Am nächsten Morgen stand ich erst auf, nachdem ich hörte, wie die Haustür in das Schloss fiel. Immerhin waren meine Pläne fürs Wochenende sowieso gestrichen und so konnte ich die Auseinandersetzung mit meiner Mutter erstmal vermeiden. Unter normalen Umständen verbrachten wir das ganze Wochenende nach meinem Geburtstag meistens zusammen, aber da meine Mutter diese Pläne gestrichen hatte, ging sie vermutlich wie jeden Samstag mit ihren Freundinnen segeln.
Auf dem Küchentisch fand ich dann den Zettel:
Bin am See. Du saugst bitte die Wohnung!
- MamaNa toll, jetzt soll ich auch noch die Wohnung putzen. Dazu hatte ich zwar gar keine Lust, aber was Anderes hatte ich jedoch auch wieder nicht zu tun. Also aß ich schnell ein wenig Müsli und trank einen Tee, ehe ich mich an die Arbeit machte. Gerade war ich in der oberen Etage fertig und wollte unten weiter machen, als ich die Klingel hörte. Zuerst war ich irritiert. Wer das wohl war? Dann erkannte ich das Klingelzeichen.
Es war Emely. Wir hatten uns dieses Zeichen ausgedacht, als wir klein waren, damit wir wussten, dass niemand fremdes vor der Tür stehen würde. Und irgendwie hat es sich gehalten, so dass wir es noch immer benutzen, obwohl wir eigentlich schon zu alt dafür waren.
Schwungvoll riss ich die Tür auf. „Hey, Ly!", ich fiel ihr um den Hals. „Lea, oh man, ich habe mir voll Sorgen gemacht! Warum meldest du dich nicht?", fragte sie etwas vorwurfsvoll, aber auch erleichtert. Ich erzählte ihr die Kurzfassung vom gestrigen Abend. „Du hast Handyverbot und Hausarrest?", ungläubig schaute sie mich an. Wir sprachen noch kurz, wie es bei ihr war. Auch wenn ihre Mutter sauer war, hat sie keinen wirklichen Ärger bekommen. Manchmal beneidete ich sie um ihre Eltern, auch wenn ich es nie laut aussprechen würde. Sie waren einfach viel entspannter als Mama. Dann umarmten wir uns zum Abschied, denn Emely verstand natürlich, dass der gestrige Abend eine einmalige Sache war und ich meine Mutter heute nicht noch einmal enttäuschen wollte. Danach saugte ich die Wohnung weiter. Als ich fertig war, ließ ich mich erschöpft aufs Sofa fallen. Was könnte ich jetzt noch machen? Es war 13 Uhr, Mama würde frühestens in drei Stunden nach Hause kommen. Ich hatte also noch etwas Zeit und beschloss, mir alte Fotos anzusehen. Erstens hatte ich das schon lange nicht mehr gemacht und zweitens hoffte ich irgendwelche Hinweise zu finden. Zwar war dies unwahrscheinlich, da ich mir die Alben schon ziemlich oft mit Mama angesehen hatte, aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Ich schnappte mir das erste Album, machte es mir auf dem Sofa gemütlich und begann mit den Fotos, die Mama als Kind zeigten. Die meisten waren von Mama und Oma oder von Mama und ihren Freundinnen. Es gab nur zwei Fotos, wo ihr Papa - mein Opa - mit drauf war. Ich wusste, dass er Mama und Oma früh verlassen hatte und dass es keinen Kontakt mehr gab. Ich fand das sehr schade, denn mein Vater war früh gestorben und auch meine Oma - Mamas Mutter - lebte seit ein paar Jahren nicht mehr. Zu den Eltern von meinem Vater hatten wir keinen Kontakt und auch Mama hatte keine Geschwister, die ich Onkel oder Tante nennen konnte. Jetzt gab es nur noch sie und mich. Mittlerweile störte mich das nicht mehr so sehr wie als kleines Kind. Doch auch heute noch gab es hin und wieder Tage, an denen ich mir vorstellte, wie es wäre, wenn ich meinen Opa kenne würde und wenn Papa und Oma noch leben würden.
Ich war mit dem ersten Album fertig und wollte es zurück in den Schrank stellen, was immer etwas schwierig war, da wir viele Fotoalben hatten, die dicht gedrängt im Schrank standen. Doch heute bekam ich das Album noch schlechter in den Schrank zurück als sonst. Ich nahm es noch einmal heraus, um die Anderen gerade hinzustellen, da fiel mein Blick, auf ein kleineres Album, das sich etwas weiter hinten im Schrank versteckte. Ich nahm es raus, da es wahrscheinlich der Grund war, weshalb ich das andere nicht vernünftig zurückstellen konnte. Ich diesem Moment fiel mir auf, dass es gar kein richtiges Fotoalbum war, sondern ein Notizbuch, das zu einem umfunktioniert wurde. „Für Anika, zum Geburtstag von Janet und Stefanie" stand auf der Vorderseite. Meine Mutter hatte es also zum Geburtstag bekommen. Die Namen sagten mir nichts, wahrscheinlich waren es Schulfreunde, zu denen kein Kontakt mehr bestand. Ich schlug das kleine Notizbuch auf und blätterte es durch, ohne mir dabei etwas zu denken. Es beinhaltete Bilder von Zoo-Besuchen, Strandtagen, Spaziergängen, einem Tag im Kletterwald und einige Bilder, die wohl Schnappschüsse waren. Es ist so schön, dass ich mich fragte, warum Mama es mir nie gezeigt hatte. Mama erkenne ich auf den Fotos und auch das eine Mädchen kommt mir bekannt vor; ich weiß nur nicht woher. Das andere Mädchen und die Erwachsenen, wahrscheinlich die Eltern, sagen mir nichts. Doch die letzte Seite macht mich stutzig „ Wir vermissen dich und Papa und unsere Mama auch", stand da geschrieben. Papa?, ich dachte, sie hätten keinen Kontakt mehr gehabt. Legosteinturmselten?, das hatte ich irgendwo auch schonmal gehört. Ich blätterte das Buch noch mehrfach durch, es war auffällig, dass Mama und die anderen Mädchen nicht im gleichen Alter waren. Also doch keine Freunde? Dann fiel es mir ein. Sagte Steff nicht immer, dass die Band Legosteintumselten ist? Ich blätterte noch einmal zurück, jetzt war es eindeutig - das musste Stefanie Kloß sein, auf den Bildern! Hätte ich mein Handy, könnte ich es mit dem Kindheitsbild, welches sie letztens gepostet hatten, vergleichen. Und Janet war die große Schwester von Steff, das wusste jeder Silbermondfan. Wie hing das alles zusammen? Kannte Mama sie? Ich wusste nicht, wo ich weiter suchen sollte und da ich mein Handy nicht hatte, konnte ich die Sachen auch nicht Emely schicken. Ich holte unsere alte Kamera und fotografierte alle Seiten ab, so konnte ich Emely die Fotos wenigstens am Montag in der Schule zeigen. Zum Glück wusste ich noch, wie die Kamera funktionierte, auch wenn wir sie schon ewig nicht mehr benutzt hatten.
Ich war so aufgeregt und konzentriert, dass ich erschrak, als ich auf die Uhr schaute. Es war kurz vor vier, Mama müsste jeden Moment nach Hause kommen! Hektisch räumte ich alles weg und ließ die Kamera in meinem Zimmer verschwinden. Gerade wollte ich mich mit einem Buch aufs Sofa fallen lassen, als ich den Schlüssel in der Tür hörte. „Ich bin wieder Zuhause!", rief Mama in diesem Moment auch schon aus dem Flur. Langsam ging ich mit schuldbewusstem Blick in den Flur. „Da bist du ja."Sie schaute mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. „Was hältst du davon, wenn wir Nudeln zum Abendbrot machen?",fragte sie dann und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, also nickte ich vorsichtig. Nach meiner Zustimmung ging sie wortlos in die Küche. Ich blieb ein paar Minuten reglos im Flur stehen. Ich wusste absolut nicht, was ich machen sollte. Sie war zwar normal zu mir, aber wesentlich kühler als sonst. Also beschloss ich, das zu tun, was sie wahrscheinlich von mir erwartete - sich entschuldigen. „Mama, es tut mir leid." Schweigend warte ich auf ihre Reaktion. „Ich kann ja verstehen, dass du gerne auf ein Konzert wolltest. Aber musste es ausgerechnet Silbermond sein?"
„Ja, denn woanders wollte ich nicht hin."
„Okay, ich kann jetzt eh nichts mehr ändern. Aber versprich mir, dass du es nie wieder tust."
„Okay", willigte ich ein. Ich hatte keine Lust mehr darauf, mit ihr zu streiten, sie würde mir sowieso nicht erklären, warum sie die Band nicht mochte und mit etwas Glück würde ich es auch selbst herausfinden. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihre Sachen durchsucht hatte, aber ich war zufällig darauf gestolpert und wollte sie nicht erneut in Rage versetzen und so behielt ich die Sache erstmal für mich.
„Handyverbot und Hausarrest bleiben trotzdem das ganze Wochenende", fügt sie hinterher. Dann verlief der Abend fast wie immer: Wir aßen Abendbrot und schauten einen Film. Im Bett schaute ich mir noch einmal die Fotos auf der Kamera an, bevor ich sie dann ganz hinten in meiner Nachttischschublade verschwinden ließ. Ich musste hinter das Geheimnis kommen.
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Legosteinturmselten
Fiksi PenggemarMalea liebt die Band Silbermond über alles. Doch ihre Mutter will nichts von der Band wissen. Warum nur? Nach und nach kommt Malea dem Geheimnis auf die Spur.