11. brausestraße

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Ich war noch nie vorher in einem Nachtclub gewesen, aber dieser wirkte besonders cool, mit dem Innendesign wie in einer stillgelegten U-Bahnstation. Es herrschte aufgeregtes Stimmengewirr, das Konzert schien ausverkauft zu sein, während an der Bar die Gläser klirrten. Ich wusste nicht recht, wo ich hingehen sollte, da alle anderen in Freundesgruppen erschienen waren. Bis ich einen tätowierten Arm in meine Richtung winken sah. Charlie. Schnell bahnte ich mir einen Weg durch die Menge und stand auf einmal unbeabsichtigt direkt in der ersten Reihe, während eine Gruppe Mädchen mich abwertend musterte.  „Schön, dass du da bist.", er schüttelte kräftig meine Hand und hielt mir eine Tüte sauerer Apfelringe vor die Nase, „greif nur zu, ich hab ne Menge von dem Süßkram. Möchtest du etwas trinken?". Noch bevor ich antworten konnte, machte er sich schon auf dem Weg zur Bar.

Plötzlich begann die Menge zu jubeln und ich bemerkte, dass bereits drei Leute ihre Plätze an den Instrumenten eingenommen hatten. Nur noch eine bordeauxrote E-Gitarre stand herrenlos da. In diesem Moment betrat Elma die Bühne. Sie sah gut aus, mit dem Korsett und der Lederhose. Nein, „gut" war das falsche Wort, sie sah atemberaubend aus. Ihre Präsenz erfüllte den ganzen Raum. „Na dann bin ich ja gerade noch rechtzeitig!", Charlie tauchte mit zwei Bierflaschen neben mir auf. Er drückte mir eine in die Hand, prostete erst mir und dann Elma zu, die sich gerade die Gitarre umhängte. Sie grinste, als sie mich bemerkte, und zwinkerte mir zu. Eigentlich war ich keine Biertrinkerin. Aber heute schon.

Elma hatte eine schöne Stimme, keine typische Popstar-Stimme, sondern etwas rauer. So ähnlich wie Bonnie Tyler. Aber auch nicht ganz. Ich schaute ihr gerne beim Performen zu; sie spielte mit dem Publik und ihrem Sexappeal. Vielleicht spielte sie auch gar nicht, sondern es war einfach nur Elma. Ich mochte es, wie sie immer wieder zu uns herüber schaute und fast zu lachen begann, als sie Charlie und mich miteinander tanzen sah.

„Okay Leute, wir spielen gleich unser letztes Lied. Das ist sehr schade, heißt aber auch, dass jetzt Zeit für die Brausestraße ist!". Plötzlich begann die Menge zu johlen und viele versuchten sich nach vorne zu drängeln. Elma und der Bassist hielten beide ein Shotglas und ein Päcken Brausepulver hoch. „Finn hat freie Auswahl, ich hab für heute schon jemanden.", während ein Buhen durchs Publikum ging, hopste sie von der Bühne und kam zu mir. Sie griff nach meiner Hand und zog mich weiter nach vorne. „Einen Applaus für Juni, bitte!", sprach ein anderes Mitglied der Band ins Mikrofon. Es war mir unangenehm, dass mich plötzlich alle anstarrten und bejubelten. „Ist das okay für dich?", flüsterte sie, während sie Vodka auf meinen Hals strich und dann Brausepulver darüber streute. Ich nickte, unsicher darüber, was als Nächstes passieren würde. Finn hatte das Gleiche bei einem Mädchen gemacht.

Das Publikum zählte einen Countdown herunter, während ich meine Haare zurückhielt und Elma meinen Nacken umfasste. Ihr Körper strahlte Hitze aus und sie duftete nach Sandelholz. Als wir bei null angekommen waren, begann sie rasch meinen Hals abzuknutschen. Das war also die gefeierte Brausestraße. Damit löst sie ein nervöses Flattern in meiner Bauchgegend aus, welches ich noch nie zuvor gespürt hatte. Es war ein bisschen so, als hätte ich einen Ameisenhaufen verschluckt. „Erster!", brüllte sie plötzlich und riss siegessicher meinen Arm nach oben. Während die Menge um uns herum ausflippte, gab sie mir einen sanften Eskimokuss.

Elma schwang sich wieder zurück auf die Bühne, während die anderen schon das letzte Lied anstimmten. Irgendwo, irgendwie, irgendwann. Dieses mal tanzte ich nicht, weil alle anderen es taten, sondern weil ich tanzen wollte. Ich wusste nicht genau, was mit mir passiert war, aber auf einmal fühlte ich mich ganz locker und es war mir egal, was die Menschen um mich herum dachten.

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