Sünde und Sünder

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Silas

Meine Haut brannte. Die Stellen, an denen mich diese beschissenen Greifer erwischt hatten fühlten sich an, als stünden sie in Flammen.
Diese Biester hatten mir ordentlich zugesetzt. Wahrscheinlich würden ein paar Narben zurückbleiben, aber damit konnte ich leben. Es waren nicht die ersten und würden auch nicht die letzten sein.
Der alte Mann, der mich zusammengeflickt hatte, war dabei sich zu verabschieden. Ich konnte seine Stimme aus dem Flur hören.

Woody Wright.
Ich wusste von dem Moment, in dem ich ihn in der U-Bahn gesehen hatte, wer er war. Es kreisten viele Geschichten um ihn unter den Sensenmännern umher. Für viele von uns war er eine Legende. Ich wusste, dass er diesen Job schon länger machte, als ich am Leben war. Wahrscheinlich jagte er schon seit hunderten von Jahren. Ich hoffte, dass dies nicht unsere letzte Begegnung war, besonders da er mich nicht in dieser Verfassung in Erinnerung behalten sollte.

Mein Kopf dröhnte.
Es fiel mir schwer die Augen zu öffnen. Die Lider fühlten sich an, als würde ein unendliches Gewicht sie geschlossen halten wollen. Mit viel Mühe blinzelte ich in den dämmrig beleuchteten Raum.

Als ich das letzte Mal hier war, hatte ich nicht viel von der Wohnung erhaschen können und jetzt war das erste was ich sah, Liz. Sie war keinen Meter von meinem Gesicht entfernt und starrte angestrengt auf die obere Hälfte meines Kopfes. Unerwartet spürte ich etwas kühles an meiner Stirn. Sie hatte mir wohl einen feuchten Lappen aufgelegt. Eigentlich eine nette Geste, auch wenn ich mich schneller wieder erholen konnte, als ein normaler Mensch.

Langsam wanderten ihre blauen Augen zu meinem Gesicht hinab, bis sie die meinen trafen.
Für einen Moment sah es aus, als hätte sie sich erschrocken. Sie richtete sich augenblicklich etwas auf und sorgte wieder für etwas Abstand zwischen uns. Ich hätte schwören können, dass sich ihre Wangen leicht röteten.
Die Menschen waren wirklich eine faszinierende Spezies.

"Wie fühlst du dich?", fragte sie und strich sich eine ihrer blonden Strähnen hinters Ohr.
Ich ließ von ihrem Gesicht ab, was ich bis eben noch eindringlich gemustert hatte und starrte an die hellgestrichene Decke.
"Als hätte mich ein Zug überrollt. Aber das geht schnell vorüber", gab ich als Antwort.

Meine Stimme klang rau in meinen Ohren.
Auch meine Kehle schien wie ausgetrocknet.
Ich räusperte mich einmal, bevor ich Liz nach einem Glas Wasser fragte. Sie sprang sofort auf und lief in Richtung Küche. Ich hörte das Quietschen der Schrankschaniere und wie der Wasserhahn aufgedreht wurde.

Das Geräusch des fließenden Wassers erinnerte mich an etwas, dass sie zuvor zu Woody gesagt hatte.
Sie war freiwillig in den East River gesprungen.
Wie dieses Mädchen so unschuldig da stand und wie sie sich sorgte, um mich. Um jemanden, den sie kaum kannte.
Hinter diesen blauen Augen schienen so viele Geheimnisse zu stecken und irgendetwas in mir, wollte sie alle lüften.

Warum beschäftigte mich dieses Mädchen so sehr?

Als sie mit dem Glas in der Hand zurück kam, setzte ich mich auf.
Mit einem kurzen "Danke", nahm ich es entgegen und trank hastig ein paar Schlucke.
Es fühlte sich gut an, wie es meine trockene Kehle benetzte. Liz beobachtete mich einen Moment, bevor sie ihren Blick abwand.

Die Neugier, die dieses Mädchen in mir hervorrief, war erdrückend. Schon während sie sich mit dem alten Sensenmann unterhalten hatte, konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich hatte jedem ihrer Worte gelauscht. Eigentlich sollte es mich nicht interessieren.

Wieso ließ ich überhaupt zu, dass mich das Leben eines Menschen so beschäftigte?

Wenn dieser Job erledigt war, würde ich wieder aus ihrem Leben verschwinden und mich anderen nervenden Seelen widmen.

SeelenjägerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt