Kapitel 6

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Eine kleine Hand umfasst meine und drängt die Gedanken zurück. Ich zucke kurz zusammen, doch der Griff um meine Hand lässt nicht locker. Ich Blick schweift aus der Leere nach unten und fokussiert auf Fynn, der abwechselnd zwischen mir und seiner Mutter hin und her sieht.

"Können wir jetzt gehen?", will er gierig wissen. Sabine nickt und ich setze ein vorsichtiges Lächeln auf.

"Kennst du denn den Weg zum Spielplatz?" Fynn verdreht die Augen. "Aber natürlich", ruft er als wäre es eine Frechheit überhaupt daran gezweifelt zu haben, dass er es weiß.

"Dann lass uns losgehen." Wir machen uns auf den Weg zum Spielplatz. Dabei zieht Fynn an meiner linken Hand und umgehend spüre ich ein starkes Ziehen, welches bis in meinen Oberarm wandert. "Au. Fynn warte. Kannst du die andere Hand nehmen?" Er sieht mich erschrocken an und lässt augenblicklich meine Hand los. Um ihm keine Angst zu machen Strecke ich ihm die recht Hand hin.

"Hab ich dir wehgetan?" Er nimmt meine Hand nicht sondern sieht mich einfach weiter an.

"Nein mir hat jemand anders wehgetan. Deswegen tut mein Arm noch weh. Ich hatte einen Unfall. Du weißt doch, dass ich im Krankenhaus war oder Fynn?" Nach einem Nicken seinerseits führe ich meine Erklärung fort. Ich hocke mich hin um mit ihm auf einer Höhe zu sein. Ich zeige ihm meinen Arm und präsentiere ihm die Narbe. "Da hat ein Arzt meinen Arm wieder gesund gemacht. Aber es tut noch ein bisschen weh, deswegen musst du meine rechte Hand nehmen okay?" Er nickt. "Bald tut es nicht mehr weh." Dank meiner Schmerzmittel, denke ich nüchtern. Die Schmerzen werden noch einige Wochen andauern.

Zögernd nimmt Fynn seine Hand und schiebt sie in meine rechte. Als wir unseren Weg fortsetzen merke ich, dass Fynn sich bemüht weniger an meiner Hand zu ziehen und ruhiger geworden ist. Ob ich es ihm vielleicht nicht hätte zeigen sollen? Vielleicht war das einfach zu viel für ihn. Er ist noch ein Kind, ermahne ich mich selbst. Er sollte das nicht sehen. Sabine wird bestimmt nicht begeistert sein.

Als der Spielplatz in Sicht kommt, ruft Fynn laut:"Guck mal! Da ist Jeremy und sein Bruder!" Da ich weder Jeremy noch dessen Bruder kenne nicke ich nur begeistert und frage mich im Hinterkopf welches der Kinder dort zu welchem Erwachsenen gehört. Als wir näher an den Spielplatz treten dreht sich ein Kind blitzartig zu uns um und rennt auf Fynn zu. "Fynn!", schreit er entzückt. Ich lasse Fynns Hand los, damit er zu seinem Freund rennen kann.

"Jer! Hier geblieben!", ruft auf einmal ein junger Mann und steht von der Holzbank auf. Er ist vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Er könnte in Kilians Alter sein. Neben ihm sitzt ein weitere Typ. Bestimmt sein Kumpel.

Jeremy, oder Jer wie ihn der Junge nennt, bleibt stehen und dreht sich zu dem jungen Mann um. "'Tschuldige", nuschelt Jeremy, als der Typ bei ihm ankommt. Als dieser jedoch Fynn entdeckt entspannt er sich ein wenig, was sich aber sofort wieder ändert, als er mich an Fynns Seite entdeckt.

"Wer bist du denn?", will er wissen. Sieht er in mir etwa eine Bedrohung? Denkt er ich will Fynn etwas antun?

"Das ist meine Schwester!", ruft Fynn begeistert. Der Typ starrt mich ungläubig an.

"Schwester?"

"Ich höre auch auf den Namen Luna", gebe ich zurück und mustere ihn aufmerksam. Rein äußerlich ist er definitiv bedrohlicher als ich. Rötlich braune Haare, die ungeordnet auf seinem Kopf liegen, er ist mindestens zwei Köpfe größer als ich und scheint recht muskulös zu sein. Seine dunkelgrünen Augen sind auf mich gerichtet und sehen mich forschend an. Als er meinen Namen hört blitzt verstehen in ihnen auf. 

"Du bist also das geheimnisvolle Mädchen, dass bei den Armstrongs eingezogen ist. Kilian hat schon erzählt, dass du kommst." Kilian hat erzählt dass ich komme? Was hat er ihm noch erzählt? "Wenn du willst, kannst du dich zu uns setzen. Wir beißen auch nicht." 

"Gerne." Ich folge ihm zu der Bank, von der er gerade aufgestanden ist. Der andere Junge steht auf als wir kommen und streckt mir die Hand entgegen. "Hey, ich bin Keirran und das ist Milan, ich denke er hat sich wie immer nicht vorgestellt." Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln, in das man sich fast vergucken könnte. Aber eben auch nur fast. "Möglich, Babe, möglich", merkt Milan an und setzt sich mit ausgestreckten Beinen auf die Mitte der Bank. Babe, wiederhole ich in Gedanken und weiß genau es ist kein Zufall, dass er sich in die Mitte der Bank gesetzt hat. Er will Abstand zwischen mich und Keirran bringen, denn ich halte immer noch dessen Hand. "Luna, freut mich", sage ich knapp und entziehe ihm dann wieder meine Hand. Keirran nimmt links neben Milan Platz und greift sofort nach seiner Hand, um seine eigenen Finger mit Milans zu verschränken. Sie müssen sehr selbstbewusst sein, denke ich  und sehe mit einem Anflug von Bewunderung auf die verschränkten Hände. Ich setze mich zu Milan rechter Seite. 

"Also Luna, was führt dich her? Kilian meinte nur, du wärst eigentlich aus Köln." Der Tod meiner Mutter, wäre die ehrliche Antwort. "Lange Geschichte", die Antwort die ich Milan tatsächlich gebe. "Und woher kennst du Kilian?" Milan schenkt mir ein süffisantes Grinsen. "Lange Geschichte."

Keirran knufft ihn in die Seite. "Sei nicht so ein Arsch. Kilian und er studieren beide im gleichen Semester an der LMU." Ich gehe in meinem Kopf alle Informationen durch, die ich über München abgespeichert habe. LMU, die Ludwig-Maximilians-Universität liegt in Maxvorstand relativ zentral in der Stadt. Vor meinem inneren Auge sehe ich das weiße Hauptgebäude mit dem orangeroten Dach. Für irgendwas hat sich das recherchieren über München in den letzten Wochen nun doch ausgezahlt.

"Schöne Universität", muss ich zugeben. Verglichen mit der Universität zu Köln ist sie wirklich ein Hingucker. Wir verfallen in kurzes Schweigen und sehen dabei Fynn und Jeremy beim Spielen zu.

"Was ist an deinem Arm passiert?", fragt Milan mit selbstbewusster Stimme.
"Was denn, das hat Kilian euch nicht erzählt?" Ich lache nervös. Ich hätte mich für etwas langärmliges entscheiden sollen.

"Er ist erwachsen. Auch er hat seine Geheimnisse."

"Wer hat die nicht", murmle ich. "Ich hatte einen Autounfall. Irgendwelche halbstarken Idioten, haben sich die SUVs ihrer Eltern geliehen und ein illegales Straßenrenne mitten in der Innenstadt veranstaltet." Ich schlucke, um die Scheinwerfer, die durch meinen Kopf spuken loszuwerden. Das Bild wie der Geländewagen auf meine Mutter zukommt und wir durch die Gegend geflogen sind, werde ich nie wieder vergessen. Die Information, dass meine Mutter ihr leben lies, lasse ich bewusst weg. Das geht keinen etwas an.

Milan räuspert sich, Keirran sieht ihn mit einen hochgezogenen Augenbraue an. Ich ignoriere ihr seltsames Verhalten und blicke auf mein Handy. Lexy hat mir geschrieben, dass sie heute Abend alles über Kilian hören will. Ich antworte mit einem lachenden Emoji, dann stecke ich das Handy wieder weg. Ich höre ein Kind schreien, was mich sofort in Alarmbereitschaft versetzt. Ich blicke zu Fynn, der sich aus dem Sand erhoben hat und in die Richtung rennt, aus der wir gerade gekommen sind. "Nein, Fynn! Bleib hier!", schreie ich und renn ihm hinterher. Als ich Kilian sehe, der seinen kleinen Bruder auf den Arm nimmt und in die Luft schmeißt beruhige ich mich augenblicklich. Mein Atem geht schnell, mein Herz klopft mir bis zum Hals - was ich dem kurzen Sprint zuschreibe, nicht diesem unverschämt hübschen Typen vor mir. 

"Was tust du hier?", frage ich, als Kilian mit Fynn auf dem Arm zu mir tritt. "Nana, Luni, begrüßt man so seinen älteren Bruder?" Ich schnaube. "Du bist nicht mein Bruder, Kilian. Wir sind nicht verwandt." Warum habe ich das Gefühl ich müsse ihm diese Tatsache klar machen? Wieso poche ich so sehr auf diesem Fakt? "Stimmt. Hey Jungs!", ruft er jetzt, lässt Fynn wieder in den Sand hinunter und widmet sich seinen Freunden, die grinsend auf der Bank hocken. Er begrüßt sie mit einem Handschlag, dann setzt er sich auf genau den Platz, auf dem ich noch vor wenigen Sekunden saß. Na toll. Ohne groß drüber nachzudenken, nehme ich all meinen Mut zusammen und schlendere zu den dreien zurück, die die gesamte Parkbank für sich einnehmen und setzte mich wie selbstverständlich auf Kilians Schoß. Gleiches Recht für alle. Er legt sich ohne Einladung in mein Bett, ich setze mich auf seinen Schoß. Ich rechne damit, dass er mich von seinem Schoß scheucht oder protestiert, doch er sagt nichts. Er nimmt es hin, dass ich auf seinen Oberschenkeln sitze und unterhält sich unbeirrt weiter mit Milan und Keirran. Diese tauschen nur kurz einen Blick, dann tun auch sie so als sei nichts gewesen. Es ist ja auch nichts passiert, denke ich und ignoriere, die Gänsehaut, die sich über meinen Körper zieht. 

Jones - Luna und Kilian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt