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G R A C E


Lautes Klopfen an meiner Zimmertür riss mich aus einem Dämmerschlaf, den ich mir in den letzten drei Stunden hart erkämpft hatte. Mit vom Weinen geschwollenen Lidern blinzelte ich das Sonnenlicht weg, dass bereits durch die Gardinen ins Zimmer schien und mir förmlich die Augäpfel wegbrannte.

Erneutes, hektisches Klopfen.

„Ich ... ich komm' schon", murmelte ich und raffte mich auf.

Wer auch immer es war, ich wollte der Person den Anblick einer Schnappsleiche ersparen und so öffnete ich die Tür nur einen Spalt breit.

„Du bist da! Gott sei Dank!", quiekte Sally mir entgegen.

„Ja? Wo sollte ich sonst sein?"

Sally zog eine vielsagende Grimasse. „Ich dachte, wegen eurem ... du-weißt-schon-was."

Ratlos sah ich Sally an. Was meinte sie?

„Euer Date?", half sie mir auf die Sprünge. „Ich dachte, dass du vielleicht bei ihm..."

Ich runzelte die Stirn und fühlte mich irgendwas zwischen ratlos und peinlich berührt. Zugegeben, normalerweise sah das Ende eines Dates tatsächlich meist anders aus. Doch nachdem sich Logans und meine Wege gestern zu unrühmlich getrennt hatten, hatte ich es grade noch geschafft, mir ein Schafhirt anzuziehen und mir die Zähne zu putzen, ehe ich vor Selbstmitleid schier zerflossen war.

„Wie auch immer, ich muss dir etwas sagen!", fuhr Sally ungeachtet fort und ziemlich gerädert gab ich mir die größte Mühe, aufmerksam zu wirken. Ihre Sprechgeschwindigkeit war mir an diesem Morgen eindeutig zu schnell. Wobei, war es überhaupt noch morgens? Ich hatte noch gar keine Zeit, mich überhaupt zu orientieren.

„Ich war heute morgen mit Mando am Strand ... für sein Morgengeschäft ... du weißt schon."

Mando. Schlagartig hatte Sally meine volle Aufmerksamkeit. Ich öffnete die Tür weiter. Erst jetzt bemerkte ich ihre Streßflecken im Gesicht und auf dem Dekolleté. „Und?"

Sally verlagerte ihren rundlichen, kleinen Körper nervös hin und her. „Na ja ... möglicherweise ist er mir ... davon gelaufen?", sagte sie zerknirscht.

Ich weitete die Augen. „Möglicherweise?"

Sally schürzte ihre faltigen Lippen. „Ja ... na ja ... ich fürchte, er ist weg."

Oh nein! „Seit wann?", quiekte ich entsetzt.

„So knapp eine Stunde", gestand sie mir und sah dabei tatsächlich sehr schuldbewusst aus.

„Mist", stieß ich aus. „Gib mir eine Sekunde!"

Ich eilte zum kleinen Schrank, in dem meine wenigen Anziehsachen in eine einzige, kleine Schublade passten, zog mich in Windeseile aus und stieg in frische Klamotten. Am Waschbecken warf ich mir zwei, drei Hände kaltes Wasser ins Gesicht, meine Haare wickelte ich zu einem wilden Dutt, während ich bereits in meine Boots stieg und mir eine Jacke überwarf. Wenn Mando etwas zustoßen würde oder gar nicht wiederkommen würde – ich würde es mir nie verzeihen.

Als ich wieder zur Tür eilte, sah Sally mich mit großen Augen an. „Es tut mir wirklich sehr leid, Grace, aber er hat Möwen gejagt, ist zur Düne gelaufen und ... und kam dann einfach nicht zurück. Ich hab ihn schon überall gesucht, aber nichts." Sie zog ihre Schultern hoch und erinnerte mich dabei an eine Schildkröte, die sich am liebsten verstecken würde.

„Alles gut. Wir finden ihn schon", versuchte ich die aufgewühlte, alte Sally zugegeben etwas halbherzig und mit einem Schulterklopfen aufzubauen. Nicht etwa, weil ich ihr Schuld an Mandos Verschwinden geben würde. Vielmehr, weil ich selber vollkommen fertig war. Die Ereignisse der letzten Nacht steckten mir noch ziemlich in den Knochen. Logans Blick, als ich ihm die Wahrheit gesagt hatte, hatte sich fest eingebrannt – und die Erleichterung, die ich mir von meinem Geständnis eigentlich erhofft hatte, war ausgeblieben. Vielmehr wuchs dafür das Gefühl, einen Menschen, den ich wirklich sehr gerne mochte, bitter enttäuscht zu haben. Und dieses Gefühl war furchtbar.

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