„Ich dachte, den könntest du brauchen", sagt mein Vater und stellt einen Putzeimer neben mein Bett. Ich danke ihm mit leiser Stimme und vermeide jeden Blickkontakt zu ihm in der Hoffnung, dass er diesen Abend unkommentiert lässt. Aber wem mache ich hier etwas vor. Howard Armstrong wird so etwas nicht unkommentiert lassen. Niemals. „Wir sollten darüber reden was heute Abend passiert ist." Ich setze mich auf die Kante von meinem Bett. Mein Kopf schwirrt immer noch vom Alkohol. „Ich hab gesoffen und jetzt geht es mir schlecht. Ich wollte nicht in Kilians Auto mitfahren. Was sollen wir da noch groß reden?" Mein Vater kommt auf mich zu, bleibt aber trotzdem stehen und sieht auf mich herab. Als müsse er seine Macht demonstrieren. „Da hat Kilian mir aber was anderes erzählt." Verräter, denke ich stumm. „Was hat er denn gesagt?", frage ich wütend. „Dass du nicht nur nicht mit ihm fahren wolltest, sondern du kurz vor einer Panikattacke warst." „Ja und?", ich erwarte dass er mich auch danach fragt wieso ich auf diesen Tisch gestiegen bin und wieso Kilian so sauer auf mich war. „Luna. Er macht sich Sorgen um dich. Und ich tue das auch. Wir alle. Aber Alkohol löst das Problem nicht." Er hat sich keine Sorgen um mich gemacht, als ich auf diesem Tisch stand. Da war er einfach nur wütend auf mich. Wütend weil ich ihn blamiert habe und ihm den Abend mit diesem Mädchen verdorben habe. Weil er sich um seine kleine dumme Stiefschwester kümmern musste. Die sich vor Gott und der Welt halbnackt auf einen Tisch stellen musste. „Ich wollte einfach wie ein ganz normales Mädchen in meinem Alter einen Abend abschalten. Mal nicht nachdenken. Meine Probleme nur einen einzigen Abend vergessen. Nur einen einzigen Abend nicht das Mädchen mit der toten Mutter sein. Nur einen verdammten Abend!" Erneut spüre ich wie mir heiße Tränen über die Wangen laufen. Meine Kraft ist erschöpft. Er seufzt und setzt sich wider Erwarten neben mich und streicht mir über den Rücken. Ich erschaudere und spanne meine Muskeln an. Er fühlt sich einfach immer noch so fremd an. Dieser Gedanke treibt einen weiteren Schauer über meinen Rücken. „Ich weiß, dass das nie mehr so sein wird. Und ich weiß auch dass ich meine Probleme nicht wegsaufen kann. Aber ich kann nicht mehr das traurige Mädchen sein. Ich kann nicht mehr, Papa. Ich kann das alles nicht mehr. Ich kann nicht mehr sauer auf dich sein, weil du mich damals im Stich gelassen hast. Ich kann nicht mehr nur trauern. Ich kann nicht mehr sauer auf Kilian sein, weil er" „Weil ich was?", fragt Kilian im Türrahmen. Ich zucke zusammen. Wieso muss er gerade jetzt auftauchen? „Nichts", hauche ich, weil ich eigentlich nicht darüber reden möchte. Schon gar nicht vor meinem Vater. „Das klang aber nicht danach", widerspricht er. Mein Vater räuspert sich auffällig. „Kilian würde es dir was ausmachen uns alleine zu lassen? Ich würde gerne in Ruhe mit Luna sprechen." Kilian schnaubt abfällig. „Ja klar", erwidert er mit einem überheblichen Tonfall, den ich nicht von ihm kenne. Obwohl wenn ich so darüber nachdenke. Ich kenne Kilian auch überhaupt gar nicht. Nicht ein bisschen. Ich sehe ihm nach, als er eine Kehrtwende macht und geht. „Luna was ist heute Abend noch passiert?", will mein Vater wissen, aber ich schweige. Im Leben werde ich ihm nicht sagen, was passiert ist. „Ich kann dir nur helfen, wenn du mit mir sprichst." „Es ist nichts passiert. Ich bin einfach betrunken gewesen und Kilian wollte mich nach Hause bringen", wiederhole ich meine Geschichte von zuvor. Er seufzt, denn er glaubt mir nicht. „Na schön. Wenn dir doch noch einfällt was wirklich passiert ist, ich bin da." „Du warst die letzten Jahre nicht da", erinnere ich ihn und ignoriere, dass er seinen Kopf erschöpft hängen lässt. „Da fällt es schwer sich daran zu gewöhnen, dass du es jetzt bist." Mein Vater nickt und steht auf. „Ich tue mein bestes, Luna." „Ja ich weiß." Dann geht er und lässt mich mit meinen kreisenden Gedanken alleine.
Mir schwirrt der Kopf und mir ist schlecht.
Ich starre die kahle Decke an und kralle mich in meine Bettwäsche, in dem Versuch die Welt vom drehen abzuhalten. Doch all meine Versuche führen zu nichts außer dazu dass ich mit meinem Gesicht über dem Putzeimer lande und mir den Alkohol ein weiteres Mal durch den Kopf gehen lasse. Meine Kehle brennt von Galle und Alkohol und ich huste während ich mich an den Putzeimer klammere wie ein Überlebender an eine Boje.
Mir steigen Tränen in die Augen, als ich plötzlich etwas feuchtkühles in meinem Nacken spüre. Ich drehe mein Gesicht nur eine Sekunde vom Eimer weg, um zu erkennen, dass Kilian stumm neben mir sitzt, seine Hand samt nassem Wadchlappen in meinem Nacken. Seine Miene ist ausdruckslos. Kein Zucken seiner Mundwinkel, keine Emotion in den Augen. Wie macht er das nur? Seine sonst so lebhaften Augen scheinen einfach in die Luft zu starren ohne klaren Fokus. Vielleicht findet er das kotzen aber auch einfach ekelig und will sich nichts anmerken lassen.
Ich schlucke den Speichel, der sich in meinem Mind bildet, weil ich nicht noch mehr kotzen möchte. Ich will nur noch schlafen und vergessen. „Lass es raus, sonst wird es gleich nur schlimmer." Seine Stimme wirkt genauso beherrscht wie seine Körperhaltung. Ich schüttele nur den Kopf und versuche meinen Blick auf Kilian zu fokussieren. „Ich will nicht vor dir kotzen", teile ich ihm mit und nehme einen Schluck aus dem Glas Wasser neben meinem Bett, mit dem ich meinen Mund ausspüle und ihn ebenfalls in den Eimer spucke. „Zu spät. Ich war gerade schon live dabei, bevor ich den Waschlappen geholt habe." na klasse, denke ich und verziehe das Gesicht. Wieder schlucke ich und versuche meinen Magen zu beruhigen. „Was willst du hier Kilian?", frage ich trotzig und wende meinen Blick keine Sekunde von ihm ab. Er schaut mir jetzt genau in die Augen. Immer noch kann ich darin keine Gefühlsregung erkennen. „Nach dir sehen." Seine Antwort ist knapp - etwas zu knapp. „Ich hab meinem Vater nichts gesagt, falls du deswegen hier bist." Ich stelle den Eimer wieder neben mein Bett und warte auf deine Reaktion. „Was hättest du ihm auch erzählen sollen?" Dass du mich alleine gelassen hast und mir das Gefühl gegeben hast unerwünscht zu sein, dass du mich nicht abgehalten hast auf diesen Tisch zu steigen, denke ich gehässig. Dass du mir damit wehgetan hast, weil ich dir vertraut habe und du dann mit diesem Mädchen rumgemacht hast. Aber das spreche ich nicht aus. „Nichts", hauche ich, als sich das Gefühl der Kapitulation in mir breit macht. Für ihn ist nichts gewesen - also für mich auch nicht. Ich werde mir nicht auch noch die Blöße geben und ihm sagen wie hart mich das Ganze getroffen hat. Gerade als Kilian den Mund aufmacht, um etwas zu sagen, steigt mir wieder Magensäure auf und ich greife schnell nach dem Eimer. Man, ich hasse Alkohol.
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Jones - Luna und Kilian
Teen FictionLuna weiß genau, dass das was sie diesen Sommer erwartet hat kein Traum, sondern grausame Realität ist. Während sie sich damit abfinden muss, dass statt sonnen am Rhein plötzlich ein neues Leben samt Stiefbrüdern vor ihr liegt, wird sie das Gefühl n...