12. Kapitel

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Ich fühle mich völlig losgelöst von meinem Körper, als ich im Taxi sitze und dem Fahrer die Adresse meines Klienten nenne. Ich habe nicht einmal die Dokumente mit den wichtigsten Eckpunkten des Falles gelesen, weil ich wie betäubt das Büro von Mr. Sanchez verlassen habe und an meinem bisherigen Fall gearbeitet habe, bis es 17:20 Uhr wurde.

Sam und Matt haben versucht, aus mir herauszubekommen, was Mr. Sanchez von mir wollte, aber ich habe kein Wort rausgekriegt. Immer wieder flogen die Worte von meinem Boss in meinen Gedanken herum und dazu die von Joel.

,,Weil ich es ernst mit dir meine, Adeline", hallen die Worte von Joel in mir wider.

,,Sie sind mit Abstand die ambitionierteste und vielversprechendste junge Anwältin, die ich je einstellen durfte, Ms Baker", hallen die Worte von meinem Boss in mir wider.

Dann wieder Joel:,,Ich will dir beweisen, dass ich nicht nur hinter deinem Körper her bin. Ich will dir meine Tochter vorstellen. Ich will dich ausführen und verwöhnen. Ich mag dich, Addie, und ich will das nicht versauen."

Und dann wieder die von Mr. Sanchez:,,Sie haben beschlossen, Ihnen ein Jobangebot in Dallas anzubieten - mit der Möglichkeit, dort nach vorab vereinbarter Zeit, vermutlich nach fünf Jahren, Partnerin zu werden."

Während mein Kopf und mein Herz den Kampf ihres Lebens gegeneinander ausfechten, verschwimmt die Welt hinter dem Autofenster und zieht an mir vorbei, als würde ich nicht bald die schwierigste Entscheidung auf der ganzen Welt treffen müssen. Die Wahl zwischen dem größtmöglichen beruflichen Aufstieg oder der.. Liebe..?

Dabei bin ich mir nicht einmal sicher, ob Joel und ich eine Beziehung haben! Wir haben nicht wirklich darüber gesprochen, es nicht direkt ausgesprochen..

Daher kann ich ihm auch nicht von diesem Gespräch mit Mr. Sanchez erzählen. Joel ist selbstlos und er würde mich gehen lassen - ohne zu zögern. Auch, wenn es dafür sein eigenes Herz in tausend Einzelteile zerlegen würde.

,,Miss?", holt mich die ungeduldige Stimme des Taxifahrers aus meinem deprimierenden Gedankenstrudel. Wir sind angekommen. Auf die Minute pünktlich.

,,Sorry", murmle ich und reiche ihm sein Geld.

Dann steige ich aus dem Auto und laufe die kurze Einfahrt zur Haustüre.

Das Haus ist hübsch. Niedlich und klein, zwei Geschosse, unauffällig. Vor dem Haus stehen ein paar Blumenkübel, aber mein Klient scheint keinen allzu großen Daumen zu haben, weil ein paar der Pflanzen so aussehen, als würden sie dringend Wasser brauchen.

Ich seufze leise und kämpfe zum hundertsten Mal gegen die Tränen an, die endlich aus mir herausbrechen wollen. Aber ich muss jetzt stark sein, ich muss, unabhängig von dem Angebot, meinen Klienten bestmöglich vertreten und ihn aus dieser misslichen Lage raushauen, wie ich es schon so oft geschafft habe.

Ich klingle und hole endlich das Dokument aus meiner Tasche, um wenigstens schnell den Namen meines Mandanten zu lesen und nicht gänzlich unvorbereitet in dieses Treffen zu gehen.

Die Türe öffnet sich in dem Moment, in dem ich den Vornamen lese und meine Kinnlade klappt herunter, als ich in Tommys zerknirschtes Gesicht schaue.

,,Addie?", fragt er verwirrt.

,,Tommy", hauche ich und checke schnell die Adresse.

Aber es besteht kein Zweifel: Die Adresse ist die Richtige und dieser Tommy, der eine süße kleine Tochter hat und den ich vor kurzem kennengelernt habe, ist der Tommy, der des Mordes an jemanden verdächtigt wird.

Scheiße.

,,Was machst du denn hier?" Sein Blick wandert skeptisch über mich und er scannt jedes Detail: mein klassisch elegantes Kleid, das eng anliegt aber für's Büro noch angebracht ist, meine High Heels, die ich ihm heute Morgen noch in die Hand gedrückt habe, um mit Sarah zu spielen und dann meine Tasche, aus der eine dünne Mappe heraus lugt. Und das Dokument in meinen Händen. ,,Scheiße", wispert er leise.

,,Ich bin deine Anwältin, Tommy", bestätige ich dann unsere Befürchtungen.

Er tritt wortlos zur Seite und lässt mich ins Haus kommen.

,,Ausgerechnet du?", brummt er und schließt die Haustüre.

Ich stehe im Wohnzimmer und Tommy schnappt sich die Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten, in dem eine Sportsendung läuft. Dann deutet er mit einer ausschweifenden Handbewegung in die Küche.

,,Lass uns lieber an den Tisch setzen. Willst du was trinken?", fragt er. Ich sehe zum ersten Mal, wie er sich unwohl in seiner Haut fühlt, als ich Platz nehme und die Unterlagen auf dem Tisch ausbreite.

,,Ein Wasser, bitte."

the fire within usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt