Kapitel 3 - Nach Hause

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Zu meinem Glück scheint niemand bemerkt zu haben, dass wir überhaupt weg waren. Nina und Vanessa führen lautstark und lachend eine Unterhaltung über die letzte Party, auf der sie zusammen waren; Marie räumt leere Flaschen weg und Sascha scheint sich der Unterhaltung von Mario und Simon angeschlossen zu haben. Jetzt ist nicht mehr zu überhören, dass sie über Fußball reden. Erleichtert atme ich auf.
Die kleine Intervention von Felix scheint also wirklich unbemerkt geblieben zu sein - denke ich zumindest, bis der Abend sich schließlich dem Ende zuneigt, wir uns verabschieden und Mario und ich wieder nebeneinander in seinem Auto sitzen.

Kaum haben wir die Autotüren geschlossen, dreht er sich zu mir um und schaut mich vorwurfsvoll an.
„Willst du mir nicht etwas erklären?"
Sofort sackt mir das Herz in die Hose. Fuck. Here we go. Doch so schnell falle ich nicht auf ihn herein. Mario ist schlau. Er stellt mir mit Absicht keine konkrete Frage, weil er will, dass ich es ihm von mir aus erzähle. Bloß, dass es nichts zu erzählen gibt. So einfach werde ich es ihm nicht machen.
„Ich hab keine Ahnung, wovon du redest."
Mario lacht freudlos auf und schüttelt den Kopf. „Du denkst wirklich, ich bin blöd, oder? Glaubst du, ich habe nicht mitbekommen, dass Felix und du auf einmal zusammen im Flur verschwunden seid?"
Als er merkt, dass er daraufhin von mir nicht mehr als ein Schulterzucken bekommt, stößt er ein verächtliches Schnauben aus.
Er wendet seinen Blick von mir ab, schaltet die Zündung ein und fährt mit quietschenden Reifen los. Erschrocken klammere ich mich am Sitz fest und reiße die Augen auf. „Hast du sie noch alle?!"
Er lacht spöttisch auf. „Dasselbe könnte ich dich fragen. Was hast du mit dem Penner gemacht, hm?"
Ich verdrehe die Augen und blicke starr nach vorne, auf die dunkle Straße, die nur von den Laternen am Straßenrand beleuchtet wird. Er will mich provozieren. Ganz eindeutig. Ich nehme einen tiefen Atemzug und denke nach. Dann brennt in meinem Gehirn eine Synapse durch.

Nicht nur, dass Mario mir die Vorfreude auf den Abend versauen musste - jetzt versucht er auch noch, mir zu unterstellen, dass wir uns mit Absicht davon geschlichen haben, um Gott weiß was zu tun. Das muss ich mir nicht bieten lassen.
Ich atme noch einmal tief durch und lächele Mario zuckersüß an.
„Erstens ist er kein ‚Penner', sondern mein bester Freund", sage ich seelenruhig. „Und zweitens, wenn du's genau wissen willst: er hat mich gefragt, warum wir uns verspätet haben." Ich hole Luft. „Ganz offensichtlich entgeht meinen Freunden nämlich nicht, wie du dich mir gegenüber benimmst."
Zack. Mario tritt mit Vollgas in die Bremsen, mitten auf der Straße. Mit aufgerissenen Augen starrt er mich an. Jackpot. Mein Ansatz, seine Provokation umzukehren, hat funktioniert.
Fast muss ich mich beherrschen, nicht loszulachen. Er ist einfach zu berechenbar.
„Was fällt dir ein?!", ruft er aus. „Was hast du ihm erzählt, hm? Hoffentlich, dass du dich nicht entscheiden konntest, welche Schuhe du anziehst oder welcher Lidschatten am besten zu deinem Outfit passt?!"
Klar. Am liebsten hätte er, dass ich ihn mit einer Lüge decken würde. Gegenüber Felix, der Mario schon durchschaut hat, als er ihn das erste Mal gesehen hat. Ich schüttle den Kopf.
„Ich hab ihm natürlich die Wahrheit gesagt." Mehr muss ich nicht sagen. Mario tickt vollkommen aus. Er fängt an rumzuschreien, wirft erst Felix und dann mir alle möglichen Beleidigungen an den Kopf, doch ich schalte auf Durchzug. Ich höre ihm gar nicht zu, denn ich kenne die Leier. Wenn es nach ihm ginge, hätte ich an dem Tag, an dem wir zusammengekommen sind, direkt den Kontakt zu Felix abgebrochen, weil er mir aus irgendeinem Grund nicht vertraut. Weil er nicht wahrhaben kann, dass unsere Beziehung und meine Freundschaft zu Felix co-existieren können, ohne sich gegenseitig auszuschließen.
Unter dem Gesichtspunkt, wie wenig er ihn leiden kann, ist es wirklich erstaunlich, wie friedlich die beiden heute Abend miteinander umgegangen sind.

Als Mario merkt, dass ich nicht auf seinen Tobsuchtsanfall anspringe, fährt er langsam runter. „Ist ja auch egal", brummt er, dann tritt er wieder aufs Gas und fährt weiter. Den Rest der Fahrt über sagt keiner von uns auch nur ein Wort.
Als er vor meinem Wohnhaus stehenbleibt, schnalle ich mich ab und sehe ihn matt an.
„Tja dann, gute Nacht."
Ich öffne die Tür, greife nach meiner Tasche und steige aus. Doch bevor ich die Tür hinter mir schließe, werfe ich Mario noch einen letzten Blick zu.
„Ruf mich erst wieder an, wenn du zur Vernunft gekommen bist." Mit diesen Worten schlage ich die Tür zu, drehe mich um und verschwinde im Haus, bevor er mir folgen oder auch nur etwas erwidern kann.

Midnight Rain (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt