Kapitel 3

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Fynn ist vier, liebt die Feuerwehr und geht gerne schwimmen. Soviel habe ich bereits erfahren, während er mich an der Hand durch das Haus zieht. Ich habe kaum Zeit mich umzusehen, so sehr zieht er an meinem Arm. Ich entdecke aus dem Augenwinkel ein Wohnzimmer zu meiner rechten. Große dunkelgraue Wohnlandschaft, ein Flachbildfernseher, ein moderner Glastisch und eine Menge Deko.
Aber so richtig ansehen kann ich mir die Inneneinrichtung nicht, denn Fynn zieht an meinem Arm - dem ohne Schiene - und lässt sich von mir nicht aus der Ruhe bringen. Er plappert und plappert und plappert. Links ist eine Treppe die vermutlich zu den anderen Räumen führt, denn als wir das Wohnzimmer hinter uns lassen, stehen wir in einem großen Eingangsbereich, der durch einen kleinen Tresen mit der Küche und dem Esszimmer verbunden ist. Alles wirkt sehr modern und sauber. Ein bisschen zu sauber für meinen Geschmack. Aber mein Erzeuger hat auch mit Sicherheit eine Putzfrau.

"Daddy! Luna ist wach", schreit Fynn in die Runde. Sabine, die in echt noch ein bisschen hübscher ist als auf den Fotos die mir mein Erzeuger vor etwas drei Jahren geschickt hat, lächelt ihren Sohn liebevoll an. Mein Erzeuger sieht mich mit stolzen Augen an. Beide sitzen in gemütlicher Kleidung am Esstisch. Ich habe meinen Erzeuger, der jetzt an seinem Kaffee nippt, schon lange nicht mehr in Jogginghose gesehen. Es wirkt alles ein wenig surreal. Es passt nicht zu ihm.

"Das sehen wir, Fynn." Ehe Fynn mich weiterziehen kann, ertönt eine dunkle Stimme hinter mir.

"Morgen." Eher Morgenmuffel, würde ich tippen. Als der Körper, zu dem die Stimme gehört sich an mir vorbeischieben will, stößt er unsanft gegen meinen verletzten Arm.

"Au." Augenblicklich dreht er sich um. Ich Blicke in grüne Augen, die mich verwirrt Mustern. Anscheinend kennen mich hier noch nicht alle. "Sorry", bemerkt er und sieht auf meinen Arm herab. Die Narbe an meinem Ellenbogen prickelt. Vor vier Wochen steckte da noch eine Glasscherbe.

"Schon okay." Ich beobachte ihn. Seine blonden Haare liegen unordentlich auf seinem Haupt, auf seinem Gesicht liegt ein leichter Bartschatten. Er sieht ein wenig verknautscht aus.Er passt irgendwie nicht so richtig ins Bild, denn obwohl mein Erzeuger in Jogginghose am Frühstückstisch sitzt, sieht er aus wie geleckt. Zu ordentlich für einen Samstagmorgen kurz nach dem Aufstehen. Ich will gar nciht wissen wie schlimm ich aussehe.

„Willst du mich noch länger anstarren oder setzt du dich auch?", fragt er lachend und legt den Kopf schief. Fynn lässt mir gar keine Zeit zu antworten, schiebt mich einfach auf den Platz neben seinem Hochstuhl und damit genau gegenüber von dem mir unbekannten jungen Mann.

„Entschuldige meinen Sohn, Luna. Kilian vergisst manchmal, dass er Manieren hat." Ihr Sohn also. Sie sagte meinen Sohn, also bin ich hoffentlich nicht auch noch mit ihm verwandt. Ein Halbbruder reicht mir vollkommen.

„Hast du gut geschlafen, Luna?", will Sabine wissen. Ich sehe sie an und nicke stumm. Sie sieht nett aus, aber so gar nicht wie meine Mum. Während meine Mum dunkelbraunes Haar in wilden Locken trug, ist Sabines rotblondes Haar glatt und in einem längeren Bob geschnitten. Das einzige was die beiden gemeinsam haben ist ihre Schönheit. Denn meine Mum ist - Nein, war - die schönste Frau die ich kenne. In meinem Magen bildet sich ein Klumpen. Ich hätte in meinem Zimmer bleiben sollen, denke ich hektisch.

"Nun Luna, ich weiß du hättest eigentlich noch zwei Wochen Ferien. Allerdings haben hier in München die Ferien erst später begonnen. Du hast also noch bis zum zehnten September frei. Dann beginnt hier dein letztes Schuljahr."

Schulwechsel. Noch so ein Problem, dass ich nicht eingeplant hatte. Ich nicke nur stumm bei dem Fluss an Informationen. Was soll ich dem auch noch entgegen bringen? Es ist beschlossene Sache, meine Anmeldung an der neuen Schule ist schon seit Wochen durch und was mein Erzeuger sagt, wird wohl gemacht.

"Hier Luna, magst du auch einen?", fragt Fynn und hält mir einen kleinen Fruchtjoghurt unter die Nase, die ich als Kind auch immer gegessen habe. Ich nehme den kleinen Joghurt lächelnd entgegen und stelle Fynn damit vollends zufrieden. Denn sobald er den Joghurt an mich los wird, beginnt er sich seinem eigenen zu widmen.

Eigentlich habe ich gar keinen Hunger, denke ich bedrückt. Trotzdem öffne ich den Joghurt und esse ihn Löffel für Löffel, während ich die Blicke ignoriere die mir zugeworfen werden. Sie sollen wohl unauffällig sein, aber wobei sind Erwachsene schon unauffällig? Der einzige der gar nicht erst versucht zu verstecken, dass er mich anstarrt ist Kilian. Er blickt mich mit einer Intensität an, die mich einschüchtern. Als würde er auch durch mein Shirt die blauen Flecken sehen und inspizieren können.

"Am Montag hast du einen Termin zur Gipskontrolle. Ich habe leider einen Termin, deswegen kann ich dich nicht fahren, aber Kilian oder Sabine werden dich bringen." Kilian zieht erstaunt eine Augenbrauen hoch. Anscheinend ist er genauso überrascht über die Information wie ich es bin. Und richtig erfreut sieht er auch nicht aus. Er setzt gerade zu einem Widerspruch an, als Fynn ihn freudig unterbricht.

"Mummy! Wir fahren sie ja? Dann können wir noch auf den Spielplatz gehen. Magst du Spielplätze Luna? Ich kann ganz toll schaukeln! Und richtig gut klettern." Fynn verfällt in einen nicht enden wollenden Redeschwall. Von seinen Schaukelkünsten kommt er mit einmal mal zum Zoo und im nächsten Satz geht es schon wieder um seinen Kindergarten und seinen Freund Jeremy, der immer von seinen Geschwistern in den Kindergarten gebracht wird. "Seine Schwester ist fast so schön wie du, aber sie kommt immer zu spät, weißt du? Jeremy hat erzählt, dass seine Schwester auch lange im Krankenhaus war." Er erzählt das alles mit einer Begeisterung, die darauf schließen lässt, dass er noch nicht ganz versteht, was es heißt lange im Krankenhaus zu sein. Dass es bedeutet, dass man schwer krank oder verletzt sein muss, um dort mehrere Wochen zu bleiben.

"Mach mal einen Punkt, Kurzer", unterbricht Kilian seinen kleinen Bruder. Dieser streckt ihm nur die Zunge raus und beißt in sein halbes Brötchen, welches mit Schokocreme bestrichen ist. "Magst du auch?" Fynn hält mir sein angebissenes Brötchen vor die Nase. Ich schüttele nur den Kopf. Er zuckt mit den Schultern und beißt abermals hinein.

"Luna, willst du vielleicht etwas anderes?", fragt mein Dad und sieht das erste Mal seit einer Ewigkeit wirklich zu mir. Wieder schüttele ich nur den Kopf.

"Kannst du auch sprechen?", will Kilian plötzlich wissen und ich merke, dass ich bisher noch nichts gesagt habe.

"Eh ja." Mehr kriege ich nicht raus. Es reicht um Sabine ein Lächeln zu entlocken und Fynn empört aufschnaufen zu lassen.

"Natürlich kann sie Sprechen! Das ist meine Schwester, die kann alles!" Ich kann alles? Das höre ich zum ersten Mal.

"Komm mal runter, Kurzer. Ich wollte nur mal die Stimme unserer Schwester hören." Unserer Schwester. Wie sich das anhört. Bis vor zwei Stunden wusste ich nicht mal, dass Kilian existiert geschweige denn Fynn. Vielleicht hätte ich die Briefe meines Erzeuger doch mal lesen sollen.

Jones - Luna und Kilian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt