Kapitel 5

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Mein Herz zersprang in tausend Teile. Der Schmerz zwang mich in die Knie und ließ mich schreien, wie jemanden, der sein Leben verlor.

Mein Körper fiel auf den kalten Boden. Eine Ohnmacht übermannte mich und ließ alles um mich herum schwarz werden.

„Lynea! Wach auf!" Zwei mir nur allzu bekannte Frauenstimmen waren in der Ferne zu hören. Als sich mein Blick klärte, bestätigte sich meine Vermutung. Jolanda und Isolde waren gekommen. „Woher wusstet ihr, dass ich hier bin?" fragte ich mit brüchiger Stimme.

Beide Frauen ließen sich neben mir auf dem Boden nieder. Sie beruhigten mich in einer festen Umarmung, strichen mir immer wieder durchs Haar. Meine Freundin reichte mir einen Brief. „Eomér bat mich, dir den zu geben und hier nach dir zu sehen."

Mit zittrigen Händen nahm ich ihr das Blatt ab und faltete es auseinander.


Lynea,
es tut mir leid! Ich bin nicht der richtige Mann für dich! Ein Mann, der sich dein Herz verdient hat, gesteht dir zunächst seine Liebe, bevor er lüstern über dich herfällt. Ich bin kein Edelmann und verdiene deine Zuneigung nicht! Verschwende mit mir einfachen Krieger nicht deine Zeit! Du bist eine warmherzige, wunderschöne Frau und wirst Liebe erfahren. Ich habe deine Liebe nicht verdient und bereue, dir weh getan zu haben.

Vergib mir Lynea

Eomér

Schluchzend den Brief zusammenfaltend sagte ich nur: „Seine Fäden müssen noch gezogen werden..." und ließ meinen Kopf auf die Schulter von Jolanda fallen.

„Edda hat das erledigt." Isolde lächelte mitleidig.

Meine Freundinnen brachten mich nach Hause und steckten mich ins Bett. Das verlies ich auch am nächsten Tag nicht und auch nicht den darauffolgenden. Edda holte mich am dritten Tag aus dem Bett und scheuchte mich zu den Hallen der Heilung.

„Der Junge hat Recht, Liebes! Deine Eltern erwarten eine Heirat von höherem Stand! Eomér wird ein Krieger ... Vielleicht ein Hauptmann, aber mehr wohl nicht. Er gehört dem Adel an, ja, aber du bist eine Gräfin! Gegen Liebeskummer hilft nur eins...." Sie drehte sich um und griff nach etwas, dass sie mir die Hand drückte - meine Schürze. „Arbeit!", ergänzte sie scharf und mit einem gutmütigen Lächeln auf den Lippen.

Sie hatte recht, produktiv zu sein, half. Doch kein Heilmittel, keine Arbeit oder sonstige Beschäftigung vermochte mein Herz zu heilen. Isolde und Jolanda kümmerten sich außerordentlich gut um mich. So vergingen Wochen, ohne dass ich Eomér über den Weg lief.

Genau an dem Geburtstag des Herzensbrechers passierten zwei Ereignisse, die mein weiteres Leben entscheidend änderten...

Zum einen erwischte ich Eomér, wie er seine Manneslust an einem schönen, blonden Mädchen ausließ. Ich sah ihn, er sah mich. Einen Atemzug lang starrten wir uns an, bevor jeder seinen Dingen nachging, die er anfing. Er stieß unermesslich unter Stöhnen sein Gemächt in die zarte Frau, die darunter vergnüglich quiekte. Ich setzte meinen Weg zum König fort, zu dem ich gerufen wurde. Stumpfen Herzens, unfähig etwas zu fühlen, unfähig Tränen zu vergießen, saß ich stumm da und nahm die Botschaft an, die man mir verkündete.

Meine Eltern schlossen einen Vertrag mit Gondor. Ein Ehevertrag zwischen Boromir und mir. Er war meines Standes würdig und so sollte nun mit unserer Heirat eine Art Bündnis entstehen. Meine Zukunft schien ungewiss. Mein Frohsinn – verschollen in der Trauer, die mich schon länger umfing. Genau in diesem Moment konnte ich mir nicht mehr vorstellen, ein erfülltes Leben jemals wieder zu führen. Hatte ich eine Wahl? Gab es einen Ausweg für mich?

Die vielen Worte, die sicher dazu dienten, mich milde zu stimmen, zogen an mir vorbei, ohne dass ich sie wirklich hörte. Ich nickte, stand auf und verließ die goldene Halle. Ich wollte einfach nur allein sein. Meine Abreise würde in Kürze bevorstehen und das geliebte Rohan hinter mir lassen, für eine ungewisse Zukunft in Gondor.

Jolanda und Isolde suchten und fanden mich. Natürlich wollten sie mir Trost spenden und mich aufheitern. „Ihr beiden, lasst mich bitte allein. Ich komme zurecht – wirklich." Meinen Wunsch entsprechend zogen die beiden Damen sich zurück.

Die Pferde auf der Weide galoppierten wild und frei ... wobei frei relativ war. Die wunderschönen Geschöpfe hatten ihre Herde und eine begrenzte Freiheit im Gegenzug zu ihren Diensten. Gewisse Parallelen erkannte ich ... Freiheit ... ein großes Wort und eine unrealistische Realität.

Die Sonne färbte den Himmel rot und beendete einen der letzten schönen Spätsommertage. Die Wärme wich, doch ich blieb sitzen.

Schritte näherten sich mir, blieben direkt hinter mir stehen. Eine Decke legte sich über meine Schultern und die Person hockte sich neben mir.

„Wollen wir abhauen?" fragte mich eine nur allzu bekannte Stimme im trockenen Ton. Ich lachte laut los und fing an zu weinen. Arme legten sich um meinen Oberkörper und hielten mich fest.

„Es tut mir leid! Was kann ich für dich tun?" fragte mich Eomér.

Zu kraftlos, um mich mit ihm zu streiten, schüttelte ich einfach den Kopf und ließ ihn auf seine Schulter nieder. Immer noch wütend auf ihn, gab ich meinem schmerzenden Herzen nach. Wer wusste schon, ob und wann ich ihn jemals wiedersehen würde? Sanft strich er mit seiner Hand über meine Wange.

„Willst du gehen?" fragte er mich.

„Warum nicht... Vielleicht wartet dort das Glück auf mich ... Du hast es ja schon gefunden." kommentierte ich schwach, erhob mich und ging fort. „ ... und es wieder verloren...." murmelte er leise, was ich nicht weiter beachtete.

Wenn ich mich so recht erinnere, war das unser Abschied ... einen anderen gab es nicht.

Zu meinem Glück sollte ich nicht allein nach Gondor reisen. Eine erfahrene Heilerin von Rohan sollte dort eine Zeit lang praktizieren und den Heilern dort noch etwas beibringen. Isolde war dafür auserkoren. Sie war ganz aufgeregt und aus dem Häuschen.

Edda und Jolinda verabschiedeten sich tränenreich und gaben mir die besten Wünsche auf dem Weg. „Er wird bestimmt ein ganz wundervoller Mann sein. Du wirst die Frau vom zukünftigen Truchsess und deine Kinder werden wunderschön sein ... und ..." Edda überwarf sich mit ihren Abschiedsworten und brachte nichts mehr hervor. Bitterliches Schluchzen säumte unseren Weg. Nur Wenige verabschiedeten uns. Lediglich die Heilerinnen von Edoras und der König selbst.

Vier Wachen begleiteten uns auf einem tagelangen Ritt. Isolde und ich hatten einander und vertrieben uns die Zeit. Wir philosophierten über meinen Zukünftigen Ehemann, sprachen aber auch über Eomér. Everard war unter ihnen dabei und bekam alles mit. Eomér ́s mürrischer Ausbilder, wechselte am letzten Abend dann doch noch ein paar Worte mit mir.

„Er ... vermisst dich – Lynea. Das solltest du wissen!" Das waren seine Abschiedsworte.

Wachen aus Gondor holten uns auf halber Strecke ab. Die Reise wurde von nun an etwas vergnüglicher. Sie hatten reichlich Wein bei sich und plauderten ausgelassen mit uns. So beginnt nun also mein neuer Lebensabschnitt.   

Jugendliebe vergeht nicht (Eomér FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt