0 | Epilog

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Dr. Christof Gregorius ging an diesem Abend zur Feuerschutztür des Schlaflabors und drückte die Tastenkombination des Schaltpultes. Mit einem Surren öffnete sich die schwere Tür und er trat in den weißen Raum, in dem exakt vierundzwanzig Betten standen. Sieben davon waren zurzeit belegt und er steuerte zielgenau auf das Bett mit der Nummer 1-0-1 zu.

In dem Bett lag eine junge Frau Mitte zwanzig, die er wegen des Verbrechens, welches sie an ihrem damaligen Freund und Verlobten begangen hatte, nur ‚Spiegelmörderin' nannte. Sie war seit etwa zwei Jahren in Behandlung und hatte heute das erste Mal wirkliche Fortschritte gemacht. Die Auswertung ihrer Simulation, die er spaßhaft als Therapiestunde bezeichnete, hatte einen Score von 79 Punkten ergeben. Leider war sie von dem durch den Richter angeordneten Zielwert von 85 noch zu weit entfernt.

Bis zum Schluss hatte der Doktor gehofft, dass sie es diesmal schaffen würde. Doch ihr Verlangen nach dem Messer zu greifen, hatte ihr bis dahin gutes Ergebnis im letzten Moment negativ beeinflusst.
Auf der anderen Seite hatte ihre Bitte, es noch einmal versuchen zu dürfen, dem jungen Arzt gezeigt, dass sie es dieses Mal anscheinend wirklich geschafft hatte, über sich selbst und ihre Tat zu reflektieren. Und vielleicht war dies ja tatsächlich die letzte Simulation, die er für sie starten musste, ehe sie in diese Welt zurückkommen konnte.

Der Vorfall, welcher sie überhaupt erst in diese missliche Lage gebracht hatte, war damals durch die landesweite Presse gegangen. Die Zeitungen hatten einen Spaß daran gehabt, die Story auszuschlachten:

Junges Mädchen aus wohlhabendem Elternhaus gerät an Heiratsschwindler!

Doch der Mann, der sich neben seiner Verlobten auch noch diverse andere wohlbetuchte Damen warmhielt, hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn als die junge Frau eines Abends früher nach Hause gekommen war, hatte sie ihren Freund in Flagranti mit einer anderen erwischt und kurz entschlossen gehandelt: Sie erschlug die Geliebte, bei dem Versuch sie bei ihrer Flucht aufzuhalten, bedauerlicherweise mit einem schweren Handspiegel und stach dem Schwindler, der ihnen nachgeeilt war, in ihrer rasenden Wut mit zwei spitzen Scherben aus dem zerbrochenen Spiegel die Augen aus. Nie wieder sollte er eine andere Frau ansehen!

Da die Familie des Mädchens im öffentlichen Rampenlicht stand, hatte sie praktisch keine andere Wahl gehabt, als eine neue, noch nicht final erprobte Behandlungsmethode in Betracht zu ziehen, um das Mädchen nicht ins Gefängnis schicken zu müssen.
Doch auch wenn die Methodik immer ausgereifter wurde, war es noch ein langer Weg, bis man mit hoher Gewissheit sagen konnte, ob die Behandlung auch zu einem Erfolg führen würde und wann.

Denn erst wenn das Mädchen wieder aufwachen, und sich in der realen Welt zurechtfinden müsste, würde sich zeigen, ob das gewünschte Ergebnis - die Rehabilitation - tatsächlich erreicht worden war. Bisher hatte es noch keiner der Probanden durch die Simulation geschafft.

Ein lautes Geräusch, wie das von einer Standuhr, ließ den Doktor zusammenfahren. Warum vergas er nur immer, sein Handy auszuschalten? Ein zweiter Schlag ertönte und er fischte das Telefon aus seiner Kitteltasche und beantwortete das Gespräch, bevor es ein drittes Mal läuten konnte.

„Ja?", antwortete er etwas zu harsch und bereute es sogleich wieder. Am anderen Ende war seine Frau.
„Ja, Schatz, ich komme gleich nach Hause. Ich muss nur noch eine neue Simulation für die Patientin starten, dann mache ich Feierabend. Ja, ich bringe noch Vogelfutter mit... Ich dich auch, bis später", beendete er und schob das Handy wieder in die Tasche.

Mit geübten Fingern befestigte er die Dioden mit den Kabeln an dem Ganzkörperanzug der Patientin und stellte an dem Apparat die neue Simulation ein. ‚Mal sehen, was diesmal passiert', dachte der Doktor, doch er konnte diesmal nicht hierbleiben, um aufzupassen. Die Nachtschicht würde sich heute die Aufnahmen im Kontrollraum ansehen und eingreifen, wenn etwas aus dem Ruder lief. Und er würde einen schönen Abend mit seiner Frau verbringen; außerhalb der beklemmenden Gefängnismauern.

„Stellt euch vor, ihr hättet die Chance auf einen zweiten ersten Eindruck.
Stellt euch vor, dieser weiße Bildschirm, auf den ihr grade schaut,
ist eure Chance auf ein ‚Neues Ich'",

hörte er noch aus den Kopfhörern, die er der Frau grade aufsetze.

Den Rest kannte er schon auswendig. Der Anfang war immer gleich.

Nur die Entscheidungen, die sie treffen würde, machten den Unterschied, zwischen dem was sie gewesen war und dem was sie eines Tages sein konnte.




Nur die Entscheidungen, die sie treffen würde, machten den Unterschied, zwischen dem was sie gewesen war und dem was sie eines Tages sein konnte

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Circa 23.500 Wörter

Bevor ihr das Buch zuklappt, habe ich noch eine Bitte an euch

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Bevor ihr das Buch zuklappt, habe ich noch eine Bitte an euch. Sollte der eine oder die andere mit dem Wissen vom Ende dieses Buch noch einmal lesen wollen, würde ich euch bitten, nicht in den Kommentaren zu Spoilern.

Es wäre schade, wenn man den Erstlesern, dadurch, dass Ende vorab verraten würde.
Vielen Dank
Auch fürs Lesen, Kommentieren und Voten ♥️

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