Gemeinsam steuern die beiden ein Schiffwrak an. Anders als Skylla sieht das Tier keinen Reiz in der Erkundung, daher trennen sich ihre Wege. Das versunkene Boot ist eins der neueren Modelle. Vergebens sucht Skylla nach Holzverkleidungen. Mit dem Zahn der Zeit veränderte sich die Bauweise stark. Vorbei an perlweißen Sitzpolstern geht es gezielt in die Kabine. Das kreisrunde Bett lädt zum Ausruhen ein. Der Untergrund ist so weich, dass sie das Gefühl hat, auf einer Wolke zu liegen. Müde streckt Skylla all ihre Glieder. Ihre Seelenfreunde nutzen den Moment der Ruhe, um zu Kuscheln. Alle sechs gieren nach ihrer Aufmerksamkeit, sodass es keine Seltenheit ist, dass sie untereinander streiten. Dabei gibt es keinen Favoriten. Eine jeder hat genauso viel Platz in ihrem Herzen, wie ihre beste Freundin Charybdis.
Ein Blick zur Seite und Skylla schluckt schwer. Es ist selten, dass sie ihre wahre Gestalt zu Auge bekommen. Heile Spiegel sind unter Wasser Mangelware. Dennoch erinnern sie an die Bosheit ihres Peinigers. Schmollend graben sie die Klauen in das weiche Kissen. Das Gesicht versinkt halb in der Watte, während die saphirblauen Augen das Schreckensbild genauer mustern. Es ist das Unterleib, das sie verflucht. Die vielen Tentakel, die an einen Tintenfisch erinnern. Schwarz wie Kohle und dunkler als die tiefste Nacht.
Kraftvolle Pranken, die dir ihr im Kampf nützlich sind. Mit ihnen bekommst du deine Beute schnell gepackt.
Die armen Hundeseelen sind verwachsen mit den Fangarmen.
Nie haben sie sich über ihr Schicksal beschwert, weil sie dich vom ganzen Herzen lieben und dir treu ergeben sind. Deine Seelentröster und Teil deiner Familie. In Tagen des Kummers und der Einsamkeit stehen sie dir zur Seite und nutzen jede Gelegenheit, dich aufzumuntern.
Charybdis Konter zerschlugen immer alle Zweifel und haben sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sowie die Stimme. Die eines Engels. Eines gefallenen Engels, dem Unrecht getan wurde. Ihre Freundin sieht in Skylla die schönste und stärkste Kriegerin des gesamten Ozeans. Sie ist eine Bewunderin. Eine weitere Seelenverwandte. Ihre Worte haben viel Einfluss auf Skylla. Dabei hat Charybdis deutlich mehr Qualitäten. Sie ist die Stärkere der beiden Wächter. Eine Strategin. Die klügste Person weit und breit. Wird auch nur eine von ihnen verletzt, darf der Angreifer mit dem Zorn beider rechnen.
Es ist das lange Haar, das Skylla neuer Stolz geworden ist. Das einst langweilige Blond glänzt nun mit einem unglaublich schönen Farbverlauf. Vom Ansatz beginnt es mit einem dunklen Blau und wechselt zu hellen Tönen. Die Spitzen erinnern an die blendend weißen Strände. Ihr Favorit gehört dem Farbton, der an das türkisblaue Wasser in den Buchten erinnert. Fokussiert auf die positiven Dinge in ihrem Leben fängt Skylla einer der hübschen Strähnen ein und wickelt diese freudig um ihren Finger. Bis ihr im Hintergrund der offene Kleiderschrank ins Auge springt. Die eleganten Stücke ziehen sie in den Bann wie der süße Geschmack nach Eisen. Im Nu befindet sie sich vor der Kleiderstange und die Auswahl wird kritisch beäugt. Die Mode der Menschen ist schlicht geworden. Skylla vermisst die pompösen Kleider und die Liebe in den Details. Ihre Lieblingsstücke waren meist bodenlang und mehrlagig. Die Stickereien waren kunstvoll und aufwendige Handarbeit. Die Kleiderwahl in dem Boot frustriert und fast ist die Hoffnung aufgegeben, bis ihr der glitzernde Stoff in die Klauen fällt. Es funkelt so schön wie die Sterne am Himmel und ist so dunkel wie die Tiefen des Meeres. Verboten kurz, als sei es allein für sie geschaffen. Das Kleid wird ihre Lieblinge nicht stören und eignet sich gut zum Kämpfen. Der Schnitt hat keinen Einfluss auf ihr Bewegungsmuster und fühlt sich angenehm auf ihrer Haut an. Aufgepeppt wird das Outfit mit Goldschmuck, der überall im Boot zu finden ist. Das Styling versetzt Skylla zurück in die Zeit, als sie sich als feine Dame für die Feierlichkeiten hergerichtet hat. Momente, an die sie sich gern zurückerinnert und die ihr Herz höher schlagen lassen. Etwas, dass ihren Seelengefährten nicht entgeht und sie vor Freude kuschelbedürftiger machen lässt. Ihr Lächeln steckt ihre Freunde an. Schwungvoll dreht sich Skylla um die eigene Achse und betrachtet sich zufrieden im Spiegel.
SanfteTöne eines Liedes aus tiefsitzender Trauer und Verzweiflung dringen insBootsinnere. Klagelaute und dunkle Schwingungen, die an den Verlust derMenschlichkeit erinnern. Es ist der Hilferuf, der Skylla aus dem Wrack lockt.Der friedliche Moment ist dahin, denn Unruhe entsteht unter ihrenSeelenfreunden. Es beginnt mit einem Jaulen. Schnell stimmen die anderen fünfHunde mit ein. Als wollen sie ihre Anteilnahme mitteilen. Alte Wunden reißenund vergiften den Geist. Hilflosigkeit erschwert das Atmen, als füllen ihreLungen sich mit Wasser. Ein Anflug von Panik steigt auf. Bis der Zorn imInneren brodelt. Wie bei einem aktiven Vulkan. Das Kriegerherz beginnt zuschlagen und der Beschützerinstinkt wird aus der Reserve gelockt.
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Dunkler Wächter des Meeres
Kısa HikayeDer Lebensraum des Tyrrhenischen Meers beginnt abzusterben. Müll, Überfischung und Ruhestörung machen den Meeresbewohnern zu schaffen. Am Fischerdorf Scilla hausen zwei mythische Kreaturen. Eine davon befindet sich in einem tiefen Schlaf, die andere...