[Kapitel 4] - Chan -

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Ich wartete ungeduldig in meinem Büro. Würde er sich überhaupt hierher trauen? "Lee Felix, wo zum Teufel bleibst du?", sprach ich mit mir selbst und zog den Knoten meiner Krawatte ein Stück nach unten, sodass sie etwas lockerer um meinen Hals hing. Ich hasste es sowieso schon, wenn man mich warten ließ, aber heute ging es mir besonders gegen den Strich.

Die letzten zwei Tage hatte ich mit mir selbst gerungen. Wie sollte ich ihm gegenübertreten? Anfangs war ich einfach davon überzeugt, dass ich am besten so tun sollte, als sei das alles nie passiert. Dann dachte ich, dass ich immerhin sein Professor bin und das ganze vielleicht einfach nur ruhig erklären musste. Anschließend war ich kurz davor, ein Flugticket auf einen anderen Kontinent zu buchen und mich einfach von hier zu verdrücken.

Weswegen wollte er mich nochmal sprechen? Wegen seiner Hausarbeit. So ein Blödsinn, er hatte sich vermutlich einfach nur Sorgen um seine Noten gemacht, weil er an dem Tag durch seine Verspätung negativ aufgefallen war. Er war strebsam und sehr gewissenhaft. Nicht umsonst hatte er ein Stipendium. Verdammt, wieso musste er bloß Minx und mich im Studio sehen! Wie ging es ihm wohl damit? Er hatte verdammt aufgewühlt und überfordert gewirkt. Wer hätte das nicht. Man sieht nicht jeden Tag, wie sein Professor eine leicht bekleidete Frau schlug. Meine Worte an dem Abend hatten es wohl auch nicht besser gemacht. Als ich ihn gestern im Café traf, wirkte er auch nicht gerade locker. Im Gegenteil, er wirkte echt sauer.

Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass es schon fast 17 Uhr war. Er würde wohl nicht herkommen. Ich nahm meinen Terminplaner und steckte ihn in die breite Ledertasche. Ich hätte das Gespräch nur zu gern hinter mich gebracht, es kostete mich wirklich den letzten Nerv. Ich hasste es, wenn etwas unausgesprochen im Raum stand. Mal abgesehen davon, dass das definitiv meinen Ruf hier an der Uni zerstören könnte. Ich nahm meine Tasche, drehte mich noch einmal im Büro um, ob ich auch nichts vergessen hatte, da hörte ich langsame, leise Schritte vor der Tür. Mit ordentlich Schwung warf ich die Tasche zur Seite, sodass mehrere Kugelschreiber aus ihr herausrollten und riss die Tür auf. Es war Felix! Sofort griff ich fest nach seinem Ärmel und zog ihn ohne jegliche Vorwarnung durch die Tür.

Mit großen Augen sah er mich an, dann wurde sein Blick wütend. "Was sollte-", fing er an, doch ich gab ihm keine Chance. Jetzt oder nie. "Setzen.", sagte ich kühl und zeigte auf den freien Stuhl vor meinem Schreibtisch. Er haderte mit sich selbst. Ich hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht, er sah fast schon ein wenig verängstigt aus. Niedlich. Moment, was?! Das gleiche hatte ich schon gestern gedacht, als er vor mir auf dem Boden hockte und sein Chaos beseitigen wollte. Wir verlieben uns nicht in einen der Studenten! Das sagte ich mir immer wieder in Gedanken. Dann aber setzte Felix sich hin und sah mich mit diesem Blick an. Verunsichert, unschuldig, vielleicht den Tränen nicht mehr allzu fern. Dieser Blick traf mich direkt ins Herz. Und einen guten halben Meter weiter unten. Fuck!

Ich musste selbst einmal schwer schlucken, aber ich musste ihm einfach erklären, was er gesehen hatte. Das war fair und richtig. Und vielleicht konnte ich so dafür sorgen, dass er mich und meine beschissene Lage verstand. Würde er es petzen wollen, dann würde er das auch ohne dieses Gespräch tun. So hatte ich immerhin noch eine geringe Chance, glimpflich davonzukommen. Es tat mir verdammt leid, aber ich musste ihn wenigstens ein wenig einschüchtern. Ich musste die Waage finden, dass er zu viel Angst hatte, um wegzulaufen, ihn aber gleichzeitig neugierig machen. Wenigstens ein bisschen.

Noch immer waren seine Augenbrauen leicht zusammengekniffen. Sein Kiefer war angespannt, er schob den Unterkiefer leicht vor. Puh, er war echt angepisst. "Kommen wir gleich mal zur Sache.", eröffnete ich das Gespräch. Er drückte sich an die Stuhllehne, als ich einen Schritt auf ihn zuging. "Meine Hausarbeit..", kam er mir erneut mit dieser Ausrede, also funkte ich gleich dazwischen: "Nein. Wir sprechen gleich darüber, was Sie letztens gesehen haben. Wir halten uns nicht mit unwichtigen Dingen auf.". Er holte Luft und überlegte, was er mir entgegnen sollte. Ich trat noch einen Schritt näher, sein Fuß zog sich unter seinen Schwerpunkt. Langsam, mach jetzt nicht zu viel Druck. "Sie werden Fragen haben. Ich höre?", forderte ich ihn auf, mir preiszugeben, was in seinem hübschen Köpfchen vor sich ging. "Ich möchte gehen.", sagte er ernst und versuchte verzweifelt, Blickkontakt zu mir zu halten. Mein nächster Schritt war gefährlich: "Bitte. Die Tür ist offen, ich halte Sie hier nicht fest. Aber vielleicht möchten Sie wissen, wieso ich diese Frau bei mir hatte. Wieso ich sie geschlagen habe. Und vielleicht möchten Sie wissen, wieso es Sie bis heute nicht loslässt.". Ich grinste ihn herausfordernd an. Er zögerte. Ich trat einen Schritt zur Seite, schuf etwas Raum zwischen uns und wies auf die Tür. Sein Blick wanderte zwischen mir und der Tür hin und her. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass er tatsächlich aufstehen würde, doch genau das tat er. Schnurstracks ging er zur Tür, drückte die Klinke nach unten und schlüpfte hindurch. Ich verdrehte die Augen. Genau das hatte ich verhindern wollen. Ich konnte ihn aber schlecht nochmal festhalten.

Seufzend schleppte ich mich zu meiner Tasche und sammelte die Stifte auf, die sich auf dem Boden verteilt hatten. Dann lauschte ich in den Flur. Wütende Schritte kamen näher. Die Tür schlug auf, wurde zugeknallt und ein Felix mit hochrotem Kopf schmiss sich erneut auf den Stuhl. "Sagen Sie mir, was Sie sagen wollten!", fuhr er mich an. Am liebsten hätte ich gesagt 'Nicht in diesem Ton.', aber das war definitiv der falsche Zeitpunkt. Erst musste ich meine Karriere hier vor dem Aus bewahren. Ich stand auf, drehte mich zu ihm um und ging schlendernd auf ihn zu: "Wissen Sie, was faszinierend ist? Wie der menschliche Körper auf Schmerz reagiert. Ein Mechanismus, der uns davor bewahrt, jämmerlich zu verrecken. Aber wissen Sie, was noch viel faszinierender ist? Wie der Körper auf absichtlich ausgelösten Schmerz reagiert, wenn man sich in einem abgeklärten Setting befindet.". Ich blieb vor ihm stehen. Er hatte seine Arme abwehrend vor seiner Brust verschränkt. "Algolagnie, die Lust, Schmerzen zuzufügen oder sie zu erleben.", flüsterte ich und beugte mich immer weiter über ihn. Dann drehte ich mich um und entfernte mich ein paar Schritte von ihm.

"Es ist wie ein Rausch. Ihr Körper pumpt Sie mit Adrenalin und Endorphinen voll. Das Ergebnis ist eine verschobene Wahrnehmung. Plötzlich empfinden Sie Lust, obwohl Sie genau wissen, dass Ihr Körper eigentlich ganz anders reagieren sollte.", ich machte eine kurze Pause, drehte mich um und sah genau das, was ich mir erhofft hatte: Felix schluckte. "Und wenn ich Ihnen dann noch einen Ihrer Sinne raube, wenn ich Ihnen die Augen verbinde und Sie keine Ahnung haben, was als nächstes mit Ihnen geschieht..", fuhr ich fort und näherte mich ihm soweit, bis ich sah, dass seine Finger sich bis aufs Äußerste anspannten. Ich beugte mich immer weiter nach unten, schloss meine Augen und wanderte immer näher an sein Ohr: "..dann werden Sie darum betteln, dass ich weitermache.".

Ich spürte seinen hektischen Atem an meiner Brust. Langsam brachte ich Abstand zwischen uns. "Vielleicht denken Sie sich jetzt, dass ich Sie anwidere. Vielleicht denken Sie, dass ich absolut verwerfliche, unmoralische Wertvorstellungen habe. Vielleicht werden Sie mich ab jetzt in einem anderen Licht sehen, mich meiden. Das ist in Ordnung.", sagte ich möglichst ruhig. Endlich entspannten seine Finger sich etwas. Sein Blick war vor meinen Füßen festgefroren. "Aber vielleicht...", ich schnippte einmal laut und erschrocken sah er zu mir auf. "..möchten Sie aus Ihrer kleinen heilen Welt fliehen und sich auf etwas anderes einlassen.", beendete ich den Satz, ohne meinen Blick von ihm zu nehmen. Seine Augen zogen verloren durch mein Gesicht. Ich versprach ihm etwas: "Sie werden heute Nacht nicht gut schlafen. Sie werden all meine Worte hinterfragen. Sie werden mich verteufeln, mich verurteilen. Und dann... Dann werden Sie nochmal über meine Worte nachdenken. Sie werden sich vorstellen, wie es ist, wenn ich genau das mit Ihnen machen, was ich eben gesagt habe.". Er wendete seinen Blick ab und zog die Hände etwas höher. "Sie können jederzeit wieder zu mir kommen.", sagte ich, hob meine Tasche vom Boden auf und verschwand durch die Tür. Ich ließ ihn mit all seinen wirren Gedanken allein.

Mit rasendem Herzen stieg ich in mein Auto. "Das ist nicht gut..", stellte ich fest. Ihn vor mir auf dem Stuhl zu sehen, hatte viel mehr in mir ausgelöst, als mir lieb war. Dieser unsichere Blick in seinen Augen. Ich wollte ihm am liebsten nur versichern, dass er bei mir in Sicherheit war, dass er sich nicht fürchten musste. Ganz von allein fand meine Hand den Weg zu meiner Brust. Das Pochen wurde immer stärker. Ich durfte mich nicht in ihn verlieben! "Chris, du bist sein Professor!", schnauzte ich mich leise an und schlug meinen Hinterkopf gegen die Nackenstütze. Ich schloss meine Augen und sofort blitzte sein Gesicht wieder vor meinem inneren Auge auf. Ich schüttelte genervt den Kopf und startete meinen Wagen. "Perverser Professor verführt einen seiner Studenten.", sah ich schon den Zeitungsartikel vor mir.

Tell me that you like it! ||ChanLixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt