Kapitel 9

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Victoria ritt entspannt den Weg nach Horseshoe Overlook zurück. Ihre Wange schmerzte und war leicht geschwollen von dem Schlag. "Verdammter Bastard" beschwerte sie sich über den Mann, der sie geschlagen und dann gewürgt hatte.

Sie entschied sich noch nicht direkt zum Lager zurückzureiten, sondern einen kleinen Abstecher beim Dakota River zu machen. An diesem Fluss kam sie öfter vorbei, um Wasser fürs Camp zu holen oder sich ausgiebig zu waschen. Sie hielt an einer seichten Stelle und stieg dort von Rebel ab, welcher sofort aus dem Fluss trank. Vic selbst ging etwas weiter in den Fluss, sodass das Wasser bis zu ihren Oberschenkeln reichte. Sie öffnete ihre zwei französischen Zöpfe und ihr dunkles, aschbraunes Haar fiel über ihre Schultern. Ihren Hut und Mantel hatte sie zuvor an dem Sattel von ihrem Mustang befestigt.

Mit einem Mal holte sie tief Luft und tauchte unter. Nach ein paar Sekunden kam sie wieder hoch und atmete zufrieden aus. Das kühle Wasser fühlte sich gut an, besonders an so einem warmen Nachmittag. Außerdem half die Abkühlung auch bei Victorias geschwollener Wange. Zufrieden schloss sie die Augen und hörte einfach nur dem Plätschern des Flusses und dem Zwitschern der Vögel zu.

"Ein schöner Tag für eine Abkühlung, nicht wahr?" hörte sie eine fremde Stimme sagen. Ruckartig öffnete sie wieder ihre Augen, zückte einen ihrer Revolver und drehte sich zu dem Mann um, der auf seinem Pferd, neben Rebel stand. Erschrocken hob er die Hände hoch. "Nicht schießen! Nicht schießen!" bettelte er. Die junge Frau kam näher an ihn heran, den Revolver stets auf den fremden Mann gerichtet. "Was willst du?" fragte sie kalt, als sie vor ihm und seinem Pferd stehen blieb. "Nun eigentlich wollte ich mein Pferd nur vom Fluss trinken lassen. Dann habe ich Sie gesehen und habe mich gewundert, warum eine so hübsche junge Dame allein unterwegs ist. Jetzt weiß ich zumindest, dass ich Sie vielleicht besser hätte in Ruhe lassen sollen" er schenkte ihr ein nervöses, aber ehrliches Lächeln.

Die 20-Jährige musterte ihn. Er war älter als sie, vielleicht Mitte 30. Durch seinen Vollbart war es schwer sein genaues Alter zu bestimmen. Sein braunes Haar war stellenweise bereits ergraut. Er trug einen eleganten, schwarzen Anzug. "Wie ist Ihr Name?" "Walton Atkinson, zu Ihren Diensten" Walton machte eine leichte Verbeugung. Victoria senkte langsam ihren Revolver, behielt dabei aber den Mann scharf im Auge. Dieser entspannte sich, als sie die Waffe nicht mehr auf ihn zeigte und senkte seine Arme.

"Was machen Sie hier, Mr. Atkinson? Sie sehen nicht, wie jemand aus dieser Gegend aus"

"In der Tat, das bin ich nicht. Ich bin ein einfacher Buchhalter aus New York"

"Buchhalter? Das klingt ja aufregend" kam es sarkastisch von ihr. Walton konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Es stimmt, es ist ein furchtbar langweiliger Beruf. Deswegen bin ich auch losgezogen, um etwas von der Welt zu sehen. Ich war es leid immer in meinem dunklen Arbeitszimmer zu sitzen und über nichts anderes als Zahlen nachzudenken. Ich will die Schönheit der Natur sehen, weg von dieser viel zu lauten Stadt, in der es nach Pferdeäpfel und Industrie stinkt"

"Wenn das so ist..." Victoria steckte ihren Revolver wieder in dem Holster. "..Dann gebe ich Ihnen mal einen gut gemeinten Rat: Passen Sie auf, auf wen sie unterwegs antreffen, ansonsten haben Sie schneller eine Kugel im Kopf, als es Ihnen lieb ist"

"Ich weiß Ihre Sorge, um mich zu schätzen, Miss, aber mir ist der Umgang mit einer Waffe durchaus bekannt"

Herausfordernd zog Victoria eine Augenbraue hoch. "So? Dann zeigen Sie doch mal her" sie verschränkte skeptisch die Arme, als sie Walton dabei beobachtete, wie er sein Gewehr aus der Satteltasche holte. Er zielte hoch in die Luft und schoss. Für ein paar Sekunden passierte nichts, erst als ein toter Vogel ein paar Meter weiter von ihnen zu Boden fiel, grinste er die junge Frau stolz an.

He Had A Lot Of Passion, But No Love [J.E.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt