Die Wahrheit

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„Mama, was ist? Rede bitte mit mir. Ich wollte nicht, dass du weinst. Es tut mir leid“, ich versuchte sie zu beruhigen und bekam bei ihrem Anblick, wie sie so da saß und Tränen stumm ihre Wange hinunterliefen, ein schlechtes Gewissen. Es dauerte eine Weile, bis Mama sich beruhigt hatte. Dann schaute sie mich an. „Du hast Recht, du solltest die Wahrheit erfahren.“ Sie nahm das kleine Album und schlug es auf der ersten Seite auf. „Auf dem Foto sind Stefanie Kloß, ihre Schwester Janet, ihre Mutter Monika, mein Papa und ich zu sehen“, sagte sie und zeigte auf die abgebildeten Personen. „Dich habe ich erkannt und Stefanie und Janet habe ich mir so gedacht. Aber dein Papa? Also mein Opa?“, fragte ich irritiert. „Ich dachte, ihr hattet keinen Kontakt mehr?“ „Mit Stefanie lagst du richtig und auch mit Janet, aber das ist auch kein Wunder so sehr, wie du Silbermond liebst. Das mit meinem Papa stimmt so nicht ganz. Ich habe es immer gesagt, um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen.“ Dann begann sie mir die ganze Wahrheit zu erzählen. „Er hat Mama und mich verlassen, als ich drei Jahre alt war. Anfangs war ich oft bei ihm, mit Monika,Janet und Stefanie habe ich mich gut verstanden, aber als ich älter wurde, hatte ich das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Mit der Zeit wurde die Schule und  auch meine Freunde wichtiger, weshalb ich nicht mehr so oft da war. Sie bekamen daher nicht mehr so viel von meinem Leben mit und wenn ich sie besuchte, fühlte ich mich wie das fünfte Rad am Wagen. Sie waren einfach die perfekte Familie, während meine schon längst auseinandergefallen war. Ich war sauer, weil Papa uns für Monika verlassen hatte, ich wollte mit Mama und ihm eine Familie haben. Mit siebzehn ist der Kontakt dann vollständig abgebrochen, weil… keine Ahnung, es gibt keinen einfachen Grund. Ich fühlte mich damals so alleingelassen von ihm. Papa,Stefanie und Janet haben noch oft versucht, den Kontakt wiederherzustellen. Damals wollte ich das nicht, aber heute bereue ich es. Ich wünschte, ich wäre damals auf seiner Beerdigung vor 20 Jahren gewesen, aber ich hatte einfach zu viel Angst vor dem Wiedersehen“, erzählte sie mir die Geschichte und begann wieder zu weinen. „Ich hoffe, du verstehst mich. Ich wollte nichts mit Silbermond zu tun haben. Ich habe mich für mein vorheriges Verhalten geschämt und wollte nicht ihre enttäuschten Blicke ertragen müssen.“ „Das heißt, Stefanie und Janet sind meine Tanten oder Halbtanten - wie auch immer man das nennt - und Monika wäre meine Stiefoma?“, überlegte ich und Mama nickte zustimmend. „Würdest du ein Wiedersehen denn jetzt akzeptieren?“, fragte ich hoffnungsvoll. „Für mich würde ich es nicht machen, aber ich bereue es, dass du diesen Teil deiner Familie nicht kennengelernt hast.“ „Aber du würdest es jetzt okay finden? Vielleicht können wir den Kontakt ja irgendwie wiederherstellen?“, hakte ich noch einmal nach. „Ja, ich würde es okay finden, auch wenn ich Angst davor habe, sie wieder zu sehen. Ich weiß nur nicht, wie wir zu ihnen Kontakt aufnehmen wollen und ob sie mich überhaupt wiedersehen möchten. Ich kann nach einer Telefonnummer suchen, glaube aber nicht, dass ich eine finde. Aber lass uns das morgen machen, immerhin ist es schon spät.“ „Okay“, stimmte ich zu.„Gute Nacht, Mami, und danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast“, ich umarmte sie. „Gute Nacht, Malea-Maus. Danke, dass du so verständnisvoll bist. Ich hätte dir die Wahrheit schon viel früher sagen sollen, es wäre bestimmt schön gewesen, wenn du deine Familie schon früher gekannt hättest.“ Ich nickte zustimmend, dann ging sie ins Schlafzimmer und ich in mein Zimmer.
Im meinem Zimmer schnappte ich mir mein Handy und schrieb Emely. Sie hatte mir schon ganz viele Fragen geschickt.

Hast du es ihr schon gesagt?

Wie hat sie reagiert?

Ist alles gut? Du warst schon lange nicht online.

Hast du Handyverbot?

Tut mir leid, ich sollte nicht vom Schlimmsten ausgehen. Bestimmt redet ihr nur sehr lange.

Ich hoffe es ist alles gut? Ich werde jetzt versuchen zu schlafen. Schreib mir trotzdem sofort, wenn du die Nachrichten liest.

Hey Ly,
Es ist alles okay. Mama hat mir die ganze Geschichte erzählt. Es ist wirklich Stefanie und sie ist meine Tante. Die Details erzähle ich dir, wenn wir uns sehen. Ich muss das selbst erstmal alles verstehen.

Ich lag noch lange wach. Mir wurde nach und nach erst wirklich bewusst, dass Stefanie Kloß, meine Lieblingssängerin, meine Tante war. Und vielleicht würde ich sie sogar irgendwann treffen. Mit diesem Gedanken schlief ich irgendwann ein.

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