Amanda, ich war glücklich und ich dachte ich sei angekommen.

Jetzt wieder hier zu stehen, an dem Ort, an dem mein Herz für ewig begraben sein würde - es wühlte mich auf. Warum hatte ich mich bloß von Rita bequatschen lassen, meine freie Zeit zu nutzen. Wenn ich schon nicht zu Ariks Beisetzung auftauchte, obwohl ich offensichtlich eingeladen war, wäre das hier dass mindeste, um mein Beileid zum Ausdruck zu bringen. Damit hatte sie das eh schon schlechte Gewissen noch mehr gefüttert und ich buchte kurzerhand erneut ein Hotel in der Nähe. Und diesmal war ich nicht umgedreht.

,,Komm erst mal inruhe an. Du wirst dich sicher an einiges erinnern, wenn du erst mal alles auf dich wirken lassen kannst."

Zog Rita mich aus meinen Gedanken.

,,Zuerst muss ich was zu essen haben und dann geht's ins Hotel. Ich hab eigentlich nicht viel Zeit, um 15 Uhr hab ich einen Termin. Mein Manager bringt mich um, wenn ich schon wieder zu spät komme."

Rita seufzte leise auf.

,,Du viel beschäftigter Mann."

Ich lachte auf und schüttelte den Kopf.

,,Danach werd ich mich ein bisschen zurücknehmen und an deine Worte denken."

Wir sind nur ein Augenblick (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt