12. schaumschnee

26 7 2
                                    

Juniper war mit dem Kopf an dem Gitarrenkoffer auf der Rückbank eingenickt, während Charlie uns in dem alten Opel durch die menschenleere Stadt lenkte. Ich begutachtete sie im Rückspiegel, während John Lennon blechern aus dem Radio dudelten. Es sah schön aus, wie sich Schatten und Licht auf ihrem Gesicht abwechselten. Irgendwie hatte das Ganze etwas friedliches. In diesem Moment blinzelte sie und unsere Blicke trafen sich. „Sollen wir dich nach Hause bringen?", fragte ich. Sie murmelte etwas unverständliches, was für ein „Ja" aber viel zu lang war. Also nahm ich sie mit zu mir.

Zuhause angekommen ließ ich uns ein dampfendes Bad ein. Auch wenn es mitten in der Nacht war; die Anstrengung der Show steckte mir noch in den Knochen und Juniper hatte sich beschwert, dass ihr Hals von dem Brausepulver klebte. Ich legte ein altes Mixtape von den Smiths ein und zündete die Kerzen in den leeren Schnapsflaschen an. Nicht um es romantisch zu machen, sondern einfach nur gemütlich. Aber auch damit die ausgeblichenen rosa Kacheln an den Badezimmerwänden nicht so hässlich aussahen.

Juniper stand unsicher im Türrahmen, als sie mich in der Wanne sitzen sah. „Ich schau nicht hin, versprochen.", demonstrativ hielt ich mir die Hände vors Gesicht, ohne einen Spalt zu lassen. Versprochen war versprochen. Ich hörte wie Kleidung zu Boden fiel und spürte dann, wie das Wasser schwappte. „Fertig.", sie saß mit angezogenen Knien unsicher vor mir. Um die Situation etwas auflockern, pustete ich ihr etwas Schaum ins Gesicht. „Dieses Jahr schneit es anscheinend schon im November.", sie gluckste und tat es mir gleich. Vielleicht hatte ja gerade jemand unsere Schneekugel ein wenig geschüttelt.

„Komm dichter", sagte ich und zog einen Waschlappen aus dem Regal, „dann kann ich dich von dem Klebkram befreien.". Sie robbte mit dem Rücken zu mir gerichtet dichter an mich heran und hielt ihre honigblonden Haare hoch. Vorsichtig begann ich ihre Haut zu reinigen, erst den Nacken und dann den gesamten Rücken, während sie mit dem Schaumberg vor sich spielte. Ich wollte sie am liebsten weiter berühren, Millimeter nach Millimeter mit meinen Fingerspitzen ertasten. Zaghaft strich ich über die Hubbel ihrer Wirbelsäule, wobei sie eine Gänsehaut bekam.

Juniper hielt den Atem an, als meine Lippen sanft auf ihr rechtes Schulterblatt trafen. Dann auf das linke. Meine Hände strichen über ihre Arme, während ich weiter Küsse auf ihrem Rücken verteilte. „Was machst du da?", ich sah wie sich ihre Schultern anspannten hatten und hielt inne. „Soll ich aufhören?". Sie überlegte nicht lange. „Nein, es ...  ich bin müde.". Jetzt wo sie es sagte, wurden meine Augenlieder auch immer schwerer. Ich gab ihr einen zarten Handkuss und stieg aus der Badewanne, um Handtücher zu holen. Mein Blick war gen Boden gerichtet, als sie aufstand und es sich umwickelte. Alles andere wäre unhöflich gewesen. „Dankeschön, für den ganzen Abend.", sie lächelte und zupfte mein Handtuch ein bisschen höher. Ich gab ihr einen zweiten Eskimokuss. Warum, wusste ich selbst nicht genau. Es fühlte sich einfach richtig an. Und sie erwiderte ihn.

„Das ist ein gutes Frühstück.", schmatzte Juniper, während sie in einem alten Kinderschlafanzug von mir auf dem Bett saß und die Pizzareste von gestern gefunden hatte. Tatsächlich war es fünf Uhr morgens. Eigentlich hatten wir nach dem Bad nur noch ein bisschen über Gott und die Welt geredet, aber dabei hatte es sich wohl um Stunden gehandelt. Ich stand in Unterwäsche an dem geöffneten Fenster und rauchte eine Zigarette. In den Wohnungen auf der anderen Straßenseite gingen bereits die Lichter von den Frühaufstehern an und der erste Jogger lief unten entlang. Verrückt, wie wir den Schlaf einfach geskippt hatten. Verrückt, wie wir das Ganze ein paar Büchern und einer Telefonzelle zu verdanken hatten.

a n o m a l i eWo Geschichten leben. Entdecke jetzt