Kapitel 7

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"Wenigstens verhungern wir hier unten nicht", wiederholte sie seine Worte und versuchte sich an einem Lächeln. Die Taschenlampe beleuchtete den Trümmerhaufen von unten und tauchte den Gang in ein schummriges Licht. Er nickte stumm und starrte auf die Wand vor ihm.

Die Verzweiflung kroch ihm eiskalt den Rücken hoch. So hilflos hatte er sich nie zuvor gefühlt, eingeschlossen mit einer Fremden. Die Batterien werden ihnen früher oder später ausgehen und sie werden im Dunklen sitzen. Danach wird langsam das Essen, sowie Wasser knapp werden. "Das hier ist eine verdammte Grabkammer", fluchte er leise vor sich hin.

Sie saß stumm neben ihm während er vor sich hin fluchte. Sie wollte sich nicht damit abfinden jetzt so zu sterben. Entschlossen stand sie auf und begann die Trümmer zu entfernen. Immer wenn sie einen Stein entfernte rutschten neue nach. "Das wird nichts Cia, sobald die Trümmer weg sind wird die Erde in das Tunnelsystem rutschen." bemerkte Mica und blickte sie aus geröteten Augen an. Sie hatte nichtmal gemerkt, dass er geweint hatte.

Niedergeschlagen nickte sie und ließ sich auf den Boden nieder. "Ich dachte immer ich würde einen schnellen, unerwarteten Tod sterben. Darauf zu warten scheint mir irgendwie falsch", begann sie zu sprechen und hatte Mühe sich zu beherrschen. "Ich hoffe meine Familie hat es rausgeschafft", erwiderte Mica mit rauer Stimme. Cia zuckte mit den Schultern, ihm falsche Hoffnungen zu machen, war jetzt bestimmt nicht richtig. "Wie kannst du nur so sein? Es wirkt als wäre es dir egal und trotzdem hast du auf Karl geschossen bevor er es hatte tun können." Sie blickte zu ihm auf, in ihrem Blick lag was betrübtes. "Er hätte geschossen, was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Ich könnte nicht nochmal zusehen wie jemand stirbt der mir..." sie brach ab und überdachte die Worte nochmal. "...der mich beschützt hatte", murmelte sie. Mica nickte nachdenklich ehe er sie musterte.

"Wo warst du als, das Ganze begann?" fragte er sie nun. "Ich war mit Freunden und meinem Bruder campen. Er wollte mich anfangs gar nicht mitnehmen..." erzählte sie mit einem träumerischen Blick. "Klingt schön", bemerkte er. "War es auch, bis die ersten Bomben fielen", erwiderte sie und verzog gequält das Gesicht. "Diese Geräusche und das Gekreische der Leute. Ich wollte nach Hause, doch Collin hat mich zurückgehalten. Zu meinem Glück, ohne ihn wäre ich nicht nur einmal in mein eigenes Verderben gerannt", endete sie ihre Erzählung schnell, die Erinnerungen waren quälend für sie. Die bekannten Gesichter, die sie nie wieder sehen würde. Ihre Eltern, Freunde, ihren Bruder, Ryan.

"Er war dir wohl sehr wichtig", erwiderte er und beobachtete das Mädchen, während ihr einige Tränen über die Wangen rollten. "Er war mein großer Bruder, ohne ihn wär ich schon lange nicht mehr hier", schluchzte sie nun, die angestaute Verzweiflung kam mit einer Wucht über sie mit der sie nicht gerechnet hatte. Trotzig wischte sie sie mit dem Ärmel ihres Pullovers weg. "Er war alles was ich noch hatte", murmelte sie.

Unsicher legte Mica einen Arm um ihre schmalen Schultern. "Du bist nicht alleine", flüsterte er ihr ruhig zu, aus welchen Gründen auch immer hatte er das dringende Bedürfnis sie zu beschützen. Sie nickte dankbar und lehnte den Kopf an seine Schulter. "Die Sonne war mir lieber", bemerkte sie und lachte kurz auf. Trotz allem war es ihr noch immer nicht geheuer in der Dunkelheit zu sitzen. Die Taschenlampen spendeten zwar etwas Licht, doch von wohlfühlen war Cia weit entfernt.

Mica dagegen musterte sie forschend. Dieses Mädchen war ihm ein Rätsel, nach allem war es ihr lieber an der Sonne zu sein als hier. Schützend hatte er seinen Arm um sie gelegt, während sie die Augen schloss und an ihm lehnte. "Wie alt bist du?" "19", murmelte Cia leise und rührte sich nicht von der Stelle. "19... dann warst du 17 als das Alles begann." "Mhm... du?" stellte sie ihm zum ersten Mal eine Gegenfrage. "22", antwortete er und lächelte seit langem wieder mal ehrlich. Dieses Gespräch hatte sowas normales, alltägliches. Cia nickte wieder ehe sie ihren Kopf etwas anhob.

"Was hast du davor gemacht?" fragte sie ihn und blickte interessiert auf. "Studiert, ich habe ein Jurastudium begonnen. Erstes Semester..." antwortete er ihr. Cia nickte, es schien ihr zu passen. Mica hatte etwas was man wohl Gerechtigkeitssinn nennen könnte. Doch in der jetzigen Zeit, spielte sowas keinerlei Rolle mehr. "Mein Vater war beim Militär, daher haben wir diesen alten Bunker relativ schnell gefunden. Er wusste bereits kurz davor, was sie vorhatten. So konnte er uns rechtzeitig aus der Gefahrenzone rausbringen", erklärte er ihr.

Cia biss die Zähne zusammen, wie wäre es wohl ihnen ergangen wenn sie früher erfahren hätten was vor sich ging. Würden ihre Eltern und Collin dann noch leben? Sie konnte Mica's Vater verstehen und doch konnte sie nicht verhindern, dass es ihr widerstrebte zu wissen das es Leute gab die zuvor wussten was vor sich ging.
"Ihr hattet wohl ziemlich viel Glück", erwiderte sie mit gemischten Gefühlen, andererseits konnte sie froh sein, dass Mica's Vater seine Familie hier her gebracht hatte sonst würde sie jetzt wohl nur noch aus Fleischfetzen bestehen.

Sie beschloss nicht mehr zuviel über früher nachzudenken, es ließ sich nicht ändern. "Das kann man wohl sagen", sagte er und lächelte sie zaghaft an. "Du hast noch nie auf jemanden geschossen oder?" fragte sie ihn und dachte an die vielen Momente in denen sie schon auf den Abzug drücken hatte müssen. Er schüttelte den Kopf :" War das so offensichtlich?" "Wie du sie in die Hand genommen hast, es sah so aus als wüsstest du nicht was du mit der Waffe machen solltest", erwiderte sie schlicht und begann ihre Haare zu entknoten.

"Du scheinst damit ja nicht so zimperlich umzugehen. Warst ja relativ Treffsicher", sagte Mica mit einem scharfen Unterton. "Wenn ich nicht geschossen hätte, hätte er es getan und ich bin mir sicher dann wären wir beide tod. Vielleicht ist es nicht immer fair aber so läuft das eben jetzt. Und nein ich bin eigentlich nicht treffsicher, nur hatte ich wohl auch mal ein Fünkchen Glück", entgegnete sie ihm verärgert und riss sich dabei ein paar Haare aus.

"Tut mir leid, ich wollte dich damit nicht beleidigen", entschuldigte Mica sich unsicher. "Hast du aber, wäre ich schon früher dazu fähig gewesen den Abzug zu betätigen dann würde mein Bruder noch leben und ich würde hier nicht in diesem Drecksloch versauern. Hast du eine Ahnung wie das ist? Warst du schonmal länger als 3 Tage am Stück draußen?" fuhr sie ihn an und rappelte sich auf. "Cia, es tut mir leid ich wollte nicht..." begann er wurde aber wieder von ihr unterbrochen.

Unbändige Wut hatte sich in ihr aufgestaut. "Natürlich warst du das nicht! Sieh mich nicht so an", schrie sie wütend und rauschte in die Dunkelheit."Cia warte! Ich wollte dich nicht beleidigen", bittete er sie und eilte hinter ihr her.


 

Der Beginn vom EndeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt