VI

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Das schrille Geräusch des Weckers riss Oliver aus seinem Schlaf, den er erst vor zwei Stunden gefunden hatte. Er bewegte sich nicht, sondern gab sein bestes, den Ton zu ignorieren. Doch sein Wecker wurde immer lauter und schneller. Und er würde solange weiter machen, bis Oliver ihn ausschalten würde. Also drehte er sich grummelnd in seinem Bett um und tastete nach der Quelle des unsäglichen Lärms. Er lag auf dem Bauch und stützte sich mit seinen Ellenbogen ab, einige Momente starrte er das Kissen unter ihm an. Obwohl er wusste, dass er aufstehen musste, ließ er zu, dass seine Arme nachgaben und er zurück auf die Matratze sank. Er vergrub sein Gesicht in dem weichen Kissen, doch der stechende Schmerz ließ ihn hochfahren. Seufzend widerstand er dem Drang, über sich selbst die Augen zu rollen. Wie hatte er alles, das gestern Nacht geschehen war, vergessen können? Allem voran sein blaues Auge. Noch immer konnte er nicht glauben, dass er beinahe erwischt worden war. Und dabei war er noch nicht einmal drei Wochen im Geschäft. Wie würde Chris nur reagieren? Seine anfängliche Wut auf ihn hatte sich in Zweifel umgewandelt. Was, wenn er ihn feuern würde? Jedoch verscheuchte er die Gedanken schnell wieder. Er durfte dort nicht wie ein verängstigter Junge auftauchen.

Doch erst einmal musste er in die Schule. Viel zu langsam stand er von seinem Bett auf, seine Augen drohten jeden Moment zuzufallen. Er wusste noch nicht, wie er mit zwei Stunden Schlaf durch den ganzen Tag kommen sollte, doch er hatte keine andere Wahl. Der einzige Gedanke, der ihn weiter machen ließ, war, dass heute Freitag war und er einfach das ganze Wochenende schlafen können würde, um wieder zu Kräften zu kommen.

Ohne genau darauf zu achten, wonach er griff, holte er sich Klamotten aus seinem Schrank und zog sie sich über. Im Bad schaute er das erste Mal in den Spiegel. Obgleich er erwartet hatte, zumindest eine leichte Verfärbung seiner Haut zu sehen, war er überrascht. Der Polizist musste ihn wohl doch härter getroffen haben. Direkt unter seinem Auge war seine Haut aufgeplatzt, getrocknetes Blut klebte an der Stelle, die von grün und bläulichen Schattierungen umgeben war. Zu seinem Glück jedoch war keine sonderliche Schwellung entstanden, weswegen er sein blaues Auge leichter verdecken konnte. Er verließ sein Bad und ging stattdessen in das zweite, kleinere Badezimmer, in dem seine Mutter ihre Schminksachen untergebracht hatte. Es kostete ihn einige Minuten, bis er alle Schränke durchwühlt hatte. Selbst als er die Kosmetika gefunden hatte, dauerte es etliche Momente, in denen er hilflos auf die Sachen in seinen Händen starrte, bis er einfach nach dem erst besten griff, dass hautfarben war. Er drückte etwas von der cremigen Substanz auf seine Fingerspitzen, bevor er es vorsichtig unter seinem Auge verteilte. Die Farbe war etwas dunkler als seine eigene Hautfarbe, dennoch schimmerte sein blaues Auge nach wie vor hindurch. Oliver wollte gerade eine zweite Schicht Make-Up verteilen, als sich die Tür zu dem kleinen Zimmer öffnete. Er drehte sich nicht um, obwohl er genervt das Gesicht verzog und innerlich fluchte. Wieso hatte er die Tür auch nicht verschlossen?

„Oliver?" Verwirrt darüber, ihren Sohn in ihrem Bad anstelle von seinem eigenen zu sehen, stand sie im Türrahmen. Erst als ihr all die Schminksachen um ihn herum auffielen, trat sie näher. „Was zum-", begann sie, doch verstummte, als sie in das Gesicht ihres Sohnes blickte. Die Verletzung sprang ihr förmlich ins Auge, erschrocken musterte sie ihn. „Was ist passiert?", wollte sie wissen. Ihre Stimme war ruhig und besorgt. Doch es hatte nicht den erwünschten Effekt auf Oliver. Dieser schnaubte nur genervt auf und drehte seinen Kopf weg, als seine Mutter nach seinem Gesicht greifen wollte. „Nichts", murmelte er und drückte sich an ihr vorbei. Die zierliche Frau folgte ihm allerdings aus dem Bad heraus. „Was machst du nur immer für Sachen", unbeholfen kam die Frage über ihre Lippen.

„Das geht dich nichts an."

Sie griff nach Olivers Handgelenk, brachte ihm dazu, stehen zu bleiben. „Natürlich tut es das. Ich bin deine Mutter." Wortlos blickte ihr Sohn ihr ins Gesicht, als wäre das nicht Begründung genug, warum sie sich um ihn sorgte. Als er sich umdrehte und die Treppe herunter ging, folgte sie ihm erneut. „Ich habe doch nur Angst um dich", fuhr sie fort.

Outlaws.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt