42 | Flügel

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Mr Mason war ein wohlhabender Herr, der allerdings viel zu beschäftigt war, um Ian selbst zu empfangen. Stattdessen kümmerte sich ein großer, sehr breit gebauter Mann Mitte Dreißig um ihn. Nach einer kurzen Überprüfung führte er Ian in eine Art Büro, um ihm den Job zu erklären, für den man ihn bezahlen wollte.

„Es ist wirklich einfach", erläuterte der Schrank von einem Mann, der sich als Mr Harper vorstellte. „Mr Mason hat eine Apotheke hier in Oxnard, aber einige seiner Kunden brauchen starke Medikamente zum Beispiel gegen Rheuma oder Asthma. Sie sind teilweise schon alt oder können aufgrund ihrer Krankheit ihre Medikamente nicht mehr selbst abholen. Da Mr Mason ein gütiger Mann ist, hat er einen Home-Service für seine treuen Kunden eingerichtet. Wir bringen die Medikamente direkt zu den Kunden! Und das wird dein Job sein.
Wir rufen dich an, wenn wir eine Bestellung haben und du bringst sie dann zu der Adresse, die wir dir geben. Du gibst den Kunden die Arznei und wir bezahlen dich für deine Botengänge. Verstanden?"

„Bedeutet das, dass ich die Medikamente bei der Apotheke vorher abholen muss?"
„Natürlich nicht, Junge", sagte Mr Harper lachend. „Wir wollen, dass du möglichst wenig Aufwand hast und richten für dich eine Abholstation in deiner Nähe ein. Du musst die Päckchen nur rausnehmen und zu der genannten Adresse bringen. Die Kunden geben dir dann ihren Abholzettel und du bekommst von uns das Geld."

„Klingt einfach. Wo ist der Haken?" Der Mann versuchte seine aufkeimende Wut über den Kommentar zu verbergen, doch Ian sah das Zucken der Mundwinkel genau. ‚Na toll, du versaust uns noch den Job!', fauchte eine Stimme in seinem Kopf, die Ian seit einiger Zeit mit Collin betitelt hatte. Er tauchte immer wieder dann auf, wenn Ian seiner Meinung nach Schwäche zeigte, oder, wie jetzt, etwas zu vermasseln drohte.

‚Sei nett zu ihm, lass deinen Charme spielen!', riet plötzlich eine zweite, sanftere Stimme ihm. Das war Charles. Auch er mischte sich seit einiger Zeit vermehrt in seine Angelegenheiten ein. Ian mochte ihn und war geneigt, auf ihn zu hören. Also lachte er leise auf und sagte dann: „Das klingt ja fast zu gut um wahr zu sein! Warum macht es der Junge vor mir nicht mehr?"

Mr Harper kratzte sich kurz hinter dem Ohr, bis er fast schon beschämt erzählte: „Wir mussten den Jungen leider entlassen, da er nicht sehr diskret war. Weißt du Junge, unsere Patienten haben ein Recht darauf, dass nicht jeder ihre Krankheitsgeschichte kennt. Darum müssen wir auf absolutes Stillschweigen deinerseits bestehen! Das verstehst du doch, oder?"
Der Wortlaut war sanft, doch der Ton des Mannes bestimmt. Ian nickte ergeben, wohl wissend, dass es auf diese Frage nur eine richtige Antwort gab: „Ich habe verstanden!"
„Sehr gut!", lächelte der Mann vor ihm. „Kannst du gleich anfangen?"

Ian nickte und Mr Harper schob ihn zu dem großen Schreibtisch, auf dem er eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben musste. Der Vertrag und das Geld, das er bei seinen Botengängen bekommen würde, eröffneten ihm ganz neue Möglichkeiten. Wenn er fleißig war, würde er vielleicht genug Geld zusammensparen, um doch noch eine Aussicht auf einen Studienplatz zu erhalten. Vielleicht konnte er sich so allmählich von der Unterstützung seines leiblichen Vaters lossagen, dessen einzige gute Tat darin bestand, Unterhalt für ihn zu zahlen. Vielleicht würde er sich endlich Flügel wachsen lassen können! Lächelnd setzte er seinen Namen unter das Dokument: Charles

 Vielleicht würde er sich endlich Flügel wachsen lassen können! Lächelnd setzte er seinen Namen unter das Dokument: Charles

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Buddy sprang freudig mit der Rute wedelnd erst an Peter und dann an Bobs Beinen hoch. Als er sich beruhigt hatte, ging er wie selbstverständlich zu Skinny und bewachte den Jungen zu dessen Füßen.
„Er scheint dich zu mögen", meinte Bob zufrieden, als er den Hund in der Küche sitzend sah.
„Ich würde sagen, er macht einen guten Job", meinte Peter weniger euphorisch.
„Er ist ein toller Hund!" Skinny beugte sich zu dem Tier hinunter und kraulte Buddy am Ohr. „Gibt es was Neues?"

„Nicht wirklich", gab Bob zu und setzte sich Skinny gegenüber an den Küchentisch. Peter machte keine Anstalten Platz zu nehmen und ging lieber zur Kaffeemaschine, um sich und Bob einen Becher Wach einzuschenken. „Doch wir haben einen schwarzen Wagen vor der Einfahrt gesehen, der, kurz bevor wir nach genug dran waren, wegfuhr."
„Die Limousine", vermutete Skinner und Bob nickte. „Justus hat mir erzählt, dass er sie gestern Abend entdeckt hat. Gleich heute morgen hat er die Nachbarn gefragt, ob sie den Wagen kennen."

„Vielleicht kann Cotta uns Aufschluss über das Auto geben. Schon möglich, dass er der Polizistin gehört", mutmaßte Bob. Skinny schnaubte. „Die soll mich bloß in Ruhe lassen! Ich hab ihr doch gar nichts getan!"
„Weißt du das genau?" Peter hatte den Kaffeebecher für Bob vor ihm abgestellt und sah Skinny herausfordernd an.
„Was willst du damit sagen?" Skinnys Ton wurde mit einem Mal schärfer und zu seinen Beinen, begann Buddy warnend zu knurren.
„Ich meine nur", sagte Peter um Ruhe bemüht, „dass du sicherlich schon vielen Menschen auf die Füße getreten bist, an die du dich wohl kaum alle erinnern kannst."
„Touché!", raunte Skinny, doch er konnte nicht verhehlen, dass Peter vermutlich Recht hatte. „Und jetzt?"

Bob trank einen Schluck Kaffee, ehe er antwortete: „Jetzt warten wir auf Justus und einer von uns geht mit Buddy Gassi." Skinny sah zu Peter und der sah ebenso intensiv zurück. „Peter!", „Bob!", kam gleichzeitig aus ihren Mündern, während sie sich weiter anstarrten.

„Okay, ich verstehe das Problem." Bob stellte seinen Becher ab und sah dann Peter an. „Aber ich plädiere heute dafür, dass ich hier bleibe und du, Peter, mit Buddy eine Runde machst. Denn erstens habe ich Angst, dass ihr beide euch die Köpfe einschlagt, wenn ich euch hier allein lasse. Und zweitens ist Peter besser trainiert und wehrhafter, falls ihm jemand auf der Straße begegnet. Wir können uns hier verbarrikadieren. Also?"

Bob lächelte Peter aufmunternd zu, der unzufrieden die Arme verschränkte und dann doch nickte. Skinny sah dankbar zu Bob und nickte ebenfalls.
„Sehr gut, dann hol ich mal die Leine für unseren Kleinen."

Als Justus gerade aus dem Gebäude, in dem sich das Revier befand, getreten war, klingelte sein Handy

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Als Justus gerade aus dem Gebäude, in dem sich das Revier befand, getreten war, klingelte sein Handy. Schnell warf er einen Blick zu seiner Tante und seinem Onkel, die kurz nickten, und ging dann ein Stück die Straße hinunter, ehe er das Telefonat annahm.

„Na Sherlock, wolltest du mich gestern nicht anrufen?" Justus erkannte den tadelnden Unterton der Stimme am Telefon sofort.

„Verdammt", entkam es ihm. „Tut mir leid, dass ich es vergessen habe, Jelena. Wir sind gerade noch mit unserem Fall beschäftigt..."

„Ihr habt einen neuen Fall? Um was geht es?" Mit einem Mal war Jelena nicht mehr wütend, dass Justus ihre Verabredung zum Spielen vergessen hatte. Die Aussicht auf ein neues Abenteuer, ließ sie die Wut darüber, dass sie am Vorabend, statt mit Justus Schach zu spielen einen todlangweiligen Krimi im Fernsehen geschaut hatte, schnell vergessen.

„Viel kann ich dir nicht sagen", erklärte Justus geheimnisvoll. „Nur, dass Charles in den Fall involviert ist und wir gerade versuchen, mehr über ihn herauszufinden." Justus ahnte, dass Jelena ihm gleich ihre Hilfe anbieten würde. Das Mädchen im Rollstuhl hatte ihm einmal verraten, dass es ihr Spaß machte, indirekt an ihren Fällen beteiligt zu sein, auch wenn sie nicht direkt dabei sein konnte.

„Du weißt schon, dass ich durch den Einfluss meines Vaters gewisse Möglichkeiten habe, Justus?", erinnerte sie den ersten Detektiv und Justus musste unwillkürlich grinsen, als seine Vermutung sich so schnell bestätigte.

„Was schlägst du vor?", fragte er seine neue Freundin.
„Wenn du mir ein wenig mehr über diesen Charles erzählst, dann lasse ich mal meine Kontakte spielen. Zu irgendwas müssen die ja gut sein", lachte sie.
„Danke, Jelena. Vielleicht hilft uns das ja tatsächlich weiter. Ich erzähle dir alles im Schnelldurchlauf..."

Drei ??? (3) - EscapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt