Kapitel 12.1

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Sezuna wurde immer unruhiger, während sie Nemesis folgte. Der Höllenfürst führte sie hinaus aus dem Knochenschloss und zwischen den Felsen entlang. Es sah hier im Grunde genau so aus, wie überall sonst in der Hölle. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gingen und was auf sie wartete.

Schließlich deutete Nemesis nach vorn. Es war nur ein kleiner Spalt in einer Klippe, die aussah wie jede andere, weshalb Sezuna auch bis zum letzten Moment verborgen blieb, dass sich dahinter etwas verbarg.

Gemeinsam mit Nemesis quetschte sie sich hindurch, bevor sie überrascht die Höhle bemerkte, die sich hier erstreckte. Der Höllenfürst erschuf eine Lichtkugel, damit sie besser sehen konnten, doch der Sternenstaub war so stark, dass Sezuna die Umgebung förmlich spürte. Die Magie traf sie wie ein Schlag und ließ sie keuchen.

Nemesis blickte sofort zu ihr und wirkte besorgt. »Geht es?«, fragte er beunruhigt. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, dass die Umgebung ihr so sehr zusetzte.

Sezuna brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und Worte hervorzubringen. »Ja«, brachte sie heiser zustande. Es fühlte sich seltsam, aber gleichzeitig auch irgendwie gut an. Macht hüllte sie ein und schien sie zu streicheln, was ihren Körper sehr empfindlich werden ließ. »Was ist das hier?«, fragte sie mit trockenem Mund. Sie benetzte ihre Lippen leicht mit ihrer Zunge, doch auch das brachte nicht viel.

»Das ist die Seelenhöhle«, erklärte Nemesis mit ruhiger Stimme. »Hier lagern die Seelen der Verstorbenen, bevor wir sie reinigen«, erzählte er weiter.

Sezuna sah sich mit großen Augen um. Hier lagerten Seelen? Wie war das möglich?

Sie schauderte, als sie immer deutlicher sehen konnte, wie sich der Sternenstaub ab und an deutlich zeigte und zu einer Art Gebilde verdichtete. Immer nur für wenige Augenblicke. Es war nicht wie die Geister, die sie in ihrer Welt sehen konnte. Das hier war ganz anders. Pure Macht und gleichzeitig auch starke Emotionen. »Was bedeutet reinigen überhaupt?«, wollte Sezuna neugierig wissen. Sie konnte damit nicht viel anfangen, wollte es aber wissen. Es interessierte sie sehr, wie die Welt funktionierte und hier hatte sie die einmalige Gelegenheit das zu lernen.

Nemesis blickte zu ihr, während sie weiter ins Höhleninnere liefen. Dabei wurde es immer heller, was an den Seelen lag, die immer deutlicher und mehr wurden. Das schien Nemesis sogar dazu zu veranlassen, die Lichtkugel wieder verschwinden zu lassen. »Reinigen bedeutet sie von ihrem gelebten Leben befreien. Erinnerungen, Emotionen, Wünsche. Das bereitet sie auf die Wiedergeburt vor«, erklärte er, während er ihr ganz langsam folgte. Für Sezuna war es nicht unangenehm, ihn im Rücken zu haben, denn durch ihn fühlte sie sich beschützt. Wenn vor ihr Etwas Probleme machen würde, würde er sie sicherlich retten. Daher konnte sie sich Gedanken über seine Worte machen, weshalb sie schließlich die Stirn runzelte.

»Und was passiert, wenn sie gereinigt sind?«, wollte sie wissen und fragte sich, ob er die Seelen aus der gesamten Galaxie reinigen musste. Das wäre so unglaublich viel, dass sie sich das kaum vorstellen konnte. Wie sollte er das schaffen? Er musste sehr viele Leute haben. Sie hatte etwas von Todesengeln gehört. Wahrscheinlich waren diese daran beteiligt.

»Danach gehen sie zu den Seelenwächtern. Sie wachen über die Seelen, bis sie wiedergeboren werden«, sagte Nemesis mit ruhiger Stimme und hielt an. Vor ihnen war ein Torbogen aus Stein. Mitten in der Höhle. Er schien nirgendwohin zu führen, was Sezuna verwunderte, sie gleichzeitig aber an die magischen Portale ihrer Welt erinnerte. Diese waren zerstört und sahen ähnlich aus. Früher hatten sie, laut ihrer Mutter, die Welten miteinander verbunden. Jetzt waren sie nutzlos, aber immer noch faszinierend.

»Was ist das hier?«, wollte Sezuna wissen. Solange sie miteinander sprachen, fühlte sie sich wohler. Irgendwie beschützt. Sobald allerdings Schweigen einkehrte, hatte sie ein ganz seltsames Gefühl, weil sie sich dann zu sehr auf ihre Umgebung konzentrierte.

»Ein Tor. Es gibt mehrere davon und sie führen die Todesengel direkt zu den Gestorbenen«, erklärte Nemesis, der ihr die Hand reichte. Zögerlich nahm Sezuna diese an. Wollten sie dort durch? Diese Vorstellung ließ sie leicht schaudern. Gleichzeitig war sie aber auch unglaublich neugierig. Was sie dahinter wohl erwartete?

Wie sie fast schon gedacht hatte, zog Nemesis sie sanft, aber bestimmt mit sich. Da das Portal irgendwie nicht wie ein solches wirkte, erwartete Sezuna nicht, dass irgendetwas passierte, als sie hindurchging, doch da täuschte sie sich. Sezuna spürte ein seltsames Kribbeln und bemerkte, wie sich die Umgebung änderte. Mit nur einem Schritt standen sie wo ganz anders. Zudem waren sie eindeutig nicht direkt in der Welt.

Sezuna zog die Luft ein, als sie vor sich eine Werwölfin sah. Sie lag am Boden und war voller Blut. Zudem schien sie tot zu sein.

Vorsichtig sah sich Sezuna um, doch die Umgebung wirkte komisch. Alles war seltsam verschwommen und nur der Bereich um die Frau deutlich sichtbar. Daher erkannte sie lediglich Gras und einen Baum, aber ob sie sich in einem Garten, einen Wald oder ganz wo anders befanden, konnte sie nicht sagen.

»Wo sind wir hier?«, fragte sie zögerlich. Sie wusste nicht, ob ihre Fragen erlaubt waren, doch sie musste einfach wissen, was vor sich ging.

»Das weiß ich auch nicht und das ist auch nicht wichtig«, sagte Nemesis, der auf die Frau deutete. »Sie ist wichtig«, erklärte er. Sezuna nickte leicht. Wahrscheinlich konnte es sich der Höllenfürst nicht leisten, sich zu sehr auf diejenigen einzulassen, die er hohlen musste.

Sie fühlte sich irgendwie unwohl. Erst recht, als sie spürte, dass Nemesis Magie benutzte. In seiner Hand erschien ein Schwert, das Sezuna schaudern ließ. Sie spürte die Macht, die davon ausging. Es war schwarz und ähnelte dem Knochenschloss. Zudem waren auch überall Drachen auf dem Schwert zu erkennen. »Ich werde jetzt die Seele vom Körper trennen«, informierte er mit scheinbar ruhiger Stimme. So, als würde er lediglich erklären, dass er den Kuchen schnitt. Sezuna kämpfte den Drang nieder, der Frau zu helfen. Dass es zu spät war, war ihr klar, darum schwieg sie. Das schien auch Nemesis zu bemerken, weshalb er sie musterte. »Möchtest du nichts dazu sagen?«

Sezuna schüttelte leicht den Kopf. Sie hatte nicht das Recht dazu, die Gesetze der Welt zu kritisieren und zu hinterfragen. Das Leben musste weitergehen, das wusste sie. »Ich habe den Drang ihr zu helfen, aber selbst ich sehe, dass sie tot ist«, sagte sie leise und niedergeschlagen. »Und ich weiß, dass Gleichgewicht zwischen Leben und Tod sehr wichtig ist.«

»Sehr reif für dein Alter«, bemerkte Nemesis anerkennend. »Ich hätte angenommen, dass du mich vielleicht bittest, es nicht zu tun.«

Sezuna zuckte die Schultern. »Vielleicht wäre das der Fall gewesen, wenn ich die Frau gekannt hätte«, sagte sie. »Aber sie ist eine Fremde.« Daran würde sie festhalten, denn sie wollte nicht, dass diese Sache zu sehr an ihr haften blieb. In ihrer Welt herrschte das Recht des Stärkeren und es war nicht das erste Mal, dass sie jemanden sah, der nicht mehr lebte, doch es war immer wieder ein Stich in ihrem Herzen.

Nemesis musterte sie erneut eindringlich. »Mit diesem Schwert kann man die Seele vom Körper trennen«, sagte er und schien das Thema wieder auf das vorherige zu wechseln. Zudem deutete der Höllenfürst auf die Tote, deren Anblick Sezuna nicht ganz so kaltließ, wie sie gern hätte. Dennoch versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen. Daher konzentrierte sie sich auf das, was Nemesis ihr beibringen wollte. Dabei fixierte sie einen Punkt in der Nähe der Frau, damit es so aussah, als würde sie auf diese sehen.

Der Höllenfürst erklärte ihr, wie sie sehen konnte, wo sich die Seele befand und was sie tun musste, um diese ordnungsgemäß zu trennen. Es war ein komplizierter Prozess und mit einigen Zaubern verbunden.

Sezuna war so gespannt bei der Sache, dass sie für einige Zeit die Leiche ausblenden konnte. Vor allem, als Nemesis die Seele vom Körper trennte und Sezuna diese betrachten konnte. Sie war so deutlich zu sehen, wie ein Geist, was sie verwunderte. In der Höhle waren sie doch anders gewesen. Warum also sah die Seele der Frau jetzt aus wie ein Geist?

Sie war schön gewesen, als sie noch gelebt hatte und selbst jetzt als Geist, so durchsichtig und irgendwie bläulich, war sie noch immer eine Schönheit. Leider stand ihr die Verwirrung und Angst ins Gesicht geschrieben, als sie den Höllenfürsten bemerkte. Sezuna schien sie gar nicht wahrzunehmen.

Sezuna - Kind der Hölle (Die Mittlere Galaxie 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt