Prolog
Alles schien zu zerbrechen. Tausende Scherben umgaben ihn, schnitten ihn von außen heraus auf.
Der kleine Junge versuchte aufzustehen, sich einen Weg aus den Scherben heraus zu bahnen, doch die Dunkelheit ließ ihn nicht erkennen, wohin er treten könne. Tränen der Verzweiflung bildeten sich in seinen großen Kindesaugen, er schalt sich jedoch sofort dafür. Was hatte sein Vater ihm so oft versucht beizubringen? Er war ein Mann, also solle er sich auch so benehmen. Er war zu alt, um zu weinen. Er wollte stark sein, wie sein Vater. Nie hatte er jemanden mit mehr Muskeln gesehen, mit schöneren Bildern auf der Haut, mit strengeren Gesichtszügen. Nie wollte er jemand anderes sein als sein Vater.
Verstohlen wischte er sich über die Wangen, ehe er seine Haare aus der Stirn strich. „Tommy?", flüsterte er, doch seine Worte gingen in dem lauten Geschrei außerhalb seines Zimmers unter. „Tom?", wiederholte er sich, dieses Mal lauter. Doch eine Antwort blieb ihm verwehrt. Ein lautes Schluchzen drang durch die geschlossene Tür, gefolgt von wie durch eine Hand gedämpften Lauten. Ein dumpfer Schlag ließ ihn aufschrecken, doch dieses Mal machte er nicht den gleichen Fehler. Er war weit genug von dem kleinen Schränkchen weg, stieß nicht erneut dagegen. Er wusste nicht, was er herunter geschmissen hatte, doch fürchtete sich schon jetzt vor dem Zorn seines Vaters. Doch er wusste, dass er es verdient hatte. Das war etwas, das er in den letzten 10 Jahren zu Genüge gehört hatte. Sein Vater hatte nie unrecht, das war eine ungeschriebene Regel. Erneut hörte er ein Schluchzen und glaubte für wenige Augenblicke, es hatte sich nach seiner Mutter angehört, doch er verwarf den Gedanken sogleich wieder. Sein Vater war vor einer knappen Stunde heimgekommen, er würde seine Frau beschützen. Und es war nicht das erste Mal, dass diese Geräusche mitten in der Nacht zuhören waren. Es wunderte ihn, warum sein Vater immer so spät heimkam und dann - anstatt zu schlafen - solche lauten Filme schaute, doch er vermutete, er hatte so viel Spaß gehabt, dass er noch nicht zu Bett gehen konnte. Er musste Spaß haben, sonst würde er nicht so oft weg sein. Es machte Oliver traurig, dass sein Vater ihn nachts nicht mitnahm und tagsüber nur schlief. Doch er wollte sich nicht beschweren, er war zu alt, um nach seinem Vater zu weinen.
Er hörte schwere Schritte auf dem Flur, Füße, die über den hölzernen Boden schliffen, bis die Tür zu dem Schlafzimmer seiner Eltern geschlossen wurde. Doch die Geräusche stoppten nicht, die Frau im Fernsehen hörte nicht auf zu weinen. Warum hatte sein Vater den Fernseher angelassen?
Vorsichtig ging er in die Knie und setzte seine Hand behutsam auf dem Boden ab. Darauf bedacht, sich nicht zu schneiden, versuchte er die Scherben aus dem Weg zu wischen. Der Lichtschalter war zu weit weg und wenn sein Vater wüsste, dass er jetzt noch wach war und vielleicht Tommy aufwecken würde -.
Sobald er sich sicher war, bis zu seinem Bett zu kommen, setzte er einen Fuß vor den anderen. Oliver konnte einzelne Konturen der Möbel ausmachen, erkannte das Doppelstockbett von ihm und seinem Bruder. Er hatte sich so gewünscht, oben schlafen zu dürfen. Doch sein Vater hatte beschlossen, dass Tommy das dürfe. Ohne jeglichen Widerspruch hatte er es angenommen, doch oft genug schlief er mit seinem kleinen Bruder zusammen in dem obigen Bett. Wann immer Tommy einen Alptraum hatte oder wegen der komischen Filme seines Vaters nicht schlafen konnte, war Oliver bei ihm. Er liebte seinen Bruder und würde alles dafür tun, ihn zu beschützen. Nicht nur, da sein Vater ihm diesen Auftrag gegeben hatte. Nie würde er zulassen, dass dem kleinen Jungen etwas passierte. Doch als er die knarrende Holzleiter hinaufkletterte, musste er ein leeres Bett vorfinden. Zur Sicherheit schaute er auch noch einmal in seinem eigenen Bett, doch von Tommy war keine Spur. Unzählige Minuten verstrichen, in denen Oliver wartete, dass sein Bruder durch die Tür herein kam, doch es blieb still. Abgesehen von den Geräuschen, die jetzt deutlich gedämpfter bei ihm ankamen.
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Outlaws.
Teen Fiction„Family doesn't end with blood." Seine Familie kann man sich nicht aussuchen. Aber wenn man Glück hat, findet man im Laufe seines Lebens einen Freund, der ein wahrer Bruder ist. Doch Oliver gehörte noch nie zur Gewinnerseite. Und bei dem Versuch, je...