SIEBEN

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»Okay«, sagte ich und las das Schild neben der Tür. » Zimmer WB307 - Klassenzimmer der 11A. Danke, Colin.«

Ich klopfe an die Tür und sobald das erwartete »Herein« erklang, betrat ich zögerlich den Raum.

Die Augen aller Anwesenden richtete sich auf mich, was nicht wirklich viele waren. Es gab lediglich Platz für zwölf Schüler und nur ein Platz war frei. Er war in der ersten Reihe, aber immerhin befand er sich direkt neben Delia. Zwei Plätze weiter jedoch saß niemand geringeres als Thi, die ihren Kopf senkte, sobald sich unsere Blicke trafen.

»Du musst die letzte unserer neuen Schüler sein«, sagte der Lehrer. Ich kannte ihn nicht, aber ob das daran lag, dass ich ihn vergessen hatte, oder daran, dass er neu war, wusste ich nicht. »Avena, richtig?«

Ich nickte. »Tut mir leid für die Verspätung. Ich habe den Raum nicht gefunden.«

»Das ist kein Problem«, sagte der Lehrer. »Pass einfach auf, dass es nicht noch einmal passiert, ansonsten muss ich dich ins Klassenbuch eintragen. Setz dich doch. Wir sind gerade dabei, für alle neuen Schüler eine Vorstellungsrunde zu machen.«

Ich ließ mich auf den freien Stuhl sinken und lächelte Delia zur Begrüßung zu. Es stellte sich heraus, dass wir insgesamt vier neue Schüler waren. Unser Lehrer hieß Herr Ganow, unterrichtete Biologie und ich kannte ihn tatsächlich noch nicht, da er erst seit vier Jahren hier arbeitete.

»Wie fühlt es sich eigentlich an, wieder am Schloss zu sein?«, fragte Delia, während Herr Ganow dabei war, irgendwelche Zettel auszuhändigen.

»Es ist echt seltsam«, erwiderte ich. »Ich kann mich kaum an die Räume erinnern, obwohl ich vier Jahre hier verbracht habe.«

»Das liegt vermutlich an deinem Trauma. Sag mal, wieso wolltest du überhaupt zurück? Wäre Rosa meine Cousine gewesen, hätte ich die Schule um jeden Preis gemieden.«

Ich konnte Delia kaum die Wahrheit sagen: Dass ich vermutete, dass Rosa ermordet wurde und nach ihrem Geist suchte. Nein, sie würde mich für verrückt erklären.

Also tischte ich ihr den gleichen Grund auf, den ich Dad genannt hatte. »Ich wollte ihr näher sein«, sagte ich.

Herr Ganow war mittlerweile fertig mit dem Aushändigen und stellte sich vor die Tafel. »Vor euch habt ihr den Unterrichtsplan für dieses Halbjahr liegen«, sagte er. »Außerdem findet ihr dort die Termine für die Präsentationen und die Klausur. Ihr alle werdet Anfang Oktober Referate halten müssen, entweder alleine oder in Gruppen. Auf der Rückseite des Handouts sind einige Themenvorschläge, aber es ist immer gern gesehen, wenn ihr euch selbst eines ausdenkt. Die einzige Vorschrift ist, dass es mit der Auswirkung der Globalisierung auf die Umwelt zu tun hat, da wir diese in den nächsten Monaten im Unterricht behandeln werden.«

Mir grauste es jetzt schon vor all den Biologiestunden, die ich noch vor mir hatte. Ich hasste Referate, seitdem Thi meines zerstört hatte.

»Avena?«, fragte Delia. »Willst du mit Thi und mir das Referat machen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich halte das lieber allein.«

»Oh, okay.« Delia wirkte enttäuscht. »Wenn du es dir anders überlegst, kannst du jederzeit bei uns mitmachen.«

»Nicht wirklich«, mischte Thi sich ein. »Wenn sie mitmachen will, muss sie das jetzt entscheiden. Später wäre es viel zu umständlich, das ganze Referat anzupassen.«

Der Rest des Unterrichts zog sich im Schneckentempo dahin. Die Stunde danach hatten wir, zum Glück, ausnahmsweise keinen Unterricht, sondern versammelten uns mit allen anderen Klassen zu einer Art Willkommensveranstaltung und zwar in nichts geringerem als einer Kirche.

Meine Klasse und ich machten es sich auf einer der Emporen gemütlich und ich war ein wenig erstaunt darüber, dass alle Schüler in die Kirche hineinpassten. Zwar mussten einige der Zuspätkommer am hinteren Ende der Kirche stehen, aber zumindest mussten sie nicht draußen warten.

Ein schlanker Mann, gekleidet in einen schwarzen Anzug mit einer pinkfarbenen Krawatte, sprang energetisch die Stufen zur Bühne hinauf, und langsam verklangen die Gespräche in der Menge.

»Guten Morgen!«, rief er in die Kirche hinein. »Herzlich willkommen an die neuen Schüler und an alle anderen herzlich willkommen zu einem weiteren wundervollen Schuljahr am Schloss Elinar.«

Er hielt inne und einige der Schüler klatschten bescheiden Beifall.

»Für alle, die mich noch nicht kennen«, fuhr der Mann fort, »ich bin Herr Kohl, euer Schulleiter. Heute beginnt für euch ein neuer, wichtiger Lebensabschnitt und wir, die Lehrer und ich, möchten euch dabei mit unserer vollsten Stärke unterstützen. Um das optimale Lernerlebnis zu erzielen, gibt es natürlich einige Regeln, die ihr befolgen müsst. Ich werde euch gleich einen Schulplaner aushändigen, in dem ihr die Regeln finden werdet, aber damit ihr sie auf keinen Fall vergesst, werde ich die wichtigsten für euch zusammenfassen. Grundsätzlich dürft ihr ab der neunten Klasse mit der unterschriebenen Einverständniserklärung eurer Eltern in euer Freizeit das Schulgelände verlassen, um die naheliegende Stadt Anralm zu besuchen, allerdings müsst ich euch dafür vorher im Sekretariat abmelden. Nachtruhe ist um 22 Uhr, danach dürfen die Zimmer nur noch für Toilettengänge verlassen werden ...«

Seine Stimme war so monoton, dass es mir leicht fiel, seine Rede auszublenden. Mein Blick schweifte über die Kirche, über die meterhohen, aus dunklem Holz bestehenden Wände, die große Orgel und die Abbildungen von fliegenden Engeln auf der himmelblauen Decke. Neben mir flüsterte Thi etwas zu Delia und ganz vorne, in den ersten Reihen, saßen die Grundschulklassen. Dort hatte ich auch mal gesessen, in meinen ersten vier Schuljahren, und der Rede von Herr Kohl wie gebannt zugehört. Daran erinnerte ich mich noch. An Herr Kohl, der jedes Jahr eine andersfarbige, aber immer eine knallbunte Krawatte getragen hatte.

Dort vorne hatten Thi und ich die Theateraufführung der anderen Klassen angeschaut. Jedes Jahr. Die letzte war der Wolf und die sieben Geißlein gewesen. Wir hatten über die süßen Kostüme der Geißlein gekichert und uns kaum einkriegen können, damals, als wir uns noch nicht gehasst hatten.

Eigentlich hatte ich selbst mit meiner Klasse auftreten sollen, doch das war am Ende des vierten Schuljahres gewesen und bevor das Theaterstück aufgeführt werden sollte, war Rosa gestorben und ich hatte die Schule verlassen.

Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Kohl richtete, redete der gerade über ein anstehendes Sommerfest und die Klassenreisen am Ende des Jahres.

»Ich wünsche euch allen ein lehrreiches, mit Freude gefülltes Schuljahr«, sagte er abschließend.

Danach ging das Schulorchester auf die Bühne und spielte einige klassische Lieder und dann, viel zu früh, war die Willkommensfeier wieder beendet.

Die Geister von Schloss ElinarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt