Kapitel 3 - Der Anfang etwas Großem

61 14 21
                                    

Aufgeregt und mit kribbeligen Pfoten machte sich Wind auf zum Felsen. Wasser lief leise neben ihm, Nebel lief voraus. Die Wölfin neben ihm schien ebenfalls aufgeregt und nervös zu sein. „Da wären wir.", murmelte Nebel. Wind blieb stehen und sah sich um. Die Sterne funkelten am Himmel und eine Eule schrie im Wald. „Wo auch immer ihr hingeht, passt auf euch auf! Unserem Rudel werde ich sagen, dass ein Bär euch gerissen hat, okay?" Wind zuckte bei dem Gedanken an einen Bären zusammen, er riss sich aber zusammen und nickte. Wasser tat ihm gleich. „Dann... dann eine schöne Reise, ich werde euch immer vermissen!", flüsterte Nebel mit trauriger Stimme. Er würde heute seine Schwester gehen lassen und sie nie wieder sehen.

 Wasser schmiegte sich kurz an Nebel. „Wind wird auf mich aufpassen." Nebel seufzte. „Geht jetzt besser, bevor die Sonne noch aufgeht und man euch sieht." Wind streckte noch kurz seine Muskeln, bevor er Nebel zum Abschied zunickte. Dann wand er sich den riesigen Gipfeln zu und verspürte Freude in ihm. Wasser trat zu ihm und kurz sahen sie sich in die Augen. „Bereit?", fragte Wind sie leise. „Ja, ich bin bereit."

                                                                                 ***

„Hast du Hunger?" Wind sah Wasser an, diese nickte. „Lass uns nach Beute suchen, hier oben ist es echt kalt und ich brauche was für meinen Magen!" Wind legte die Ohren flach und sie kämpften sich noch weiter auf den Berg. Ein Sturm war aufgezogen und machte ihnen das Gehen schwer. Sie waren schon ein ganzes Stück vorangekommen, aber es lag noch viel vor ihnen. So ganz glauben konnte Wind noch nicht, dass sie weggingen. Noch nie lagen so viele Pfotentritte vor ihm. Er wusste nicht einmal, wo sie ihr neues Zuhause finden würden. 

Er konzentrierte sich schnell wieder auf die Beute. Solange sie keinen sicheren Ort zum Leben gefunden hatten mussten sie erst einmal überleben. „Riechst du das auch?", erkundigte sich Wasser vorsichtig. Auch Wind roch einen leichten Beutegeruch. „Da lang!", er zeigte mit der Schweifspitze in ein kleines Buschdickicht, was wohl robust den Sturm aushielt. Die beiden Wölfe traten vorsichtig und so leise wie möglich an das Gebüsch heran. „Ich denke da ist eine Maus.", gab Wasser bekannt. Nun roch Wind auch den Mäusegeruch. Eine Maus war nicht viel, aber würde vorläufig ihren Hunger stillen. Plötzlich hörten sie leises Pfotengetrippel, es war die Maus. „Ich kann sie sehen!", sagte Wind zu seiner Begleiterin. Wasser schnippte mit einem Ohr, zum Zeichen sie gesehen zu haben. Die Kätzin duckte sich tief an den steinigen Boden und fixierte mit ihren scharfen Augen ihre Beute. Wind ließ sie machen und wartete totenstill neben ihr, um sie nicht zu stören. Wasser spannte im richtigen Moment die Muskeln an und sprang auf die Maus. Kurz quickte sie auf und entkam fast, doch blitzschnell schoss Wind hervor und biss ihr in den Nacken. 

Zufrieden spürte er das warme Blut in seinem Maul. „Das wird wohl für heute reichen müssen.", bellte er zu Wasser. „Wir könnten auch direkt unter diesen Büschen schlafen!", schlug sie vor. Wind legte den Kopf schief und sah sich dann um. Weit und breit kein anderer besserer Schlafplatz. „Na gut." Wind und Wasser krochen unter die dürren Zweigen und teilten sich die magere Beute. Winds Magen fühlte sich danach nicht mehr ganz so leer an und er war froh, überhaupt etwas gefunden zu haben. 

„Denkst du, wir finden einen Ort, wo wir leben können?" Wasser blickte dem schwarzen Wolf tief in die Augen. Wind legte sich gemütlich zurecht und antwortete: „Ich denke schon, sicher bin ich mir aber nicht." Er wollte Wasser nichts versprechen, damit sie nicht ganz so am Boden wäre, wenn sie nichts fanden. Die Wölfin gähnte. „Ist gut." Dann schloss sie ihre Augen und dämmerte erschöpft davon. Auch Wind fiel kurz darauf in einen tiefen Schlaf, die Wanderung war anstrengender als er sich gedacht hatte und Schlaf kam da gerade recht.

„Wind, wach auf, wir müssen weiter!", hektisch riss ihn Wasser aus dem Schlaf. Müde stand er auf, Wasser hingegen schien voller Energie. „Lass uns heute noch weiter gehen als gestern, ich will mein neues Zuhause schnell finden!" Wind fand ja, dass sie ein bisschen übertreibte, er behielt das aber für sich. Den ganzen Vormittag bestiegen sie Berge und passierten Täler. Bis zu einer Schlucht. Es wirkte wie ein riesiges klaffendes Maul, dass nur wartete, dass jemand in seine Tiefen stürzte. 

„Was machen wir jetzt?", ängstlich legte Wind die Ohren an. Auch Wasser schien plötzlich der Mut verlassen zu haben. „Ich würde sagen, wir müssen außen herum." Wind stöhnte innerlich. Das hatte ihm noch gefehlt. Aber sie hatten keine Wahl. Ein Wolf konnte unmöglich acht Meter weit springen. „Dann lass uns gehen.", seufzte Wind und sie machten sich daran, am Rand der Schlucht zu wandern. Sie war länger, als Wind je eine Schlucht gesehen hatte. Ständig bröckelten vom Rand kleine Steinchen ab und vielen in das Loch. Selbst bei angestrengtem Hören konnte Wind den Aufprall nicht hören, was ihm nur verdeutlichte, wie tief diese Schlucht war. 

Wasser trabte mit erhobenem Kopf, sie wollte den Eindruck erwirken, nicht aufgeben zu wollen. Wind schüttelte leicht lächelnd den Kopf. Wie sie immer versuchte, stark zu wirken, war einfach niedlich. Wind zuckte zusammen. Hatte er gerade wirklich gedacht, dass sie niedlich sei? Ein kribbeln stieg in seiner Brust empor. Rasch wollte er diese Gefühle abschütteln, aber sie verließen ihn nicht. Mit der Zeit wurde er sogar genervt davon. „Sie ist doch nur eine gute Freundin!", schrien seine Gedanken. „Hallo! Lebst du überhaupt noch?", schnaubte Wasser empört. „Ähh..w-was ist?", fragte er völlig durch den Wind.

 Der schwarze Rüde hatte gar nicht mitbekommen, das Wasser zu ihm gesprochen hatte, so tief war er in Gedanken versunken. „Mann, pass doch auf! Ich habe gesagt: Da vorne ist die Schlucht dünner, da können wir drüber springen!" Winds Miene hellte sich schlagartig auf. Endlich konnten sie dann wieder in ihre gewünschte Richtung laufen. Davor mussten sie aber irgendwie über das Loch kommen. Schnell rannte Wind zu der schmalen Stelle, die Wasser entdeckt hatte. Sie war tatsächlich schmal genug, um darüber zu springen. Trotzdem pochte Winds Herz, als er in die Tiefe des gewaltigen Naturphänomens blickte. „Lass mich vor, du hast doch nicht etwa Angst?", neckte sie ihn. Leicht verlegen winkte er ab. „Ich? Angst? Niemals!" Wind war schockiert, dass sie wusste, dass er Angst hatte und stritt es ab. „Genau und Bisons fressen Fleisch!", lachte sie. Wind zog einen gespielten Schmollmund. „Wetten du hast nur selber Angst?" „Ich beweise dir das Gegenteil!"

 Konzentriert ging sie ein paar Schritte zurück, atmete tief durch und rannte los. Erschrocken wollte Wind sie aufhalten, doch da war sie schon auf der anderen Hälfte. Eine Wolke Staub kam Wind entgegen und er blinzelte. Gegenüber von ihm stand nun eine völlig glücklich Wasser. „So. Jetzt bist du dran!", forderte sie ihn auf. Nervös versuchte er gelassen zu wirken und trat ebenfalls ein paar Schritte zurück um eine Anlaufbahn zu schaffen. Er schluckte, als er die Schlucht vor ihm sah, doch es gab jetzt keinen Ausweg mehr. Wind holte all seinen Mut zusammen und sprang. Mit den Vorderpfoten landete er auf der anderen Seite, aber seine Hinterpfoten rutschten ab. „Hilfe! Ich falle!" Panisch ruderte er mit den Hinterbeinen. Sein Herz schlug schneller und er verspürte nichts außer Todesangst. Angst zu sterben. Doch Wasser war schnell bei ihm und packte ihn am Nackenfell. „Mann bist du schwer!", murmelte sie mit Fell im Maul. Wind versuchte zu helfen, war aber hilflos wie ein Welpe. Ohne Wasser würde er garantier sterben. „Ich hab's gleich!", knurrte Wasser. 

Wind jaulte auf, als er merkte, dass sie es nicht schaffte. Mit letzter Kraft versuchte Wind sich hoch zu stemmen. Erleichtert stellte er fest, dass seine Hinterpfoten nun endlich halt fanden. Keuchend legte er sich nieder. Sein Atem ging schnell und flach. „Alles in Ordnung?", fragte Wasser vorsichtig. Wind antwortete: „Ja... ich... ich kann gleich weitergehen." Mit Mühe rappelte er sich auf. Wasser sah ihn besorgt an, wobei sich wieder Schmetterlinge in seinem Bauch regten. „Vielleicht sollten wir es für heute lassen. Wir sind weit gekommen und wir haben Zeit genug.", kommentierte sie. 

Wind schüttelte den Kopf. „Nein. Lass uns weitergehen!", knurrte er. Der Rüde wollte jetzt nicht weiter schwach wirken, auch wenn seine Beine noch immer leicht zitterten. Liebevoll schüttelte Wasser den Kopf. „Du musst auch immer stark wirken, oder? Du brauchst dich vor mir nicht zu verstellen, ich kenne dich dafür zu gut." Wind hob überrascht den Kopf. Ihre Augen funkelten wie ein Meer aus Nordlichtern. „Na gut, ich denke wir sollten eine Pause machen.", entschied Wind schließlich.

 Dicht nebeneinander trabten die Wölfe zu einem kleinen Felsvorsprung. Es war zwar kalt und Wind konnte kleine Atemwölkchen vor seiner Schnauze sehen, aber es war zumindest trocken. Auf Schnee schlafen hätte ihm den Rest gegeben.

 Während Wasser schnell davondämmerte, konnte Wind noch längere Zeit nicht zur Ruhe kommen. Er beobachtete die Wolken am Himmel, die sich langsam voran bewegten. Einen Augenblick sah Wind ein Licht am Horizont. Es kam aus der gegenüberliegenden Richtung seines alten Zuhauses. „Was ist das?", murmelte Wind mit wirrem Kopf. Was konnte das gewesen sein? Plötzlich spürte er einen Schmerz in seinem Herzen, pochend und schwer. Wind kniff seine Augen zusammen. Es fühlte sich an, als ob er jemanden bräuchte – jemanden suchen würde. Kopfschüttelnd beobachtete Wind im Liegen weiter die Wolken. Wer auch immer ihm dieses Zeichnen schickte, er verstand ihre Bedeutung nicht. 

Wolf Love - Der Weg zwischen Liebe und Leben ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt