Die eine Chance

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Kennt ihr das? Wenn euer größtes Begehren in dem unpassendsten Moment eures Lebens erfüllt wird?

Nun, so funktioniert das Leben nun mal.

Es war noch früh am Morgen an diesem einen besonderen Tag. Viel Hoffnung und Glück konnte man allerdings nicht spüren.

Die Sonne hatte sich, trotz des schon längst begonnen Sommers, tief in den Wolken versteckt.

Es sah so aus, als würden die Wolken sie nie mehr wieder hergeben wollen.

Stattdessen hatten sie vor,
einen unfairen Deal einzugehen,
in dem eine Menge Regen herausgegeben wird, anstatt eine Menge sonniger Sonnenstrahlen.
Die Dunkelheit in den Wolken hatte sie verraten.

Doch es gab keinen Grund, deswegen alles aufzugeben.

Denn trotz dunklen Wolken konnte man auch immer Sonnenschein entdecken. Auch wenn es nur ein Strahl war,
nur ein ganz dünner, kaum sichtbarer, hieß es trotzdem, dass die Wolken bald genug an derselben Stelle verharrt stehen geblieben waren und nun weiterziehen konnten, damit die Sonnenstrahlen langsam aber sicher herauskommen konnten.

Das Gleiche galt auch für Martín.

Denn für den Ingenieur war heute der Tag. Der Tag, an dem alles neu begann.

Er hatte ein langes Überleben hinter sich. Er schlug sich nur mit den Resten der Raubzüge durch, welche er in der Jugend begannen, hatte, und das nur, weil er auf der Straße gelandet war.

Familie konnte dich ebenfalls im Stich lassen - wem durfte man überhaupt noch vertrauen?

Ah ja, anscheinend nur sich selbst. Deswegen war und ist Martín jede Zeit alleine.

Manchmal war Entfernung eben der einzige Weg, um Frieden zu finden.

Aber jetzt war Schluss mit den Rauben, Schluss mit dem Verbrecher-Leben,
er musste jetzt ein erwachsenes Leben anfangen, mit echter Arbeit, in der echten Realität, so wie es sich gehörte.

Er muss sich jedoch gestehen, dass es ihm sehr gefallen hatte, die Raube zu begehen.

Vor allem das Planen liebte er sehr.
Oh ja, das Erstellen von Plänen auf großen Papier, das Suchen von Material im Darknet, die Aufregung, die man während des Diebstahls spürt und am meisten die Glücksgefühle nach einer erfolgreichen Flucht.

Warum hörte er auf?
Wer hatte gesagt, er müsse jetzt ein anderes Leben führen?

Die Gesellschaft.

Man konnte doch nicht ein Leben führen, was für die ,,Normalen" nicht typisch war, was sich nicht gehörte,
nur weil es einen glücklich machte.
Also wirklich.

Er hoffte nur, dass er diesmal aufatmen konnte.

Martín stand am Gleis und wartete nur noch die letzten Minuten ab, bevor der Zug kam.

Der Zug, zu seinem neuen Leben, ganz woanders, als neuer Mensch.

In ein paar Minuten würde sich alles ändern.

Nur noch 1-2 Minuten, was konnte schon in der Zwischenzeit passieren?

Er blickte hin und her. Er beobachte gerne die Menschen.
Dachte sich Geschichten aus.

Wo wollen sie hin? Weshalb?
Was werden sie dort erleben?
Was war ihr größter Schmerz?
Haben sie auch derartiges erlebt wie ich?

Sie alle hatten Geschichten erlebt,
mit Liebe und Schmerz.
Mit Licht und Dunkelheit.
Freude und Kummer.

In Gesellschaft, wie auch in der Einsamkeit.

Berlermo IllusionenꨄWo Geschichten leben. Entdecke jetzt