Kapitel 4

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David

Mit einer Schachtel Schoko-Puffreis klopfte ich an die weiße Tür und trat dann vorsichtig ein. Ich kam mir ein wenig albern mit meinem Mitbringsel vor, aber ich hatte schon öfter ein Päckchen Sunrise auf Linos Bürotisch gesehen und wusste daher, dass es etwas war, was er gerne aß. Mittlerweile war Linos Zusammenbruch drei Tage her und ich war aufgeregt ihn im Krankenhaus zu besuchen, schließlich hatte ich ihn seit November gemieden und fühlte mich deswegen ziemlich mies. Doch als ich die Tür hinter mir schloss und vorsichtig um die Ecke linste, traf Linos neugieriger Blick den meinen und das nach oben zucken seines Schnurrbarts verriet mir, dass er sich freute.

,,Meu menino... Es ist schön dich zu sehen'', sagte er gerührt, während seine Augen zu glänzen begannen.

Ich muss zugeben, ich hatte einen Kloß im Hals, als ich Lino in diesem Krankenhausbett liegen sah, zwar sah er recht fit aus, doch seine Haare waren grauer und sein Gesicht faltiger geworden. Zwei bunte Blumensträuße schmückten seinen Beistelltisch und eine angeknabberte Tafel Schokolade blitzte unter einem Roman hervor, auf dem eine Lesebrille lag.

Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf meinem Gesicht ab.

,,Ich hätte dich viel früher besuchen sollen... Bevor das passierte...''

Lino hob seine Hand und winkte ab.

,,Ach was, mach dir keine Gedanken, du hattest deine Gründe.''

Ich seufzte und streckte den Sunrise in die Höhe.

,,Ich hab dir etwas mitgebracht.''

Lino schmunzelte.

,,Schokolade ist immer gut. Danke, meu menino. Setz dich doch.''

Ich nickte, ging um Linos Bett herum und zog einen Stuhl von einem kleinen Tisch heran, auf dem ein Kugelschreiber und ein halb ausgefülltes Kreuzworträtsel lag.

,,Geht es dir besser?'', fragte ich meinen alten Freund und sah ihm in seine braunen Schlitzaugen.

,,Ja, mir geht es besser, auch wenn das Herz'', Lino klopfte sich auf die Brust,  ''an Stärke verloren hat.''

Ich nickte ernst.

,,Aber ganz ehrlich, ich habe keine Lust immer wieder von mir und meinen Beschwerden zu erzählen... Wie geht es dir denn, menino?''

Ich sah Lino an und grübelte, was ich sagen sollte. Er konnte sich denken, wie abgefuckt es mir ging, schließlich hatte ich das mudança de cor seit ihrem Verschwinden nicht mehr betreten.

,,Ich glaube, mein Herz hat auch an Stärke verloren'', erwiderte ich etwas verlegen.

Nun nickte Lino verständnisvoll, drückte einen Knopf auf einer Fernbedienung, die an dem Gitter seines Krankenbettes hing und beförderte sich in eine sitzende Position.

Eine Erinnerung schoss mir durch den Kopf. Wie mich meine Mutter manchmal als kleiner Junge mit auf die Arbeit nahm und es mir in solch einem Krankenhauszimmer gemütlich machte, weil mein Vater ebenfalls arbeiten war. Ständig hatte ich mich auf diese Krankenhausbetten gelegt, mit der Fernbedienung gespielt und mir vorgestellt, ich sei in einem Raumschiff oder auf einem fliegenden Bett, wie in diesem Film mit der Hexe.

Linos Räuspern riss mich aus meinen Gedanken.

,,Auch mich hat es getroffen ... Erst kam sie einfach nicht zu ihrer Schicht, dann war sie nicht zu erreichen und als letztes fand ich plötzlich ihre Kündigung und den Arbeitsschlüssel im Briefkasten.''

Bei Linos Worten keimte wieder die übliche Wut und Frustration in mir auf.

,,Auch bei Nelly hat sie sich einfach nicht mehr gemeldet...''

Lino suchte forschend meinen Blickkontakt.

,,Was ist passiert? Ich hatte bei euch beiden ein gutes Gefühl...''

,,Was soll schon passiert sein'', brummte ich, ''Sie ist in festen Händen und hat sich für ihn entschieden.''

,,Für diesen unsympathischen cachorro'', murmelte Lino.

Ich rieb mir das Gesicht. Dieses Thema machte mich echt fertig.

,,Weißt du schon, wann du raus darfst?'', lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.

,,Wenn keine Komplikationen mehr auftreten in zwei bis drei Tagen'', antwortete mein alter Freund und griff nach dem Schoko-Puffreis. Es knisterte und kurz darauf, biss er genüsslich in eines der Quadrate. ,,Hier menino, nimm dir'', sagte er und streckte mir die gelbe Packung entgegen, doch ich lehnte mit einer kurzen Handbewegung ab. Ich konsumierte in letzter Zeit viel zu viel Schnee, um Hunger oder gar Appetit zu haben, doch daran ließ sich nichts ändern.

,,Du hast Augenringe und bist schlanker geworden ... Muss ich mir Sorgen machen?''

Das brachte mich zum Lachen.

,,Du liegst hier im Krankenhaus und hast uns allen einen Riesenschrecken eingejagt und fragst mich, ob du dich um mich sorgen musst?''

Ich schüttelte amüsiert den Kopf, während Lino nur unschuldig mit den Schultern zuckte und sich ein weiteres Quadrat aus der Packung nahm. Da öffnete sich plötzlich leise die Zimmertür, nur um wieder geschlossen zu werden.

,,Tio Lino?''

,,Oh nein!'', schoss es mir direkt durch den Kopf, da trat Nelly auch schon in unser Blickfeld.

,,Bebê, du auch wieder hier?'', lächelte Lino seine Nichte an.

,,Ich sagte doch, ich komme jeden Tag'', lächelte sie zurück und spielte nervös mit ihren Händen.

Ich stand auf.

,,Das ist perfekt. Ich muss sowieso langsam los.''

,,Sicher? Du kannst auch noch bleiben'', meinte Lino etwas enttäuscht.

,,Ich werde die Tage nochmal vorbeischauen'', sagte ich aufmunternd und klopfte meinem Freund aufs Knie, welches unter der weißen Decke versteckt war.

,,Na schön, menino. Danke für deinen Besuch!''

,,Da gibt's nichts zu danken. Mach das du wieder gesund wirst, ich habe Lust auf ne' Runde Dart!''

Nun strahlte der alte Mann über beide Wangen.

,,Vielleicht klappt's ja schon am Wochenende!''

Ich grinste Lino noch einmal an und verschwand aus dem Zimmer. Gerade wollte ich die Tür hinter mir schließen, da tauchte Nelly plötzlich auf. Mit einem aufgeregten Funkeln in den Augen starrte sie mich an.

,,David ich ... wollte mich noch für Neujahr bedanken. Also ich meine, dass du für mich da warst.''

,,Ach, da gibt's nichts zu danken'', lächelte ich und hoffte, sie würde es bei diesen Worten belassen. Da hatte ich falsch gedacht!

,,Ich wollte mich auch noch anders bei dir bedanken ...''

What the fuck?

Auch Nelly begriff, wie falsch sich das anhörte, denn ihr dunkler Hautteint verfärbte sich in ein Indianerrot.

,,Also mit einem Dankeschön-Kaffee ...''

Ich hätte mir echt in den Arsch treten können. Warum war ich auch nur so fürsorglich gewesen?! Jetzt würde ich sie doch erst recht nicht mehr loswerden ...

,,Das ist nett von dir. Wenn ich zum Dartspielen vorbei komme, können wir auf jeden Fall alle gemeinsam auf Linos Genesung anstoßen'', redete ich mich raus und lächelte scheinheilig.

Nelly war nicht gut darin, ihre Emotionen und damit ihre Enttäuschung zu verbergen. Doch das war mir egal. Ich verabschiedete mich noch höflich von ihr und ergriff so schnell wie möglich die Flucht. Ich hatte wirklich besseres zu tun, als mich mit einer nervigen Neunzehnjährigen rumzuschlagen! Zum Beispiel meine Einarbeitung als neuer Geschäftsführer der Pink Oasis.

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