01. Kapitel

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Meine Kaffeemaschine beginnt zu rattern und allein der Klang lässt meinen sehnsüchtig wartenden Körper erzittern. Ich gähne lautstark und hole aus einem Hängeschrank meine XXL-Tasse, die ich letztes Jahr von meinen Kollegen zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Gute 400 Milliliter passen dort hinein und das ist genau die Portion Kaffee, die ich an einem Morgen wie diesem brauche.

Ich habe in knapp zehn Minuten ein Zoom-Meeting - wie jeden Dienstagmorgen. Der Großteil der Teilnehmer findet sich normalerweise um 9 Uhr im Besprechungsraum in der Firma ein, aber ein paar Kollegen arbeiten im Home-Office und ich bin seit zwei Wochen eine der Glücklichen, die darunter fallen. Allerdings ist der Umstand nicht so glücklich: vor zwei Wochen ist die Holztreppe in meiner Wohnung bei einem Erdbeben eingestürzt. Sie war schon sehr alt und drei der Stufen waren schon kurz vor dem Zusammenbrechen. Aber seitdem komme ich nur noch mit einer beschissenen Leiter, die ich mir von meinem Nachbarn ausgeliehen habe, in mein Schlafzimmer.

Selbstverständlich habe ich nach dem Erdbeben - und nachdem ich mich von dem Schrecken erholt habe - meinen Vermieter angerufen, der mir wiederum versicherte, er würde sofort eine Firma anrufen und sich darum kümmern.

Tja, jetzt sind zwei Wochen vergangen und es ist noch nichts passiert. Nur leider läuft bald meine Dienstvereinbarung mit meinem Chef aus, sodass ich wieder jeden Tag in die Firma muss und dann nicht anwesend bin, falls endlich die beauftragte Firma auftaucht.

Der Geruch von starkem Kaffee erfüllt meine Küche und bringt langsam Klarheit in meine Gedanken. Ich zupfe an meiner Bluse herum und lehne mich mit den Unterarmen auf die Küchentheke. Beobachte, wie ein Tropfen nach dem anderen aus der Maschine gepresst wird.

Scheiße, ich bin ein richtiger Koffeinjunkie.
Aber das bleibt in meinem Job unvermeidbar. Wenn man dort nicht mindestens ein Ventil findet - Kaffee, Essen oder Sex -, greift man über kurz oder lang zu Koks. Und weil ich momentan keinen festen Freund habe, nach der Arbeit zu faul bin, um in ein Restaurant zu gehen und für Koks zu geizig bin.. Bleibt nur noch Kaffee.

Ist sowieso das geringere Übel, wenn man mich fragt.

Als die Kaffeemaschine fertig ist und ihren Dienst für heute Morgen mit einem letzten Brummen quittiert, schütte ich mir sofort fast einen halben Liter in meine Tasse, gebe drei gehäufte Teelöffel Zucker dazu und verschwinde mit der Kanne und Tasse in mein winziges Büro, das ich innerhalb von einem Tag von einer Abstellkammer in eine Abstellkammer mit improvisierten Stehtisch und Computer verwandelt habe.

Mein Computer fährt hoch, ich stelle meine Cam ein und logge mich in das Meeting mit meinen Kollegen ein. Die nächsten anderthalb Stunden besprechen wir, was seit dem letzten Treffen passiert ist, was in den nächsten Tagen ansteht, wer welche Fälle abgeschlossen hat und welche neuen Fälle bald auf den Schreibtischen von jedem liegen.

Die Arbeit in einer der führenden Anwaltskanzleien in Austin, Texas, ist hart. Die Arbeitszeiten sind zwar "flexibel", aber wenn man es zu etwas bringen will, muss man mehr arbeiten als schlafen. Ein 10-Stunden-Tag wird wortlos vorausgesetzt.

Aber ich bin schon immer ein ehrgeiziger Mensch gewesen.

Meine Eltern sind früh gestorben, ich bin Einzelkind und in ein Waisenhaus gekommen. Mit 16 habe ich mir eine eigene kleine Wohnung gesucht und neben der Schule noch zwei Jobs gehabt, um alles finanzieren zu können. Ich habe viel gelernt und es geschafft, ein Stipendium für ein gutes College zu ergattern, indem ich andere Mitschüler fast schon spielend leicht ausstach. Vor wenigen Jahren und als eine der jüngsten Absolventen machte ich meinen Abschluss und bekam eine Stelle im Tochterunternehmen von 'Clark & Allen - LAW'. Ihr Hauptsitz ist in Dallas, aber sie haben noch neun weitere Firmen in ganz Texas verstreut; eine davon hier in Austin.

Vor zwei Jahren habe ich meinen Führerschein bezahlt und bin am überlegen, mir zu meinem 24. Geburtstag, der in vier Monaten ansteht, ein Auto zu kaufen. Ich liebäugle mit einem Camaro Coupé, obwohl der Preis exorbitant hoch ist.. Aber ich habe mir mein ganzes Leben kaum etwas gegönnt, weil ich nie viel Geld besessen habe. Wenn ich jetzt auf mein Kontostand schaue, bekomme ich jedes Mal ein Grinsen ins Gesicht und weiß, dass ich in den nächsten zehn Jahren mein Ziel erreicht habe: nie wieder Geldsorgen zu haben und meinen zukünftigen Kindern eine sorglose Kindheit, Jugend und Ausbildung schenken zu können. Und als Sahnehäubchen noch einen angenehmen Start ins Erwachsenenleben.

