Kapitel 4 - Call me up

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Am nächsten Tag bleibt das Telefon stumm. Es ist Samstag, ich sitze alleine auf meiner Couch und starre die Wand an. Ich kann nicht glauben, was gestern passiert ist. Eigentlich hätte ich es ahnen müssen. Es war nicht das erste Mal, dass Mario völlig unbegründet eifersüchtig auf Felix war, aber dass wir uns kurz Zeit genommen haben, um unter vier Augen miteinander zu sprechen, muss ihm den Rest gegeben haben. Seufzend blicke ich auf mein Telefon. Irgendwie bin ich erstaunt darüber, wie wenig es mir ausmacht, dass Mario sich tatsächlich nicht bei mir meldet. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er mich gleich am frühen Morgen anrufen und mit Entschuldigungen überhäufen würde, wie er es schon tausendmal getan hat, doch es passiert nichts und ich spüre... Erleichterung?

Ich schließe meine Augen und nehme einen tiefen Atemzug. Für ein paar Sekunden konzentriere ich mich auf nichts als meine Atmung und versuche jegliche Gedanken auszublenden. Die Methode hat Felix mir beigebracht, als Trick, um innerlich runterzufahren und nicht völlig in irrationale Gedankenspiralen abzudriften und es funktioniert jedes Mal.
Ein paar Minuten lang höre ich nichts außer mich selbst, wie ich ganz leise und gleichmäßig ein und aus atme, bis ich plötzlich vom Klingeln meines Handys unterbrochen werde. Erschrocken fahre ich zusammen und stoße einen spitzen Schrei aus. Mist. Ich muss gedanklich so weit weg gewesen sein, dass ich völlig vergessen habe, wo ich bin und auf wessen Anruf ich gerade warte.
Doch als ich mein Handy schließlich zu fassen bekomme und aufs Display starre, ist es nicht Marios Name, der mir entgegen leuchtet. Ich seufze leise auf, dann lächle ich und tippe auf den grünen Hörer, um den Anruf anzunehmen.

„Hi", sage ich, ein wenig außer Atem von dem Schreck, der mir gerade eben durch die Glieder gefahren ist.
„Auch hi." Ich kann Felix' Grinsen durchs Telefon hören. „Stör ich gerade?"
Leise lache ich auf. „Kommt drauf an, wie du stören definierst." In kurzen Sätzen erzähle ich, wovon ich gerade versucht habe, mich abzulenken und was gestern Abend noch passiert ist. Ein paar Sekunden lang ist es still am Telefon, dann entfährt Felix ein leises „Fuck."
„Ja, ich weiß", erwidere ich seufzend. Und bitte sag jetzt nichts, ich weiß doch selbst -"
„Und wieso bist du dann immer noch mit ihm zusammen?", unterbricht er mich und ich verstumme augenblicklich. „Jetzt mal im Ernst, Chiara, was hat der Typ an sich, dass du dich so an ihn klammerst, obwohl er dich mit seiner Eifersucht erdrückt?"
Ich stoße hörbar die Luft aus und überlege. „Ich weiß auch nicht. Er bringt mich zum Lachen... manchmal." Mir entfährt ein freudloses, ironisches Lachen. „Zumindest war das mal so, bevor... bevor seine Eifersuchtsattacken Überhand genommen haben. Und er ist ganz gut im B -"
„Stopp, keine Details bitte." Kurz müssen wir beide lachen. Dann höre ich das Klicken eines Feuerzeugs und einen tiefen Atemzug. Felix muss sich eine Kippe angezündet haben. Das Geräusch ist mir so vertraut, dass ich es jederzeit überall wieder erkennen würde.
„Mhm", murmelt er und pustet den Rauch hörbar aus. „Aber macht er... dich immer noch glücklich?"
Ich stöhne auf und lege mich bäuchlings auf mein Sofa. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Stell mir doch nicht so große Fragen an einem Samstagvormittag!"
Wieder müssen wir beide lachen, doch diesmal hat es nichts Belustigtes mehr. Kurz ist es still am Telefon, bevor Felix wieder das Wort ergreift.
„Ok scheiß drauf, lass mal über was anderes reden. Ich glaube, du brauchst dringend Ablenkung."
Ich schmunzle und nicke, obwohl er mich nicht sehen kann. „Definitiv. Wenn ich noch länger alleine hier herumsitze und auf einen Anruf warte, der nicht kommt, werd ich noch irre."
„Dachte ich's mir doch", sagt Felix und lacht leise. „Eigentlich hab ich angerufen, weil ich fragen wollte, ob du vielleicht Bock hättest, heute Abend zu mir zu kommen? Mein Bruder und Nadja sind auch da. Einfach bisschen quatschen, was trinken, vielleicht paar Kartenspiele zocken? Wie klingt das?"
Sofort weicht die Kälte in mir einer vertrauten Wärme, die ich lange nicht mehr verspürt habe. Diese Abende bei Felix mit seinen Leuten fehlen mir so sehr!
Lächelnd setze ich mich auf und schaue auf die Uhr.
„Wann soll ich da sein?"

Midnight Rain (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt