Kapitel 1

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„Mum, wirklich das ist wichig", rufe ich ihr von der Küche aus zu. Sie holt gerade ihre Wäsche aus dem Trockner und legt sie zusammen. Wie kann sie an einem Tag wie heute einfach nur die Wäsche machen wollen? Es ist Samstagabend und Henry Müllersbach schmeißt die wichtigste Party des Jahres. Seinen Geburtstag und mal ganz nebenbei das Ende des vorletzten Oberstufenjahres. Nächsten Herbst sind wir in der Abschlussklasse. Das muss man doch feiern.

„Luna, ich weiß nicht, wieso dir diese Party so wichtig ist. Es werden noch etliche andere kommen!"

Ich rolle mit den Augen, sie sieht es sowieso nicht.

„Kein Grund mit den Augen zu rollen, Fräulein", bemerkt sie, als sie die Küche betritt. Ich sitze an dem kleinen Bartisch, der an unserer Küchenzeile befestigt ist und scrole durch Instagram. Alle wichtigen Leute aus meiner Stufe machen sich bereits fertig für die Party. Kira Schneider, die quasi nur in der Welt von Instagram, Snapchat und co. lebt gibt ihren Followern natürlich die Chance ihre gesamte Partyvorbereitung mitzuverfolgen.

„Mum, es ist Henry Müllerbachs Geburtstag! Das bedeutet ungefähr so viel wie die Party des Jahres! Bitte, du müsstest mich nur zu Lexy bringen und dort wieder abholen. Lexys Mum fährt uns zur Party. Bitte. Mum. Bitte!", ich bettele sie an und setze meinen besten Hundeblick auf.

Meine Mum sieht mich an, als würde sie darauf warten, dass sich mein Angebot verbessert.

„Ich mache zwei Wochen lang den Abwasch und wasche die Wäsche?", setze ich vorsichtig hinterher. Keine Veränderung in ihrem Blick zu erkennen. Ich denke ich muss härtere Geschütze auffahren. „Ich helfe dir die nächsten zwei Wochen im Laden?"

Mum strahlt plötzlich. „Na also. Geht doch." Ist das ihr Ernst? „Um eins hole ich dich ab."

„Was? Schon um eins?", rufe ich entrüstet. Als Mum mich ernst ansieht und ihre linke Augenbraue hochzieht, unterbreche ich meine Beschwerden. „Ist okay. Ich geh mich dann mal fertig machen."

So schnell ich kann renne ich in mein Zimmer. Das wird ein unvergesslicher Abend!

Nach einer schnellen Dusche, beginne ich meinen Kleiderschrank zu durchforsten. Irgendwie gefällt mir nichts von meinen Sachen. Weder das schwarze Kleid von der letzten Schulparty, noch die enge hellblaue Jeans, die Lexy und ich uns im letzten Mona gekauft haben. Ich suche weiter, aber finde nichts – bis ich den Karton ganz unten in meinem Schrank sehe. Eine schwarze Kiste, die ich postwendend dort hinein gesteckt habe, als sie an meinem letzten Geburtstag in der Post war. Ich habe den Absender gesehen und das Paket nicht mal geöffnet. Denn das Paket mit der seidenen Schleife und der Aufschrift irgendeiner Nobelboutique aus München stammt von demjenigen, der vor 5 Jahren beschlossen hat mich und meine Mutter in unserer kleinen Wohnung in Köln zurückzulassen. Meinem Erzeuger. Howard Armstrong. Und ich werde den Teufel tun und dieses Paket öffnen. Lieber gehe ich in meinem alten Biene Maja Kostüm zu der Party. Bevor ich mir weiter den Kopf zerbreche, beginne ich damit meine Haare zu trocknen und meine glatte dunkelbraune Mähne in Locken zu verwandeln.

Als ich schließlich mit Mum zum Auto gehe, bin ich doch ganz zufrieden mit meinem Outfit. Eine schwarze enge Jeans umschmeichelt meine Beine und die Jeansjacke über dem lockeren weißen T-Shirt gibt dem ganzen einen lässigen Look. Aufgeregt schnalle ich mich an und blicke wieder auf mein Handy. Kira unterhält immer noch das halbe Internet mit ihren Storys über ihr Outfit, bis eine Nachricht von Lexy auf meinem Display erscheint. 

>>Warte an der Ecke vor unserem Haus.<< 

Wie immer, denke ich und gebe die Information an meine Mum weiter, die nur lachend ein "wie immer" beisteuert und sich in den Verkehr einreiht. Die Ampel vor uns schaltet auf rot und Mum hält an. 

"Bitte trink nicht zu viel und pass auf dich auf, ja?" Das ist typisch meine Mum. Immer macht sie sich Sorgen um mich. 

"Ja Mum, mach dir keine Gedanken." 

"Ich mache mir immer Gedanken um dich, so sind Eltern", erinnert sie mich und lächelt mich an. Eltern? Nein! So ist meine Mum, so ist Lexys Mum. Aber mein Erzeuger ist das definitiv nicht! 

"Sag das mal meinem Erzeuger", murre ich und sehe genervt aus dem Fenster. Ich weiß, das ist unfair. Schließlich hat er sie genauso übereilt verlassen wie mich, trotzdem musste es raus, als könnte ich es einfach nicht in mir behalten. So war ich eben. Immer frei heraus, was mir gerade in den Sinn kam, nur leider brachte mir das manchmal doch den ein oder anderen Ärger ein. 

"Er ist dein Vater, wenn auch kein guter." So ist meine Mum. Sie sieht immer nur das Gute im Menschen, dabei hat es sie wahrscheinlich genauso sehr verletzt, dass er seine Koffer gepackt hat und mit einem "Es tut mir leid, aber das geht so nicht mehr" Hals über Kopf unsere Wohnung verlassen hat. Um in München eine neue Familie zu gründen. Ohne mich. Ohne Mum. Ohne Vorwarnungen. 

"Er ist ein blöder Arsch, Mum. Er hat uns verlassen, um ne neue Familie in Arschkrampenhausen zu gründen!" Mein Wunsch unbedingt mal München zu sehen, war in der Sekunde erloschen, als die erste Karte kam. Mit einem "Ich hoffe du kommst mich irgendwann mal hier in München besuchen", starb das Bedürfnis auch nur in die Richtung dieser grässlichen Stadt zu fahren. Er hat mir München verdorben. 

"Lass dir davon nicht den Abend ruinieren, okay?" Ich nicke, sehe sie aber nicht an. Ich will nicht, dass sie den Schmerz in meinen Augen sieht. Die Ampel schaltet auf grün und Mum fährt los. 

"Ich hab dich lieb, das weißt du oder?", fragt sie und bleibt zum Abbiegen in der Mitte der Kreuzung stehen. 

"Ja, weiß ich", sage ich und drehe mich zu ihr um. Das letzte was ich sehe ist der schwarze Geländewagen, der mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf uns zukommt.

„Mum pass auf!", schreie ich und versuche mich auf dem Beifahrersitz von Mums Auto zusammenzurollen und mein Gesicht zu schützen. Alles geht unheimlich schnell. Der Aufprall wirft uns durch das Auto, ich höre meine Mum meinen Namen schreien, bis ich plötzlich nichts mehr höre, außer die aufgeregten Stimmen von Schaulustigen. Die Stimmen werden leiser, die Lichter vor meinen Augen weniger grell, ich werde ohnmächtig. Dann höre ich Schreie. Meine Schreie. Ich schreie nach meiner Mum.

„Luna! Wach auf, es ist nur ein Albtraum." Schweißgebadet und nach Luft japsend liege ich in dem unbequemen Krankenhausbett, welches ich seit vier Wochen mein Zuhause nennen darf. Seit dem Unfall, den ich mit meiner Mum zusammen hatte. Mein Arm steckt noch immer in einer Schiene, an meiner Stirn lassen sich die letzten Überreste meiner Platzwunde erkennen. Außerdem habe ich überall Prellungen und blaue Flecken. Ich soll heute entlassen werden. Nach vier Wochen Krankenhausaufenthalt lassen mich die Ärzte tatsächlich nach Hause. Obwohl nach Hause nicht stimmt. Sie schicken mich zu meinem Dad. Dem Mann, den ich seit meinem  vierzehnten Geburtstag nur noch selten persönlich sehe. Die meiste Zeit über sehe ich ihn im Fernsehen oder in der Zeitung, wenn mal wieder darüber berichtet wird, dass der tolle Herr Staatsanwalt Howard Armstrong mal wieder einen Schwerverbrecher hinter Gitter gebracht hat. Das ist mein Dad. Eine glänzende Figur der Öffentlichkeit - die sich nicht für mich interessiert und mich zusammen mit meiner Mum einfach verlassen hat, um nach München zu gehen.

An meinem Bettrand sitzt eine Krankenschwester und hält meine Hand. Wie jeden Morgen, denke ich zynisch. Jede Nacht der gleiche Traum. Der Autounfall, wie die Scheinwerfer auf mich zufliegen, wie ich Mum anschreie sie solle aufpassen und dann der Moment in dem ich nach meiner Mum schreie. Das alles passierte in so wenigen Minuten. In einer Minute kann sich das ganze Leben verändern. Aber war ich dafür wirklich bereit?

Jones - Luna und Kilian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt