1. Almost Paradise

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Es war ein früher Sommermorgen, wenn man es als solchen überhaupt bezeichnen konnte. Normalerweise war ich heiße Sommer gewohnt, aber schon in dem Moment, als ich aus meinem Auto stieg und mich reckte, wurde mir klar, dass das hier kein normaler Sommer werden würde. Eine feuchte und kalte Luft kam mir entgegen, die mir sofort deutlich machte, dass ich wohl oder übel viel zu dünn angezogen war. Mitten im Nirgendwo stand ich nun und war im Begriff mir meinen Allerwertesten abzufrieren.

Das war also Virginia. Ein Bundesstaat der USA, den ich bislang noch nie bereist hatte. Ich war angekommen in den Blue Ridge Mountains. In dem Song von John Denver dachte ich immerzu an den Wilden Westen, allerdings war hier davon nichts zu spüren. So blicke ich auf die kleine Blockhütte, die ringsum von Bäumen umgeben war und zu dem kleinen Ort Crimson Dawn gehörte. Wahrscheinlich war es ein kleines, verschlafenes Städtchen, in dem jeder jeden kannte und Fremde böse beäugt werden. "Nicht schon wieder!", dachte ich. "Hör gefälligst auf zu denken, denn dafür bist du ja hergekommen, Ilvy!", mahnte ich. Aber es war schon wieder passiert. Ich konnte einfach nicht aufhören zu denken. Auch machte ich mal wieder die Welt schlechter, als sie war, was mein Markenzeichen ist. Ich bin eben eine Optimistin mit Erfahrung.

Voll motiviert trug ich meine beiden Koffer in mein neues Heim auf Zeit und war schon sehr gespannt wie es drinnen aussah. Sobald ich die Tür aufschloss roch es nach Holz, was auch daran lag, dass innen so gut wie alles mit dem Naturmaterial ausgekleidet war. Bei meinem ersten Rundgang kam ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Parallel zur Eingangstüre war eine riesige Fensterfront, die einen fantastischen Blick auf die Baumwipfel frei gab. Meine Küche, für die nächsten beiden Monate, war offen zum großen Wohnzimmer hin, das einen großen Steinkarmin hatte. Zwei gemütliche Sofas riefen schon nach mir, dass ich mir dort eine Kuhle einrichteten sollte, aber das musste warten.

Des Weiteren waren im 1. Geschoss noch eine kleine Gästetoilette und ein kleines Arbeitszimmer. Klein war es vor allem deshalb, weil es eigentlich nur aus Bücherregalen bestand, die üppig gefüllt waren. Vielleicht war es auch eher eine Bibliothek. Da sich hier aber ein Schreibtisch befand war es für mich ein Büro, was ich nur all zugut von meinem bisherigem Leben an der Ostküste kannte. "Ilvy, du machst es ja schon wieder!", ermahnte ich mich. "Ich bin jetzt hier und nicht dort, also weg mit den Gedanken an das, was sonst Normalität war und hin zum Spaß!", sagte ich laut. Den großen Ohrensessel bemerkte ich erst beim Rausgehen. Schnell machte ich kehrt und setzte mich umgehend hinein. Er war sehr bequem und ich war beeindruckt wie toll auch von hier aus die Aussicht war. Schnell holte ich mein Smartphone heraus und schoss das erste Foto. Schnell tippe ich die Worte: "Von hier aus startet die Reise!" in die Tasten. Als ich es abgeschickt hatte machte ich mir schon wieder Gedanken, dass das keine wirklich coolen Einstiegsworte waren. "Übung macht den Meister.", kicherte ich und kam mir beim Aussprechen der Worte schon etwas bescheuert vor, denn es war ja niemand außer mir da. Sofort dachte ich daran, dass mein Aufenthalt hier schon seine Schattenseiten zeigte, denn ich wollte definitiv nicht zu einer Selbstgespräche führenden komischen Tante werden. Schnell schüttelte ich den Kopf und machte mich auf den Weg die Treppe hochzusteigen, die sich im Wohnzimmer nach oben schlängelte.

Oben angekommen konnte ich mich fast nicht von der Galerie losreißen, denn der Blick aus der Fensterfront war von hier noch unglaublicher. Das Schlafzimmer war gemütlich eingerichtet, als ich allerdings den winzigen Kleiderschrank sah, drohte meine Laune sich wieder zu verschlechtern. „Wo zum Teufel soll ich meine ganzen Klamotten unterbringen? Fuck!", stellte ich fest. Erwartungsvoll öffnete ich die angrenzende Tür. Hinter dieser war kein Ankleidezimmer zu finden, sondern nur ein Bad. Mir würde also nichts anderes übrig bleiben, als einen Großteil meiner Kleidung im Koffer zu lassen.

Eine große, weiße Wanne kam sofort in mein Blickfeld. Da war sie dahin meine gute Laune, denn ich hasste baden. Schnell besserte sie sich wieder, als ich die schicke, bodentiefe Dusche sah. Erleichtert stieß ich Luft aus und begann sofort lauthals los zu lachen. "Ich hab vielleicht Probleme", sagte ich kopfschüttelnd. Zurück im Schlafzimmer bemerkte ich noch einen kleinen Ofen. Hierbei fragte ich mich warum er denn überhaupt da war. Das Haus war so modern eingerichtet, da musste doch eine Heizung geben. Schnell dachte ich daran, dass ich diese im Sommer nicht brauchen würde. Dann fiel mir allerdings wieder ein, dass ich immer noch überall Gänsehaut von der Kälte hatte. Also lief ich wieder nach unten und zerrte meine Koffer hoch in das Schlafzimmer. Als ich sie die Treppenstufen hinauf geschleppt hatte kam mir sofort ein Gedanke, der meine Stimmung wieder etwas trübte. Hatte ich irgendwo einen Waschtrockner gesehen? Im Bad war zumindest keine. "Na großartig!", stieß ich verzweifelt aus, lies mich ins Bett fallen und deckte mich zu. Normalerweise habe ich echt meine Probleme mit dem Einschlafen, aber es war plötzlich, als wäre ich eine Puppe. Kaum lag ich in der vertikalen, gingen meine Augen zu und ich war weg. Dies war aber auch nicht verwunderlich, denn ich war eine lange Zeit mit dem Auto unterwegs gewesen.

Das Flüstern der BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt