Kapitel 15 - Steigenberger Hotel Graf Zeppelin

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Am nächsten Morgen sitzen wir um 9 Uhr mit Sack und Pack im Auto, auf dem Weg in Richtung Stuttgart. Da wir heute Morgen pünktlich aufstehen mussten, hatten wir uns gestern von der Bar ferngehalten und waren direkt nach dem Essen ins Bett gegangen.
Verträumt schaue ich aus dem Fenster, während Felix und Julian vor uns eine Oldie-Playlist hören und lauthals mitsingen. Nadja hat sich ihre AirPods in die Ohren gesteckt und ihre eigene Musik angemacht. "Das Gejaule ertrag ich nicht", hatte sie gesagt, nachdem Felix jeden einzelnen Ton von "Total Eclipse of the Heart" versaut hatte. Ich hatte nur gelacht.

Gegen Mittag kommen wir in Stuttgart an und checken ins Steigenberger Graf Zeppelin-Hotel ein. "Wow, ganz schön vornehm", sage ich anerkennend, als wir die Lobby betreten. Ich beobachte das Klientel, das an uns vorbeiläuft und uns streng mustert. Ausnahmslos jeder männliche Gast trägt einen Anzug und weit und breit gibt es keine Frau, die keinen Blazer trägt. Bis jetzt.
Langsam schaue ich an mir herunter. Ich trage eine Jeans, ein einfarbiges Shirt und einen cremeweißen Cardigan darüber. "Irgendwie fühle mich ein bisschen underdressed", sage ich und grinse verlegen. Felix deutet grinsend an sich herunter. Er trägt eine Adidas-Jogginghose und einen "Sonne und Beton"-Hoodie und schüttelt lachend seinen Kopf. "Weißt du, wie egal mir ist, was die hier von mir denken?" Ich lache auf und nicke heftig.
„Oh ja, das kann ich mir nur zu gut vorstellen."

Am Abend fahren wir nach der Show ins Hotel zurück. Schnell verabschieden wir uns voneinander und verschwinden in unseren Zimmern.
Als ich alleine bin, sehe ich auf die Uhr. Erst 22:30 Uhr. Die Sauna hat noch eine halbe Stunde geöffnet. Viellecht könnte ich...?
Ich denke einen Moment nach, dann fasse ich einen Entschluss. Wenn ich schon in so einem schicken Luxus-Hotel bin, kann ich die Gelegenheit auch nutzen, um mal wieder ein wenig Wellness zu machen, und tagsüber werde ich ganz sicher nie dazu kommen.
Schnell schnappe ich mir ein Handtuch und meine Zimmerkarte, dann verschwinde ich im Flur und fahre mit dem Fahrstuhl ins oberste Stockwerk.

Im Spa-Bereich sehe ich mich um und lausche in die Stille hinein. Es ist weit und breit niemand zu hören und zu sehen. Ich atme erleichtert auf und ziehe in einer Umkleidekabine meine Klamotten aus. Anschließend wickele ich mir mein Handtuch so um, dass meine Brüste und mein Intimbereich bedeckt sind. Auch, wenn niemand hier ist, muss ich ja nicht unbedingt nackt dort reingehen. Es war zwar unwahrscheinlich, aber es könnte immer noch jederzeit jemand unangekündigt reinplatzen.
Schnell schließe ich meine Klamotten weg und betrete die Sauna.
Ich lasse mich auf einer Bank nieder und lehne den Kopf nach hinten. Ich war wirklich viel zu lange nicht mehr in der Sauna...
Gerade habe ich meine Augen geschlossen, als ich plötzlich ein Geräusch höre. Sofort schlage ich die Augen wieder auf und sehe, wie die Tür zur Saunakabine aufgeht und jemand reinkommt. Hektisch ziehe ich mein Handtuch zurecht, als plötzlich eine mir all zu bekannte Stimme erklingt. "Chiara?"
Schnell schaue ich hoch. Erst jetzt erkenne ich, wer vor mir steht und ich erstarre in der Bewegung. "Felix?!"
Er scheint genauso perplex zu sein wie ich. Kurz schauen wir uns verwirrt an, dann lachen wir beide los. "Oh Mann, hast du mich erschreckt", stöhnt er. Er schließt die Tür hinter sich und lässt sich auf einer Bank neben mir nieder. Er trägt ein Handtuch um seine Hüften und grinst mich breit an. „Ich dachte, hier wär niemand mehr."
"Frag mich mal!" Ich atme erleichtert aus und wische mir über die Stirn. Dann erwidere ich sein Grinsen. „Du hast mich mindestens genauso erschreckt! Ich dachte, der berühmte Sauna-Mörder von Stuttgart ist hier und mein letztes Stündlein hat geschlagen."
Felix lacht und schüttelt den Kopf. "Keine Sorge, du bist in Sicherheit." Er lächelt mich an.
„Und, wie war's heute beim Merch? Ist alles gut gegangen?"
Ich nicke. "Ja, war alles super. Deine Fans sind echt total lieb. Gestern habe ich einem Mädchen ein Autogramm von dir geschenkt und sie wäre fast geplatzt vor Freude."
Felix lächelt und nickt ebenfalls. "Ja, das kommt immer super an. Dann hat Nadja dir also den Trick verraten, wie du dich am besten bei ihnen einschleimen kannst, hm?" Er grinst schelmisch und ich boxe ihm gegen die Schulter. "Blödmann."

Eine Weile sitzen wir schweigend so da und richten unsere Blicke auf den Boden vor uns. Dann schaue ich hoch und lächele ihn verlegen an. „Danke übrigens nochmal. Dass du mich mitgenommen hast, meine ich. Es macht wirklich viel mehr Spaß, als ich jemals gedacht hätte."
Felix lächelt ebenfalls und nickt. "Ist doch selbstverständlich. Ich bin wirklich froh, dass du hier bei mir bist und nicht... bei Mario."
Sofort macht sich ein Gefühl in mir breit, das ich nicht genau deuten kann. "Wie... wie meinst du das?"
Felix grinst mich an und rückt ein wenig näher in meine Richtung. "Na, so wie ich's gesagt habe." Langsam nähert sein Mund sich meinem Ohr. "So weiß ich, dass es dir gut geht und ich mir keine Sorgen um dich machen muss. Während meiner letzten Tour hat es mich fast umgebracht, nicht zu wissen, ob Mario dich zuhause gut behandelt oder nicht."
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich blinzele und weiß nicht, was ich sagen soll. Felix kommt mir zuvor und spricht mit einem Lächeln auf den Lippen weiter. „Aber jetzt bist du hier", murmelt er. „Ich hätte es nicht ertragen, dich nochmal alleine in Berlin zurücklassen zu müssen."
Er beugt sich so nah an mich heran, dass unsere Gesichter nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt sind. