VIII

165 17 10
                                    

Olivers Kleider klebten eng an seinem Körper, seine nassen Haare ließen immer wieder Tropfen in sein Gesicht fallen. Doch nach wenigen Minuten, in denen er mit Tony regungslos auf der Straße gesessen hatte, war er so nass, dass er es nicht mehr spürte. Die Regentropfen wurden immer größer, der Aufprall auf den Körpern der Jungen immer härter. Es war absehbar, dass das schlechte Wetter nicht bald nachlassen würde. Im Gegenteil, bald ließ das erste laute Donnergrollen Tony zusammenzucken. Auch Oliver war kein all zu großer Freund von Gewittern, weswegen er Tony leicht von sich schob, um in sein Gesicht sehen zu können. „Wir sollten hier weg. Wenigstens ins Auto."
Oliver wollte aufstehen, da er nicht erwartete, dass Tony widersprach, doch dieser schüttelte den Kopf. „D-Die Sitze", murmelte er. „G-ganz durchnässt." Es war das erste Mal, dass er nicht aus Unsicherheit stotterte. Tatsächlich war ihm mittlerweile so kalt, dass seine Lippen angefangen hatten zu beben und ihm das Sprechen deutlich erschwerten. Auch Oliver merkte das. Ein weiterer Grund, warum er gehen wollte. Er selbst begann allmählich ebenfalls zu frieren. „Das ist egal", versicherte er dem Jüngeren, der sich noch immer nicht gerührt hatte. „Es ist nicht einmal mein Auto, ehrlich gesagt." Er schmunzelte leicht, ehe er aufstand und Tony auffordernd seine Hand hinhielt. Nach wenigen Augenblicken ergriff er diese auch und ließ sich auf die Beine ziehen. Einige Sekunden blickte Oliver ihn an, unsicher wohin sie jetzt gehen sollten. „Ich schätze, du willst nicht nach Hause?", fragte er mit einem Seitenblick auf das Haus hinter ihnen. Tony schüttelte schnell seinen Kopf, wandte danach jedoch seinen Blick ab. Oli verstand, dass er im Moment nicht darüber reden wollte und beließ es dabei. Obgleich er sich vornahm, ihn danach zu fragen. Es schien, als würde Tony heute offener sein und tatsächlich etwas mehr reden, und Oliver wollte diese Chance auf keinen Fall vergehen lassen. Doch es gab nach wie vor das Problem, dass er nicht wusste, wohin. Seine Mutter würde ihn umbringen, wenn er mitten in der Nacht mit einem Gast heim kommen würde. Andererseits hatte sie vermutlich sowieso dauerhaft das Bedürfnis dazu und wenn sie leise genug wären, würde sie es gar nicht erst mitbekommen. „Komm mit." Er legte seine Hand auf Tonys Rücken und schob ihn leicht Richtung Auto. „Wir gehen zu mir. Du musst aus diesen nassen Klamotten raus, bevor du noch krank wirst." Er öffnete dem Schwarzhaarigen die Türe, damit dieser gar nicht erst die Chance hatte, nicht einzusteigen. Sein Blick zeigte deutlich, dass er unsicher war. Oliver wusste nicht genau, wieso. Vielleicht noch immer, weil sie die Sitze durchnässen würden, vielleicht aber auch, weil Oliver ihn mit zu sich nach Hause nahm. Es wäre eine völlig neue Umgebung für ihn, ein Ort, an dem er sich nicht auskannte und Oli vermutete, dass neue Situationen ihn unwohl fühlen ließen. Er hoffte einfach nur, es würde nicht dazu führen, dass er wieder völlig verstummte. Denn der Ältere hatte sich vorgenommen, heute endlich seine ganzen Fragen zu stellen. Oder wenigstens einen Teil davon. Sie kannten sich noch nicht lange genug, um offen über alles zu reden, doch wie sonst sollten sie sich näher kennen lernen? Und Tony hatte wirklich Olivers Neugierde geweckt.

Als sie beide im Auto saßen, drehte er die Heizung voll auf, ehe er zurück auf die leere Straße fuhr. „Du kannst ruhig das Radio anmachen", bot er an, als er sich sicher war, dass Tony die Fahrt über nichts mehr sagen würde. Dieser nickte, bevor er sich vorbeugte und nach kurzem Zögern einige Knöpfe drückte. Da Oli in diesem Auto vorher noch nie Musik gehört hatte, wusste er nicht, welche Sender eingestellt waren. Das erste, das ihm entgegen dröhnte, war ein Lied aus den Charts. Er kannte weder den Namen noch den Text, doch verzog kurz das Gesicht. Diese Musik war eine der Gründe, warum er fast nie Radio hörte. Tony jedenfalls schien ihm im Stillen zuzustimmen, denn er begann den Sendersuchlauf zu starten. Es dauerte etwas, bis er sich wieder zurück lehnte und Oliver erkannte, dass er den einzigen Alternative-Sender ausgewählt hatte, den es in ihrem Rundfunkgebiet gab. Er lächelte leicht, als er seine Finger im Takt des Liedes auf das Lenkgrad tappte. Tony musste einen guten Musikgeschmack haben, dachte sich Oliver. Oder zumindest den gleichen wie er. Er nahm sich vor, ihn irgendwann einmal nach seinen Lieblingsbands zu fragen.

Outlaws.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt