16. herzensangelegenheiten

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Ich hatte noch nie so nervös an einem Küchentisch gesessen. Mein Blick viel auf die Kinderfotos an Wand gegenüber. Juniper als kleine Ballerina, im Freizeitpark oder bei ihrer Einschulung. Sie sah glücklich aus. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, klatschte Oma Rosi mir den dritten Apfelpfannkuchen auf den Teller. „Wenn du ihn verschmähst, nehm ich's persönlich.", sagte sie und wischte sich die Hände an der geblümten Schürze ab, bevor sie sich wieder dem Herd zu wand. Juniper neben mir kicherte, sie hatte Recht gehabt; entweder man liebte oder man hasste dieses Frau. Und ich mochte sie. Etwas anderes blieb mir ja auch gar nicht übrig.

Nachdem wir einen beachtlichen Stapel der leckersten Pfannkuchen der Welt verdrückt hatten, folgte ich ihr die Treppe hinauf nach oben. Doch plötzlich zog mich Oma Rosi am Arm zurück in die Küche. „Meinst du es ernst mit Junilein?", wollte sie wissen. Ich nickt rasch, da ich Angst hatte, sie würde mich sonst mit einem Kochlöffel verdreschen. Es war vielleicht dämlich sich vor einer alten Dame zu fürchten, aber sie strahlte eine gewisse Stärke aus. „Die Haarfarbe steht Ihnen übrigens ausgezeichnet.". Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und ihr Griff wurde lockerer. „Du bist keine schlechte Wahl, aber ich behalte dich im Auge, Mädchen", sie ließ mich los, „und jetzt lass Junilein nicht so lange warten!". So schnell ich konnte sprintete ich die Treppe hinauf, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Außer Atem ließ ich mich neben sie aufs Bett fallen und schaute mich um. Das Zimmer wirkte sehr gemütlich, mit den vielen Pflanzen und den vollgestopften Bücherregalen. Ein bisschen wie eine verwunschene Räuberhöhle. „Ich mags hier, besonders den da.", ich zeigte auf das Poster von Edward Cullen über mir. Er war von Frauen umzingelt, wie im echten Leben. Sie kicherte und rückte dichter an mich heran, sodass ihr Kopf in der Kuhle zischen Schulter und Hals lag. Dann zeigte sie auf die Origamikraniche, die von der Deckenlampe baumelten. „Manchmal wünsche ich mir, ich könnte fliegen. Wie ein Kranich würde ich im Winter weiterziehen, aber immer wieder zurückkommen.". Da kam mir eine Idee. Ich winkelte meine Beine an und bedeutete Juniper sich dort draufzulegen. Sie streckte ihre Arme aus, ich hielt sie an den Händen und hob sie noch ein kleines Stück höher. Flugzeug, wie mein Vater es früher mit mir gespielt hatte. Das Ausbalancieren fiel uns schwer, aber irgendwann klappte es. Juniper flog, ihr Gesicht schwebte über meinem und lief langsam rot an.

Das brachte mich so sehr zum Lachen, dass wir das Gleichgewicht verloren und sie auf mir landete. Und einfach liegen blieb. Ich spielte mit ihren Haaren, die wie Seide durch meine Finger glitten, während ich Kopf auf meiner Brust ruhte. Er hob und senkte sich mit mir. „Ich kann dein Herz hören.", sagte sie nach einer Weile des Genießens. Mein Herz. Ein verkümmerter, komischer Klumpen. „Was erzählt es dir denn?". Na gut, vielleicht hatte Juniper es ein wenig erblühen lassen. Vielleicht hatte sie den Winter in mir verscheucht. „Du solltest dich mehr wie eine Discokugel sehen, gerade weil du ein bisschen kaputt bist, strahlst du so schön. Und es scheint mich wirklich zu mögen, sonst würde es nicht so ruhig klopfen.". Ich gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Wie Recht sie doch hatte.

Plötzlich nahm sie meine Hand und schob sie ganz selbstverständlich unter ihren Wollpullover. „Fühl mal, mein Herz mag dich auch gerne.". Ich spürte, wie gleichmäßig das Blut durch ihre Adern gepumpt wurde. Vielleicht waren wir so etwas wie Urlaub füreinander. Zum ersten Mal kam ich auf den Gedanken, ob es sich bei uns beiden vielleicht um richtige, wahre Liebe handelte.

Den Abend verbrachten wir auf der Hollywoodschaukel, mit den original geblümten Retropolstern. Um der Kälte zu trotzen hatten wir uns ein Nest aus Decken gebastelt, genauso wie eine Thermosflasche Glühwein mitgehen lassen. Wir schaukelten vor uns hin, genossen die Nähe des anderen und beobachteten Fuchs und Hase dabei, wie sie sich gute Nacht sagten.

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