Das Meeting neigt sich dem Ende zu; meine Kanne mit Kaffee ebenfalls, aber dafür bin ich langsam auf meiner gewohnten Höhe.

Es ist 11:34 Uhr, als das Meeting beendet ist, ich einen abgeschlossenen Fall fertig protokolliert habe und zu meinem Handy greife.

Ich google die Firma, bei der sich mein Vermieter wegen der Holztreppe melden wollte und presse die Lippen kurz aufeinander. Ist der Sinn einer Mietwohnung nicht, dass man sich selbst um den ganzen Bullshit nicht kümmern muss? Würde ich wissen, wo es mich in den nächsten Jahren hin verschlägt, könnte ich mir selbst eine kleine Wohnung kaufen - die wäre dann zumindest mein Eigentum.

Ich wähle die Nummer des Bauunternehmens und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Dabei scrolle ich durch meine Arbeitsmails, bis sich jemand an der anderen Leitung meldet. Eine Frau mit einem starken spanischen Akzent.

,,Universal-Bau Smith's. Sie sprechen mit Sofia Gomez. Wie kann ich Ihnen helfen?"

,,Hallo Ms. Gomez, hier ist Adeline Baker. Mein Vermieter hat vor zwei Wochen beauftragt, dass die Holztreppe in meiner Wohnung repariert werden soll und bis jetzt habe ich nichts von Ihnen gehört. Ich wollte mal nachfragen, wann Sie endlich jemanden vorbeischicken können?", frage ich etwas patzig und muss mich selbst ermahnen, meine Professionalität nicht zu verlieren. Die Frau am Telefon ist vermutlich nicht dafür verantwortlich, die Arbeiter richtig einzuteilen.

,,Können Sie mir die Auftragsnummer nennen, Ms. Baker?"

,,Leider nicht. Aber ich kann Ihnen die Adresse und meinen Namen nennen, falls das helfen könnte."

Ms. Gomez murmelt irgendetwas Unverständliches in den Hörer und ich höre männliche Stimmen im Hintergrund, bis sie mir mit geduldiger Stimme sagt:,,Natürlich. Ich werde in unserem System nach dem Auftrag suchen."

Ich gebe ihr meine Adresse, meinen Namen und sicherheitshalber noch den Namen meines Vermieters durch. Dann warte ich, während ich dem Tippen ihrer Tastatur lausche.

Nach einer guten Minute räuspert sie sich. ,,Es tut mir sehr leid, Ms. Baker, aber der letzte Auftrag Ihres Vermieters liegt bereits 15 Monate zurück und fand auch nicht an der Adresse statt, die Sie mir genannt haben."

Langsam stoße ich die Luft aus, die ich angehalten habe und knirsche mit den Zähnen. Hat der alte Sack etwa vergessen, den Auftrag aufzugeben? Das würde ihm ähnlich sehen. Er kümmert sich einen Scheiß um seine vermieteten Häuser; er selbst lebt in Louisiana und macht wirklich nur das Nötigste, seitdem er mit den Mieteinnahmen mehr verdient als in seinem vorherigen Job als Postzusteller. Die Häuser hat er laut meinen Recherchen vererbt bekommen. Was ein verdammter Glückspilz.

,,Aber ich kann nun einen neuen Auftrag für Sie anlegen und ihn nach einer kurzen Rücksprache mit Ihrem Vermieter über ihn laufen lassen", bietet Ms. Gomez friedvoll an.

,,Das wäre großartig, Ms. Gomez. Vielen Dank", antworte ich. ,,Wann kann ich denn dann mit den Arbeitern rechnen?"

Sie tippt wieder etwas und brummt nachdenklich. ,,Hmm, das kann tatsächlich noch etwas dauern. Durch das Erdbeben vor zwei Wochen sind wir ziemlich ausgelastet.."

,,Gibt es keine Möglichkeiten, in der Prioritätenliste hoch zu rutschen?", frage ich drängend.

,,Nun ja.. Ich könnte Ihnen die Nummer von dem Diensthandy einer unserer fleißigsten Arbeiter geben. Er ist darauf angewiesen, so viele Aufträge wie möglich zu erledigen und vielleicht kann er Sie noch irgendwo zwischenschieben." Anhand ihrer Stimme merke ich, dass Ms. Gomez eine kleine Tratschtante ist. Aber ich habe nichts dagegen, solange ich mein Schlafzimmer wieder ohne Probleme betreten kann und nicht jedes Mal damit rechnen muss, mir den Hals zu brechen, wenn ich morgens völlig verschlafen die Leiter runterklettere.

,,Wow, Ms. Gomez, Sie sind ein Engel."

Ms. Gomez diktiert mir die Handynummer, ich notiere sie mir auf einem Notizblock und dann verabschieden wir uns voneinander.

Ich kippe mir den letzten Schluck Kaffee runter, dann rufe ich auf dem Diensthandy des Arbeiters an - Joel Miller.

the fire within usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt