Der November war grau und kalt. Die hübschen Herbstblätter lagen verkrustet auf dem Boden, von ihrer ehemaligen Pracht konnte man nur noch träumen. Ich mochte den Winter nicht besonders, er ließ mich meine gesamte Existenz immer zu sehr hinterfragen. Und er war mir zu farblos.
Die Glocke über der Tür bimmelte, als ich Charlie 's Records betrat. Vor lauter Klausuren und Stress Zuhause hatte ich es nicht eher geschafft. Ich ließ meine Fingerspitzen über die Plattencover gleiten und stieß auf eine erhebliche Staubschicht, als ich in der Abteilung mit dem Anfangsbuchstaben F ankam. F, wie Fleetwood Mac. „Sag nur Bescheid, wenn ich helfen kann. Auch wenn ich so aussehe, ich beiße nicht.", sprach ein älterer Mann. Er zupfte an seinem Bart und musterte mich ein paar Sekunden lang. „Bist du eine Freundin von Elma?". Ich nickte zaghaft. War ich denn eine Freundin von Elma? Er kam um den Tresen herum und streckte mir seine Hand entgegen: „Ich bin Charlie, ihr Vater. Freut mich dich kennenzulernen.". Er hatte einen kräftigen Händedruck und eine Wolke Aftershave, gepaart mit Weichspüler wehte zu mir herüber. „Juniper, Elma und ich kennen uns noch nicht sehr lange.". Ich schaute mich suchend in dem Laden um. „Ist sie heute nicht da?".
Charlie antwortete nicht, stattdessen suchte er drei Platten heraus und bereitete sie vor uns auf dem Verkaufstresen aus. „Kennst du die?". Ich las die Künstlernamen. Jimi Hendrix. Janis Joplin. Jim Morrison. Alle drei kamen mir nicht bekannt vor, ich schüttelte mit dem Kopf. Er deutete auf das erste Cover. „Jimi, hat zur Evolution der Rockmusik beigetragen.". Er deutete auf die zweite Platte. „Janis, sie war eine Hippie-Legende. Und Jim, niemand hat in den 1960ern so gute Lyrik wie er verfasst.". Ich nickte brav, wusste aber nicht recht, was ich mit den Informationen anfangen sollte. Wahrscheinlich wollte er einfach nur sein Musikwissen an die nächste Generation weitervermitteln.
„Diese Namen solltest du dir unbedingt merken, Juniper", Charlie kratzte sich an seinem Bart, „weswegen bist du noch mal hier?". Ich versuchte mir die Namen auf den Covern einzuprägen. Jimi, Janis, Jim. Drei J's. „Eigentlich wollte ich zu Elma.", antwortete ich. Aber mich mit ihm über Musik zu unterhalten, war irgendwie auch ganz interessant. „Elma ist in Manhattan, folge einfach der Straße bis du im Nirgendwo landest. Und dann musst du rechts.". Er bückte sich und zog einen schwarzen Schal hervor. „Kannst du ihr den bitte mitbringen? In Selbstfürsorge ist sie eine Niete.". Meine Finger umschlossen den flauschigen Stoff. „Kein Problem, vielleicht sehen wir uns ja mal wieder. Ich würde wirklich gerne mehr über Janis und Co. erfahren.".
Wie Charlie gesagt hatte, folgte ich dem Weg, bis er nicht mehr gepflastert war, und bog auf den Trampelpfad nach rechts ab. Er schien nicht allzu oft benutzt zu werden. Manhattan, war das eine Bar, die ich nicht kannte? Es ging ziemlich steil bergauf, ich musste aufpassen, in der Dunkelheit nicht auszurutschen. Doch dann entdeckte ich Elma; sie saß auf einer Bank und vor ihr strahlte ein Lichtermeer. Doch von einem Manhattan war nichts zu sehen. Wir befanden uns auf einem Hügel, von dem man über die ganze Stadt und sogar noch ein bisschen weiter schauen konnte. Sie drehte sich mit einer Petroleumlampe in der Hand überrascht zu mir um.
„Hey, Juniper."
„Hey, Elma."
Ich setzte mich neben sie auf die abgewetzten Holzbretter und reichte ihr den Schal. „Charlie meinte, dir ist bestimmt kalt.". Elma schmunzelte und hielt mir eine dampfende Thermosflasche unter die Nase. Es roch nach Kakao und Marzipan. Ich probierte einen Schluck, das Gebräu brannte furchtbar im Hals. Sie lachte, es war ein echtes Lachen. „Amaretto-Kakao, aber mehr Amaretto als Kakao.". Sie tastete mit ihrer warmen Hand nach meiner kalten Wange und wickelte mir dann ihren Schal um. „Ich glaube, den brauchst du mehr.".
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a n o m a l i e
General Fictionals juniper im augustnebel nach einem abenteuer sucht, findet sie elma mit dem tiger-tattoo. zwischen schallplatten, selbstfindung und herbstblättern entdecken die beiden die facetten der liebe. oder was auch immer liebe sein mag. anomalie; eine abw...