NEUN

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Ich spießte einen Romanesco auf meiner Gabel auf und beförderte ihn zu meinem Mund. Er war lecker, zwar ein wenig wässrig, aber insgesamt schmeckte er gut.

»Du warst diejenige, die in der Grundschule schonmal auf dieser Schule war, stimmt's?«, fragte Jaden.

»Genau«, wollte ich sagen, doch ich hatte noch zu viel Romanesco in meinem Mund, also kam nur ein »Geschnau« heraus. Ich nickte, um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen.

»Cool, dann müsstest du Franz kennen«, sagte Jaden. Er deutete auf seinen Sitznachbarn. »Er ist schon seit der dritten Klasse auf der Schule.«

Franz lächelte mir zu. »Damals war ich in der Parallelklasse, aber ich erinnere mich noch an dich. Du warst immer mit Thi zusammen unterwegs, kann das sein?«

Warum erinnerte er sich an so etwas, wenn ich überhaupt nicht einordnen konnte, wer er war? Waren wir damals befreundet gewesen?
Ich hatte keine Ahnung, dabei hatte jede Stufe nur zwei Klassen und diese waren damals sicherlich nicht viel größer als jetzt gewesen.

Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht, ich erinnere mich nicht mehr so gut daran«, log ich, obwohl die Zeit mit Thi diejenige war, die ich noch am klarsten in meinem Gedächtnis hatte.

»Doch, doch«, sagte Franz. »Ich bin mir sicher. Ihr hattet immer Angst vor irgendwelchen Geistern.«

Ich verschluckte mich fast an meiner Lasagne.

Geister? Das kam mir seltsam vor. Damals hatte ich noch keine Geister gesehen. Nein, das hatte erst angefangen, lange nachdem Rosa gestorben war.

»Oh, warte«, sagte Franz. »Du warst das Mädchen, dessen Schwester gestorben war! Wie war nochmal ihr Name?«

Meine Hand, die auf dem Weg war, einen weiteren Romanesco aufzuspießen, fing an zu zittern und ich musste mich zurückhalten, ihm den Romanesco nicht an den Kopf zu werfen. Rosa war ein wundervoller Mensch gewesen und auf solch eine grausame Art gestorben. Wie konnte dieser Junge, den ich kaum kannte, solch eine respektlose Frage stellen?

»Sie war meine Cousine«, korrigierte ich ihn. »Nicht meine Schwester.«

»Oh, das erklärt einiges«, sagte Franz und ich hatte keine Ahnung, was das erklärte.

»Franz, halt doch einfach dein Maul«, warf Jaden ein.

»Jones, chill mal dein Leben«, sagte Franz. »Ich unterhalte mich nur.«

»Deine Kommentare sind komplett unangebracht«, sagte Jaden. Nein, Jones hieß er. Ich prägte mir seinen Namen ein. Denn Jones war nett. Jones verdiente es, wenn man sich seinen Namen merkte.

Franz der Fehldruck hingegen nicht.

»Was hab ich falsch gemacht?«, fragte Franz.

Ich rollte mit den Augen. »Das muss ich mir nicht antun«, sagte ich und nahm mein Tablett, um zu gehen.

Im Weggehen hörte ich noch Franz, der wiederholt fragte, was er falsch gemacht hatte.

Ich setzte mich an einen Tisch auf der anderen Seite der Mensa.

Ich blieb jedoch nicht lange allein, denn ich hatte nur einen Bissen gemacht, da tauchte Colin bereits vor mir auf und schaute gierig auf mein Essen. »Darf ich etwas abhaben?«, fragte er.

Wo war er überhaupt hergekommen? Hatte er mir die ganze Zeit aufgelauert?

Ich hielt meine Hand vor meinen Mund, damit niemand etwas von meinen Selbstgesprächen mitbekam. »Du brauchst doch gar nichts zu essen, schon vergessen?«, versuchte ich möglichst leise zu sagen. »Du bist tot.«

»Ich finde es wirklich sehr unsensibel von dir, wie du über meinen unlebendigen Zustand redest«, sagte Colin und setzte sich. »Bitte, gib mir etwas ab. Ich habe Hunger und die Lasagne sieht richtig gut aus. So gut, dass mir das Wasser in meinem unlebendigen Mund zusammenläuft. Siehst du das?«

Ich hatte kein Interesse, Colins Spucke zu betrachten und wandte mich ab, als er mir seinen offenen Mund entgegen streckte.

»Hol dir doch deine eigene Lasagne«, sagte ich, doch Colin griff nach meiner Lasagne und schaufelte sich fast das ganze Ding in den Mund.

»Hey du Blödkopf, was soll das?« In meiner Aufruhr vergaß ich fast, dass ich eigentlich leise sein wollte.

Bis jetzt hatte ich nicht gewusst, dasa Geister überhaupt in der Lage waren, etwas zu essen, doch Colin schien seinen Monsterbissen ohne Probleme runterschlucken zu können. Nun, Probleme hatte er schon, denn sein Mund war so voll, dass er kaum kauen konnte, doch seine Verdauung schien intakt zu sein.

Als er fertig war, stand er auf. »Es ist nicht so, als ob du mich aufhalten könntest«, sagte er. »Nicht, wenn du so viel Publikum hast.« Und mit diesen Worten verschwand er und ließ mich zurück, mit einigen Krümeln Lasagne und einem kleinen Haufen Romanesco.

Missmutig aß ich die letzten Reste auf und wartete, bis die Schulglocke erklang.

In der nächsten Doppelstunde hatte ich Italienisch, allerdings in einem anderen Raum als der Unterricht zuvor. Zum Glück befand er sich allerdings ganz in der Nähe des Klassenraums, sodass ich ihn ohne Probleme fand.

Als ich eintrat, war Thi die einzige Anwesende. Zumindest die einzige Lebende, denn Colin stand vor einem der Regale und war dabei, die Buchrücken zu lesen.

Ich hielt meinen Abstand zu Thi und setzte mich in die letzte Reihe, doch auch nach einigen Minuten war keine Spur von unseren Mitschülern zu sehen.

»Wo sind denn die anderen?«, fragte ich.

Thi reagierte nicht und ich dachte, sie hätte mich nicht gehört oder wollte mich ignorieren, doch dann drehte sie sich langsam zu mir um. »Wir sind die einzigen, die Italienisch als zweite Fremdsprache gewählt haben«, sagte sie. »Die anderen haben alle Französisch oder Latein.«

Ich atmete frustriert aus. »Na, toll.« Das hatte mir ja gerade noch gefehlt.

»Was denn?«, fragte Thi. »Freust du dich etwa nicht, mit deiner ehemaligen besten Freundin Paarunterricht zu haben? Oder bekommst du jetzt doch ein schlechtes Gewissen, weil du grundlos unsere Freundschaft zerstört hast?«

»Ich habe hier gar nichts zerstört.«

»Ich weiß, dass du denkst, ich hätte dir Sand ins Gesicht geschmissen, aber selbst wenn, dann war das nur einmal. Jedes Kind hat schon einmal mit Sand geschmissen. Das ist kein Grund, eine Freundschaft zu zerstören. Also, warum hasst du mich so sehr?« This Stimme brach mitten im letzten Satz und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass sie verletzt klang.

So viel wie Delia mit Thi redete, hätte ich gedacht, dass sie Thi von unserer gestrigen Konversation erzählt hatte, aber Thi schien davon nichts zu wissen.

»Mein Giraffen-Terrain«, half ich ihr auf die Sprünge.

»Welches Giraffen-Terrain? Wovon redest du?«

»Sie hat einen Punkt«, mischte Colin sich ein. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass dir im Internat erlaubt wurde, Giraffen als Haustiere zu halten. Ich meine in der Schulordnung gelesen zu haben, dass jegliche Art von Haustieren verboten sind. Sogar Hamster sind nicht erlaubt, dabei sind die so klein, dass sie eigentlich niemanden stören sollten. Ein Giraffen-Terrain auf der anderen Seite würde ganz schön viel Platz in Anspruch nehmen.«

»Ich wollte ein Referat über Giraffen halten«, erklärte ich. Es verletzte mich, dass Thi sich nicht einmal mehr erinnerte, was sie mir angetan hatte. »Dafür habe ich das natürliche Habitat von Giraffen nachgebastelt.«

»Oh, die Giraffen!« Thi lächelte, so strahlend wie die Sonne, die einen verbrannte, wenn man ihr zu nahe kam. »Das weiß ich noch. Es war richtig süß, wie viel Mühe du dir dafür gegeben hast.«

»Ja«, sagte ich trocken, »und dann hast du es verbrannt, aus welchem Grund auch immer.«

This Lächeln zerfiel. »Ich habe es nicht verbrannt. Ich schwöre es dir, so etwas würde ich niemals machen.«

Die Geister von Schloss ElinarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt