Kapitel 18 - the biggest lie I ever said

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Die Tage ziehen nur so an uns vorbei und allmählich entspanne ich mich ein wenig. Anfangs war Felix' Geständnis definitiv ein Schock für mich gewesen, aber mittlerweile habe ich mich irgendwie an den Gedanken gewöhnt - auch, wenn das vollkommen absurd klingt. Wie sollte ich mich jemals an den Gedanken gewöhnen, dass der Mensch, mit dem ich am engsten befreundet bin, sich höchstwahrscheinlich in mich verliebt hat? Alleine beim Gedanken an dieses Wort schüttelt es mich regelrecht.
Verliebt... wann war ich das letzte mal richtig verliebt gewesen? Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich mir noch nicht einmal sicher, ob ich in Mario verliebt gewesen bin. Klar, ich mochte ihn und wir haben uns gut verstanden. Er hatte genau gewusst, wie man Frauen um den Finger wickelt - und wie man sie zum Höhepunkt bringt. Aber ob ich in ihn verliebt gewesen war, konnte ich mit meinem heutigen Wissen wirklich nicht mehr sagen. Irgendwie ist die ganze Beziehung in meinem Kopf zu einer undurchssichtigen Masse geworden, die sich mehr und mehr zusammengezogen und sich zwischen meine Eingeweide gedrängt hat.
Fieberhaft denke ich nach. Könnte es vielleicht sein, dass Marios Manipulationen und Eifersüchteleien mir derart die Sicht vernebelt haben, dass ich meine eigenen Gefühle einfach nicht mehr richtig wahrgenommen habe? Die meiste Zeit über habe ich in dieser Beziehung einfach nur funktioniert und das gemacht, was man als Freundin eben so macht. Aber ob ich glücklich gewesen war, darüber hatte ich wirklich selten - um nicht zu sagen, gar nicht - nachgedacht. Bis ein gewisser Jemand mir die Augen geöffnet hatte.

"Wir sind da." Felix steht in der geöffneten Autotür und macht eine ausladende Geste. Er grinst mich an.
Verwirrt schüttele ich den Kopf und erwidere seinen Blick. Ich muss gedanklich so weit weg gewesen sein, dass ich völlig vergessen habe, wo wir überhaupt sind, aber jetzt fällt es mir wieder ein.
Es ist Sonntag, der erste Off-Day, und wir sind gerade in Köln angekommen. Ich schaue mich ein wenig benebelt um. Nadja und Julian müssen schon aus dem Auto gestiegen und reingegangen sein, während ich meinen Tagträumen nachgehangen bin und aus dem Fenster gestarrt habe.
Felix schaut mich abwartend an. "Kommst du?" Ich schüttele den Kopf und lache kurz auf. "Ja, natürlich." Hastig steige ich aus.
Felix schließt die Autotür hinter mir und tritt hinter sein Auto. Er öffnet den Kofferraum und sieht mich fragend an. "Soll ich deine Tasche nehmen?" Verlegen lächele ich über das Angebot und schüttele den Kopf. „Danke, das schaff ich schon selbst."
Ich nehme meinen kleinen Koffer in die eine und meine Handtasche in die andere Hand, dann holt auch Felix seine Sachen heraus und schließt das Auto ab. Gemeinsam gehen wir zum Haupteingang des Savoy-Hotels.
"Ist alles okay mit dir?" Felix wirft mir einen leicht skeptischen Blick zu und ich nicke sofort, wahrscheinlich ein wenig zu schnell. "Ja, klar. Ich glaube, ich bin während der Fahrt eingeschlafen und brauche jetzt einfach einen kurzen Moment, um wieder zu mir zu kommen." Ich lächele und hoffe inständig, dass er meine Lüge nicht durchschaut, doch ich scheine Glück zu haben. Er lacht und nickt verständnisvoll.
"Dann wird es höchste Zeit für einen Spaziergang durch Köln, dabei wirst du schnell wieder wach", antwortet er grinsend. Dann seufzt er leise auf. "Ich würde dir ja gerne die Stadt zeigen, aber ich kann heute leider nicht. Ich muss nachher zu Tommi, Podcast aufnehmen und danach haben wir noch ein Meeting mit Becci." Ein wenig zerknirscht schaut er mich an. "Ist es okay für dich, wenn ich dich bei Julian und Nadja lasse?"
Ich versuche, meine Enttäuschung zu verbergen und nicke. "Klar, kein Ding. Sehen wir uns heute Abend zum Essen?"
Felix nickt und grinst mich an. "Selbstverständlich!"

Während Nadja und ich durch Köln schlendern, schaffe ich es zum ersten Mal, sämtliche Gedanken an Felix abzuschalten. Ich bin so beeindruckt von der Stadt, dass meine Sorgen automatisch in die hinterste Ecke meines Kopfes verschwinden und mich nicht mehr sekündlich beschäftigen.
Als wir abends mit der Crew im Brauhaus sitzen und uns unser Abendessen schmecken lassen, merke ich, wie sämtliche Anspannung von mir abfällt. Felix und ich lachen, scherzen und prosten uns zu, als sei nie etwas gewesen. In einem unbeobachteten Moment lächele ich ihn glücklich von der Seite an. Ich bin ihm mehr als dankbar dafür, dass er aus der ganzen Sache kein großes Ding macht und mich vor allem nicht unter Druck setzt. Einmal mehr wird mir klar, warum wir uns so gut verstehen. Mit ihm ist alles so einfach. Und als er über einen Witz von Nadja besonders laut und herzlich lacht, kann ich das Kribbeln in meinem Bauch nicht mehr leugnen.

Midnight Rain (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt