8. Betonherz

4 2 0
                                        



Liebschaften sind wie Pilzgerichte, ob sie ungefährlich waren, weiß man erst später.

(Heinz Erhardt)

LINA


Der Anblick, der sich mir bietet ist so viel beruhigender, als ich es mir ausgemalt habe. Ross' Reaktion war der Anstoß für meinen persönlichen Horrorfilm. Die Sekunden, die verstrichen, als ich die Tür öffnete und eintrat, waren elendig lang und spielten mir die erbärmlichsten Bilder in den Kopf, die ich mir ausmalen konnte.

Stattdessen finde ich Matty in dem Hängesessel sitzen. Um ihn herum wabert eine dichte Rauchwolke, seine Augen sind geschlossen und es scheint, als schwebe er. Langsam baumelt der Hängesessel vor und zurück. Ich weiß nicht, wann ich ihn das letzte Mal so ruhig und, zumindest auf den ersten Blick, so bei sich selbst gesehen habe. Das zufriedene Lächeln auf seinen Lippen lässt ihn tiefenentspannt wirken.

Im Hintergrund läuft ‚An Encounter' in Dauerschleife. Ein kurzes Akustik-Stück auf dem ersten Album der Jungs, welches metaphorisch das erste Treffen der fiktiven Charaktere aus ‚Robbers' darstellen soll. Es ist ein harmonisches Stück, baut eine Art Vorfreude auf das kommende Treffen auf und passt irgendwie aber sogar nicht zu dem Bild, was sich mir bietet.

Matthew war schon immer ein Sinnbild für Widersprüche, das ist mir bewusst. Ich erinnere mich daran, wie er mir seine Liebe für das Paradoxe, für Kontradiktionen erklärt. Mit der Zigarette im Mundwinkel und dem niedlichsten Grinsen unter der Sonne auf den Lippen, saß er im Schneidersitz vor mir im Gras. Das Wetter war herrlich gewesen und ich ließ ihn einfach erzählen. Nachdem er mich zuhause absetzte, führte mich mein erster Weg auf die Couch. Ich öffnete Google und musste mir mit gekränktem Stolz eingestehen, ich verstand nur die Hälfte.

Unzählige Male warf er mit dem Wort ‚Juxtaposition' um sich und ich fand, es klang niedlich. Mir die Bedeutung aus dem Kontext zu erschließen, war gar nicht so einfach.

Nach diesem Nachmittag vergaß ich es nie: »Eine Juxtaposition bedeutet eine enge Nachbarschaft, zum Beispiel zweier Hirnzonen oder zweier Befindlichkeiten. Wichtig ist dabei, dass beides einander nahe liegt, aber durchaus voneinander zu unterscheiden ist und sogar voneinander völlig unabhängig sein kann.«

Wieso mir dieser Nachmittag genau jetzt im Kopf herum geistert, kann ich mir nicht erklären. Diese schöne Erinnerung hat nun wirklich nichts mit der Situation zu tun, in der wir uns gerade befinden. 

Wieder mustere ich ihn. Der ruhige Ausdruck in seinem weichen Gesicht passt nicht zum Rest des Raumes. Innerhalb kürzester Zeit hat er ein absolutes Chaos veranstaltet, doch ich erkenne hier kein ‚After-Show-Ritual'. Es ist bloß ein heilloses Durcheinander. Auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sessel liegt zerknüllte, angesengte Alufolie, ich entdecke ein halbleeres Whiskeyglas, daneben einen ranzigen Löffel und seinen Drehtabak. Papers liegen verteilt auf dem Boden, das Clipperfeuerzeug von vorhin liegt ruhig in seinem Schoss und um ihn herum verteilen sich ein paar Filter.

Kopfschüttelnd bin ich versucht aufzuräumen, doch die dichte Wolke kratzt mir im Hals. Er hat sich definitiv nicht nur eine Zigarette zu viel gegönnt und als ich mich nach einem Fenster umsehe, erkenne ich den Grund für den Dunst. Die Bong steht offensichtlich benutzt auf dem Schminktisch des Umkleideraumes. „Ferkel", rutscht es mir leise über die Lippen.

Ich muss husten.

Matty zuckt erschrocken zusammen, fährt hoch wie von der Tarantel gestochen und sieht mich komplett verloren an. Seine Pupillen sind riesig und der Ausdruck in seinen Augen trifft mich. Härter, als er vermutlich sollte.

the cityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt