Part X - Hear me

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Alles lag in Dunkelheit. Nur vereinzelt waren Tropfen zu vernehmen, die sich von der Decke lösten und am Boden zerschellten. In regelmäßigen Abständen folgte dieses monotone gleichmäßige Geräusch – immer und immer wieder. Murrend kam Dabi zu sich und öffnete langsam seine Augen. Noch nahm er seine Umgebung verschwommen wahr, doch aus einem Seitenwinkel sah er eine kleine helle Flamme am Boden lodern. Das Licht spiegelte sich in dem trüben Augenpaar wider. Langsam ließ er daraufhin seinen Blick wandern. Erst dachte der Schurke, er würde komplett auf dem Boden liegen, aber sein Kopf lag weich.

„Bleib liegen - wenn du jetzt zu schnell aufstehst, kippst du wieder um..."

Wer sprach da gerade zu ihm? Langsam folgte das türkisfarbige Augenpaar der Stimme, die schließlich zu Mirabelle führte, die über ihm gebeugt ein nasses Tuch an seine Schläfe hielt. Einen Moment lang dauerte es bis Dabi realisierte, was hier gerade abging. Er lag auf ihrem Schoss, deswegen lag er so weich. Er nahm ihren süßlichen Duft wahr, sogar intensiver als zuvor. Sie roch so verdammt gut – Moment! Plötzlich hielt Dabi geschockt inne. Bei dieser Erkenntnis schreckte der Schurke auf und erhob sich in Windeseile. Dies wurde ihm jedoch direkt zum Verhängnis und der junge Mann sackte wieder auf Mirabelles Schoss herab.

„Verdammte scheiße...", murrte der Schwarzhaarige, fasste sich zitternd an den Hinterkopf und schloss schmerzlich seine Augen. Sein Kopf dröhnte, als ob dieser gerade mit einem Presslufthammer bearbeitet werden würde.

„Ich sagte doch, dass du liegen bleiben sollst...", kam es leise lachend von der Blondhaarigen, die währenddessen aus ihrer Tasche kleine Eiswürfel hervorholte, sie in das Tuch einwickelte und sich danach wieder Dabis Kopf widmete.

„Wo sind wir...?", brachte der Größere mit brüchiger Stimme hervor.

„Wir sind tief gefallen. Der Weg nach oben ist komplett durch den Steinregen eingestürzt. Wenn ich mich hier aber so umsehe, scheint sich hier ein Schacht zu befinden. Wo er allerdings hinführt, weiß ich nicht."

Vorsichtig erhob sich Dabi erneut und sah sich schließlich um. Um die Beiden herum lag alles in Dunkelheit. Vereinzelt sah man einzelne Zapfen, die aus dem Boden herausragten. Geröll lag um sie herum. Ein Blick nach oben verriet dem Schurken, dass er und das Normalo-Biest Glück im Unglück hatten. Die ganze Sache hier hätte auch ganz anders ausgehen können. Mirabelle erhob sich zwischenzeitlich und schritt an die Wände des Gerölls heran. Sie fuhr mit den Fingern über die ungleiche Oberfläche.

„Hier scheint es einen Ausgang zu geben, allerdings könnte es Tage dauern, bis wir diesen erreichen. Die Feuchtigkeit hier ist noch am schwächsten, aber je weiter wir voranschreiten, desto mehr Sauerstoff wird uns auch entgegenkommen. Die Luft hier ist sehr dünn. Wir müssen uns beeilen. Hier zu verweilen, ist gefährlich...", erklärte die Ex-Soldatin und wand sich daraufhin Dabi zu, der sich inzwischen komplett auf die Beine gehievt hatte.

„Wie lange war ich bewusstlos?"

„Nicht lange, vielleicht ein paar Stunden. Mach langsam, durch den geringen Sauerstoffgehalt hier, dauert es, bis sich dein Kreislauf erholt hat", nach diesen Worten packte Mirabelle alles zusammen und rüstete ihre kleine Gepäck-Tasche, die sich an ihrem Drahtseilmanöver befand.

„Ja... ja...", kam es murrend von Dabi, der langsam einen Schritt vor den nächsten tätigte. Seine Beine fühlten sich an wie Blei und das Gleichgewicht halten, fiel ihm noch sehr schwer. Zudem seine Sicht noch leicht verschwommen war. Knurrend fasste sich der Schurke an den Hinterkopf. Sein Kreislauf war wirklich noch komplett im Eimer und die Luft war sehr dünn hier. Auch wenn er es ungern zugab, das Normalo-Biest hatte recht.





Nach einer kurzen Pause machten sich die Beiden auch schon auf den Weg. Sie drangen immer weiter in den Schacht vor. Die Luft wurde langsam allmählich besser. Sie überquerten Brücken und kletterten Geröll hoch. Sie mussten vorsichtig sein. Mirabelle hatte lediglich eine Taschenlampe, die ihr den Weg erleuchtete und Dabi ließ eine kleine Flamme auf seinen Handflächen tanzen. Sie konnten nur den Weg vor sich gerade so erkennen – für die Umgebung reichte ihr Licht nicht aus. Dabi hätte auch keine Probleme damit gehabt seinen Quirk in weiterem Radius anzuwenden, allerdings war es Mirabelle, die ihn zurückhielt. Sie wussten nicht, ob sie wirklich allein da unten waren, zudem der Flammenquirk-Nutzer seine Kräfte schonen soll. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich langsam und vorsichtig fortzubewegen. Wenn sie einen geeigneten Platz zum Ausruhen fanden, schlugen sie ihr kleines Lager auf. Abwechselnd hielt jeder von ihnen Wache, damit der andere sich ausruhen konnte. Da für Dabi an Schlaf nicht zu denken war, übernahm er die meisten Wachschichten. Er war es gewohnt schon mehrere Nächte durchgemacht zu haben. Zudem seine Schlafstörung ihn so oder so wachhalten würde – da konnte er gleich wach bleiben und was Sinnvolles tun.

Für Essensvorrat hatte die junge Frau gesorgt. Sie trug immer eine kleine Portion an Nüssen, Snacks und Konserven mit sich. Sogar an Besteck hatte sie gedacht. Allerdings würde ihr Vorrat nur für vier oder fünf Tagen ausreichen, bis dahin mussten sie einen Weg hier rausgefunden haben. Gerade in solchen Situationen kam ihnen Mirabelles militärische Erfahrung zugute. Durch tagelange Missionen war sie es gewohnt immer mit Zwischenfällen zu rechnen und hatte dementsprechend auch vorgesorgt. Zudem sie immer an ihre Kameraden mitdachte und einen extra Essensvorrat parat in der Tasche hatte. Dabi würde ihr auch zutrauen, dass sie lieber ihr Essen weiterreichte und hierfür selbst hungerte. Lieber verzichtete sie auf ihre Positionen, anstatt andere hungern zu sehen. Eine weitere Eigenschaft, die dem Flammenquirk-Nutzer mehr als unheimlich war. Wer war denn bitte so ein Gutmensch? Handelte es sich hierbei um eine weitere Omega-Eigenschaft?

Der Schwarzhaarige nutzte währenddessen die ruhigen Stunden, um sich über ihre weitere Vorgehensweise Gedanken zu machen. Wie lange würde ihr Marsch noch andauern? Würden sie jemals hier rausfinden? Seine Aufmerksamkeit wanderte zu Mirabelle, die wenige Meter eingemummt in einem Militärschlafsack neben ihm verweilte. Seine türkisfarbigen Iriden wanderten ihren Körper entlang, der sich langsam hob und senkte. Sie schlief tief und fest – wobei sie beim kleinsten Geräusch auch direkt hellwach war. Sie hatte einen tiefen, aber doch sehr aufmerksamen Schlaf. Wie sie dalag. So unschuldig. Dabis Blick wanderte zu ihren weichen Lippen, die leicht geöffnet waren. Ein genervtes Seufzen folgte. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm – jetzt war er mit ihr doch zusammen unterwegs und zudem noch allein! Warum wurde er nur so bestraft?





Am nächsten Tag, sofern sie es so einschätzen konnten, setzten sie ihren Weg fort. Das Zeitgefühl schwand immer mehr und mehr. Ob Tag oder Nacht war, konnte keiner von ihnen genau sagen. Viel Worte fielen zwischen den Beiden nicht, im Gegenteil – sie schwiegen sich meistens nur gegenseitig an. Nur wenn es notwendig war, beratschlagten sie sich. Gerade kamen sie erneut an einer Brücke an, die tief in die Tiefe führte. Mirabelle hielt plötzlich in ihrer Bewegung inne und gab Dabi ein Zeichen stehen zu bleiben.

„Was ist los?", kam es leicht genervt von dem Schwarzhaarigen.

Mirabelle hingegen schritt kurz vor und ließ ihre Lampe durch die Höhle schweifen.

„Ich war hier schonmal...", kam es leise über ihre Lippen und überquerte vorsichtig die Brücke. Ein Knarzen folgte, als die Blondhaarige langsam über das marode Holz schritt. Die Hängebrücke hatte ihre besten Jahre definitiv hinter sich. Ein falscher Schritt und man verschwand auf ewig in der Dunkelheit, die direkt unter ihr lag.

Als die junge Frau die andere Seite schließlich erreicht hatte, entdeckte sie ein Gemäuer. Es erinnerte an einen Bunker. Moos und anderes Geächt hatte sich bereits dort eingenistet und zerfraß nach und nach den Beton. Gedankenversunken trat Mirabelle an die Einrichtung heran und entdeckte eine Inschrift, die bereits von den Wettergezeiten stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.

„Block M28", Dabi hatte sich zwischenzeitlich zu der jungen Frau gesellt und blickte neugierig auf die Inschrift.

„Das kann nicht sein! Nein...", bevor Mirabelle ihren Satz zu Ende bringen konnte, rannte sie auch schon in den Bunker hinein. Alles lag in kompletter Dunkelheit, aber dennoch schien die Ex-Soldatin zu wissen, wo sie hintreten musste.

„Hey, warte! Was ist das hier?", Dabi folgte ihr, konnte aber nur schwer mit der jungen Frau mithalten. Sein Kreislauf war immer noch angeschlagen. Außerdem musste er im Gegensatz zu ihr aufpassen, wo er hintrat. Überall befanden sich Schlaglöcher. Wäre ja noch schöner, wenn er sich bei dieser Aktion noch die Knochen brechen würde – dann waren sie komplett am Arsch!

Erst nach wenigen Sekunden kam der Größere hinter Mirabelle zum Stehen, die am Boden kniete. Ihre Schultern hingen schlaf herunter und ihre gesamte Gestalt wirkte eingefallen. Genervt stöhnte der Schurke auf und schritt auf sie zu. Diese jedoch schien wie gelähmt - sie nahm ihn überhaupt nicht wahr.

„Hallo? Ich frage nochmals... wo-", weiter kam Dabi jedoch nicht. Als er ihr über die Schulter blickte, blieben ihm seine Worte wortwörtlich im Hals stecken.

„Das kann nicht sein...", ein Schluchzen folgte.

Dabi stoppte schließlich neben der knieenden Frau - er stand genau neben ihr. Nun konnte der Flammenquirk-Nutzer es sehen. Mirabelle hatte etwas an ihren Brustkorb gedrückt, ihr Kopf war gesenkt. Es war allerdings unverkennbar, dass sie weinte. Eine total surreale Situation. Erst bei genauerem Hinsehen konnte Dabi erkennen, dass es sich bei dem etwas um eine Puppe handelte. Wieso lag hier einfach so ein Kinderspielzeug herum?

„Mirabelle?", es war das erste Mal, dass er sie beim Namen nannte. Er ging neben ihr auf die Knie und sah sich schließlich um. Was genau befand sich hier? Die Einrichtung erinnerte an eine Anstalt oder eine Art Schutzbunker. Dabi hatte diese Bauwerke schon öfters gesehen. Diese Einrichtungen wurden nur besucht, wenn Gefahr drohte.

„Meine Division war damals für diesen Block zuständig...", als er ihre Worte vernahm, sah er seitlich neben sich.

„Ich war für diese Menschen, die damals hier Schutz gesucht hatten, verantwortlich...", ihre Stimme brach. Mirabelle drückte die Puppe immer fester an sich. Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. Die gesamte Stimmung wirkte erdrückend. Die Schwere, die in der Luft lag, war spürbar. Dabi konnte in diesem Moment ihre Emotionen genau wahrnehmen. Ungläubig hielt er inne. Wie gelähmt lauschte er einfach nur weiter ihren Worten.

„Hier befand sich ein Omega-Schutz-Lager. Hier hatten wir die hilflosen Menschen vor der Hokkaido versteckt. Sie waren so eingeschüchtert und verstört gewesen. Niemand sollte dieses Lager hier jemals finden. Es lag doch so gut versteckt. Wie kann das sein?"

Der emotionale Schmerz, der auf der Kommandantin lastete, erfüllte den Raum. Dabi konnte sie genau spüren. Eine Eiseskälte zog seine Nervenstränge hoch. Die junge Frau war komplett aufgewühlt und stand komplett neben sich. Dabi wusste in diesem Augenblick nicht wie er mit der Situation umgehen soll. Diese Emotionen erschlugen ihn regelrecht. Gerade in diesem Moment kam ihm der tote Wächter in den Sinn. Das Puzzle fügte sich langsam zusammen. Es war unverkennbar. Diese Frau neben ihm war eine von ihnen.

„Also ist es wahr...", brachte der junge Mann schließlich leise hervor, was Mirabelle aufhorchen ließ.

„Du bist eine von ihnen, nicht wahr?"

Es herrschte Stille. Die Blondhaarige wirkte wie erstarrt. Ihre Iriden blickten ins Leere. Schweigen erfüllte den Raum, in dem sie sich befanden. Dabi wusste in diesem Moment, das er genau ins Schwarze getroffen hatte. Allerdings hielt er in seinen weiteren Worten inne. Wie weit konnte er gehen? Inwiefern konnte er sich diese Worte überhaupt erlauben? Er schwieg doch selbst über sein altes Ich. Es war eine sehr unangenehme Situation. Die Eiseskälte zog sich immer weiter durch seine Eingeweide, ließ ihn innerlich frieren, was er normalerweise nicht kannte. Etwas stimmte hier nicht. Sein Innerstes befand sich erneut in hellem Aufruhr. Er konnte schon wieder dieses Flüstern vernehmen. Ungläubig erhob er sich und sah um sich. Außer ihm und der jungen Frau neben ihm war keiner im Raum. Woher kam dann wieder diese Stimme, die leise an sein Ohr drang?

Währenddessen erhob sich Mirabelle ebenfalls und wand sich dem Größeren zu. Ihre Tränen waren bereits versiegt, während sie ihn mit ihren goldenen Iriden fixierte.

„Bevor ich dir diese Frage beantworte - verrate mir erst, wer du bist!"

Dabi stand einfach nur wie angewurzelt dar. Ihre Worte hallten mehrmals durch sein Innerstes. Wie ein Echo, das an der Wand abprallte und zurückgeschleudert wurde. Ihre Worte trugen Gewicht. Die Ex-Soldatin hatte es immer noch nicht aufgegeben und ausgerechnet jetzt saß er in der Falle. Dieses Biest nutzte seine soeben gestellte Frage gegen ihn. Das hätte ihm doch vorher schon bewusst sein müssen! Wie konnte er nur so dumm und naiv sein!

Während der Schurke mit sich selbst um Worte rang, trat Mirabelle langsam auf ihn zu und stellte sich vor ihn. Ihre Augen fixierten die seinen. Gold traf auf Türkis.

„Ich weiß inzwischen, dass du nicht darüber reden willst... Du weichst immer wieder unangenehmen Themen aus. Sobald es um dich geht, ziehst du dich zurück. Ich beobachte dich nun schon seit Monaten, aber ich werde nicht ganz schlau aus dir. Du bist nicht wie deine Kameraden. Du versuchst etwas zu verstecken. Ich denke, dass nicht mal deine Kameraden der Schurkenliga von deinem Geheimnis wissen, oder?", kam es leise über Mirabelles Lippen, ehe sie ihren Blick senkte.

Der Schurke spürte, wie sich immer mehr Panik in ihm breitmachte. Diese Frau trieb ihn gegen eine unsichtbare Wand, wo er keine Möglichkeit hatte ihr auszuweichen. Es gab kein Entkommen. Er war gefangen - das wurde ihm in diesem Moment mehr als bewusst. Diese Frau kam ihm zu nahe – emotional viel zu nahe. Was genau bezweckte sie damit?

„Allerdings scheinst du das nicht bewusst zu tun, zumindest nicht alles davon. Einen Teil von dir hälst du absichtlich vor uns versteckt. Aber da ist noch etwas anderes.", die goldenen Augen sahen wieder zu dem Größeren auf.

„Es hat auf mich den Anschein, als ob du nicht wüsstet, wer oder was du bist."

Dabi stand immer noch regungslos dar und sah auf die junge Frau herab, die ihn mit ihren durchdringlichen Iriden ansah. Er konnte sein Spiegelbild sehen, das sich in dem hellen Augenpaar widerspiegelte. Der junge Mann konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Ein Schlucken folgte. Wieso wusste dieses Normalo-Biest wie er sich fühlte? Zähneknirschend ballte Dabi seine Hände zu Fäusten. Diese Unruhe in seinem Innern nahm weiter zu. Sein Herz pochte inzwischen schmerzhaft gegen seinen Brustkorb. Woher nahm sie sich diese Worte heraus? Und warum sah sie ihn so an? Langsam trat der Flammenquirk-Nutzer ein paar Schritte zurück, bemerkte aber wenige Meter hinter ihm sofort ein Hindernis. Mirabelle hatte in der Zwischenzeit ihren Blick wieder gegen Boden gerichtet. Seufzend sah sie daraufhin wieder zu dem Schurken auf, der wenige Meter vor ihr stand.

„Du hörst sie auch, habe ich Recht?"

Augenblicklich war die Wut in Dabis Innern verpufft. Als ob sich die Schlinge um seinen Hals gelöst hätte. Ungläubig hielt er in seiner Haltung inne, als Mirabelle erneut an ihn herantrat und ihre freie Hand auf seinen Oberkörper legte. Ihre Augen suchten erneut die seinen, ehe sie leise flüsterte:

„Ich höre sie klar und deutlich, Dabi...", daraufhin kam sie näher und wand sich schließlich seinem Ohr zu, auch wenn sie sich hierfür etwas strecken und sich auf die Zehenspitzen stellen musste.

„Diese eine Stimme, die aus deinem Innern spricht..."

Der Angesprochene wirkte wie in Trance, während seine Iriden ihrer Hand folgten, die mehrmals seinen Brustkorb auf und abfuhr. Nur sehr langsam drangen ihre soeben gesagten Worte zu ihm durch. Was genau bezweckte sie damit? Allein, was diese sanfte Berührung in ihm auslöste, war nicht in Worte zu fassen. Sein Herz setzte in diesem Augenblick aus, nur um im nächsten Moment schneller zu schlagen. Dabi war mit der jetzigen Situation komplett überfordert. Wieso war sie ihm so nah? Wieso konnte sie ihn hören? War es wirklich seine eigene Stimme, die von ihr vernommen wurde? Er wand sich schließlich ihrem Gesicht zu, das dicht neben seinem verweilte. Ihre Blicke trafen sich erneut. Er konnte ihren Atem an seiner Haut spüren. Ihren Duft vernehmen, der um sie herumwirbelte. So nah waren sie sich noch nie gewesen. Seine türkisfarbigen Iriden wanderte schließlich zu ihren Lippen, die nur wenige Zentimeter von seinen entfernt waren. Wie gern hätte er sich in diesem Moment diesen hingegeben. Knirschend biss sich der Schwarzhaarige daraufhin auf die Unterlippe. Er hätte sich für den Gedanken jetzt schon innerlich ohrfeigen können. Aber diese Anziehungskraft war nicht zu leugnen! Lange konnte er dieser nicht mehr widerstehen. Noch während Dabi in seinen eigenen Gedanken gefangen war, entfernte sich Mirabelle schließlich von ihm und trat neben ihn. Die Puppe hielt sie immer noch dicht an ihren Oberkörper gedrückt.

„Als Omega habe ich in der heutigen Gesellschaft nur eine Daseinsberechtigung. Aus diesem Grund wurde ich aus der Armee ausselektiert. Meine Stärke und meine Taten zählen nicht. Ich war Japans beste Scharfschützin - ich hatte einen hochangesehenen Militärstatus. All das ist nutzlos, wenn man ein Omega ist. Ich bin nicht mehr als ein Objekt, mit dem Alphas tun und lassen können, was sie wollen, während die Beta ihre Blicke abwenden. Ich habe mich diesen Monstern zu beugen, ob ich will oder nicht. Meine Stimme zählt nicht. Ich habe sehr viele Menschen leiden sehen, Dabi. Ich kenne die Welt da draußen und ich erkenne einen Menschen, der innerlich an dieser Gesellschaft zerbrochen ist. Du sollst nur eines wissen – du bist nicht allein..."

Nach diesen Worten setzte sich die Kommandantin in Bewegung und schritt an Dabi vorbei, der ihr seitlich nachsah. Bevor Mirabelle den Raum verließ, drehte sie sich ein letztes Mal zu dem Flammenquirk-Nutzer um. Ihre Blicke trafen sich erneut – wie schon so oft an diesem Tag. Gold traf auf Türkis. Die Zeit stand still, während ein leichtes Lächeln Mirabelles Lippen zierte.

„Du bist ihm im Übrigen sehr ähnlich. Ihr habt dieselben Augen."





Danach befand sich Dabi allein im Raum. Ungläubig richtete der Schurke seine Augen auf seine Hände, die er vor sich hielt. Sie zitterten. Sein ganzer Körper begann zu zittern. Hatte sie ihn etwa erkannt? Wusste Mirabelle etwa, wer er war? Der Flammenquirk-Nutzer spürte, wie seine Knie nachgaben und er an der Wand, die sich hinter ihm befand, hinabsackte. Was geschah gerade mit ihm? Warum war er so durcheinander? Wieso gingen ihm diese soeben gesagten Worte so nah? Was kümmerte es ihn? Dann vernahm Dabi sie erneut. Diese Stimme, die wie ein Nebel um ihn herumschlich. Für einen Moment befand sich der Schurke

wieder auf der Wiese. An jenem Ort, an dem er die letzten Nächte schon in seinem Traum verbracht hatte. Dann erblickte er wieder diese vermummte Gestalt, die immer noch in einem Umhang gehüllt vor ihm stand und auf die Knie ging.

„Hör auf dich selbst zu verleugnen...", da war sie schon wieder. Diese Stimme, die seiner so ähnlich war.

„Hör du besser auf mich zu nerven und belehren zu wollen!", blaffte Dabi sein Gegenüber an, der sich in der Zwischenzeit wieder erhoben hatte.

„Solange du dich selbst nicht anerkennst und akzeptierst, wird deine Zerrissenheit dich eines Tages zu Grunde richten... erinnere dich... nur dann wirst du inneren Frieden finden, Touya..."

Innerhalb von Sekunden war Dabi wieder bei Bewusstsein. Sein Atem ging hektisch und seine Glieder zitterten immer noch. Seine Augen starrten ins Leere. Was war das denn wieder? Verfolgte ihn dieser Typ nun schon bei Tag? Tief in Gedanken versunken, richtete sich der Schurke schließlich auf. Langsam tätigte der Schwarzhaarige einen Schritt vor den nächsten und dachte über diesen seltsamen Tagtraum nach. Woher wusste dieser Typ seinen wahren Namen? Warum begegnete er ausgerechnet ihm? Plötzlich hielt Dabi jedoch in seiner Bewegung inne. Etwas drang an sein Ohr, leise aber dennoch klar verständlich.



No time for restNo pillow for my head

Seine Aufmerksamkeit wanderte zu einer Tür, die sich rechts neben ihm befand und nach draußen führte. Es war jedoch nicht der Eingang, den sie zuvor genutzt hatten. Eine Eiseskälte kroch sein Rückgrat hoch.

Nowhere to run from thisNo way to forget

Eine helle, dennoch leise Stimme erfüllte den Raum. Traurigkeit und Trauer spiegelte sich in der Melodie wider. Ein Schauder durchfuhr Dabis Körper.

Around, the shadows creepLike friends, they cover me

Langsam trat der Schwarzhaarige daraufhin näher heran - blieb aber im Zwischengang stehen, als er die Person vor sich erkannte, von der das Lied zu stammen schien. Er wusste gar nicht, dass sie auch zu so etwas in der Lage war.

Just wanna lay me down and finallyTry to get some sleep

Mirabelle befand sich vor ihm, knieend - den Kopf Richtung Decke gerichtet. Ihre Haltung erinnerte an einen Kirchenanhänger, der gerade ein Gebet zum Himmel sprach.

We carry on through the stormTired soldiers in this warRemember what we're fighting for

Daraufhin wand sich die junge Frau einem Stein zu, den sie zuvor vor sich am Boden zurechtgerückt hatte. Neben ihr lag die Puppe, die sie bis eben noch an ihren Oberkörper gedrückt hatte.

Meet me on the battlefieldEven on the darkest night

Gedankenversunken fuhr die Blondhaarige mit ihren Fingerkuppen über die kantige Fläche des Gesteins drüber. Sanft und vorsichtig – als ob dieser jeden Moment zerbrechen könnte.

I will be your sword and shield, your camouflageAnd you will be mine

Dann wand die Omega ihren Blick der Puppe zu, die neben ihr verweilte. Vorsichtig hob sie diese auf und sah sie eine Weile an, ehe sie das Kinderspielzeug schließlich vor dem Stein platzierte.

Echoes and the shots ring outWe may be the first to fall

Danach zündete Mirabelle zwei kleine Kerzen an, die sie zuvor noch in der Einrichtung gefunden hatte. Eine Weile sah sie das Denkmal an, das sie soeben errichtet hatte. Das Licht der Kerzen flackerte in ihren Augen auf.

Everything can stay the same, or we could change it allMeet me on the battlefield

Schließlich verneigte sich die junge Frau vor dem kleinen Denkmal.



Dabi, der die gesamte Situation von Weitem beobachtet hatte, stand im Innern neben der Tür. Sein Blick war gegen Boden gerichtet. Langsam verstand er, was sich hier gerade abspielte. Mirabelle hatte sich vor ihm soeben als Omega geoutet und nun sieht er zum ersten Mal ihr wahres Ich. Knirschend biss der Schurke die Zähne zusammen und ballte seine Hände, die sich hinter seinem Rücken befanden, zu Fäusten.


So fühlte es sich also an, wenn man sich selbst akzeptierte?
Sah so jemand aus, der mit sich selbst diesen inneren Frieden geschlossen hatte?

Der Schurke erinnerte sich an all die Situationen, die er zuvor mit der Blondhaarigen erlebt hatte. Bisher kannte er nur die unerschrockene Ex-Soldatin, die jeder Herausforderung entgegentrat. Wie sie jeden Kampf mit Leidenschaft und Bravour meisterte. Wie sie vor ihre Division herantrat und mit bestem Beispiel voranschritt. Diese Frau hatte sich nie unterkriegen lassen und hatte bis heute keinerlei Schwäche gezeigt. Bis dato wusste Dabi nicht einmal, ob Mirabelle überhaupt eine Schwäche besaß.

Mit dem heutigen Tag wurde der schwarzhaarige Schurke eines Besseren belehrt. Ihm gefiel ja schon vorher ihre feurige und wilde Art. Dass die junge Frau zusätzlich ein zaghaftes und sanftmütiges Wesen besaß, wusste er ja auch schon vorher. Dass diese Eigenschaften aber mit ihrem Omega-Dasein zusammenhingen, wurde ihm in diesem Augenblick erst bewusst.

Zu seinem Leidwesen musste sich der Schurke auch noch eingestehen, dass ihm dieser Umstand gefiel. Es machte ihn wahnsinnig. Dieses Biest zog ihn magisch an und verleitete ihn zu Dingen, die er zuvor niemals im Leben getan hätte. Auch wenn er es ungern zugab – aus irgendeinem Grund war da dieser Beschützerinstinkt in ihm. Fassungslos fuhr sich Dabi mit seiner linken Hand durch sein Gesicht. Wie sonst würde er seinen Rettungsversuch rechtfertigen? Er hatte sich zuvor noch nie für andere eingesetzt. Warum also musste er ausgerechnet sie retten? Was war da bloß in ihn gefahren?

Seine Hand wanderte währenddessen weiter zu seinem Brustkorb und seine Finger verfingen sich in dem weißen Shirt. Die Handwurzelknochen nahmen auf seiner gesunden Haut einen weißlichen Ton an, als er seine Finger immer fester in den weichen Stoff krallte. Seine Welt stand Kopf. Noch nie wurde Dabi so sehr aus dem Konzept gebracht und seine Welt über den Haufen geworfen.

War das wirklich noch er, der gerade die Oberhand über seinen Körper und seinen Geist hatte? Oder war da jemand anderes am Werk? Jemand, den er vor Jahren weggeschlossen hatte und der nun einen Weg nach draußen gefunden hatte?




[Svrcina– Meet me on the battlefield]









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Beyond the sky - 空を越えてWo Geschichten leben. Entdecke jetzt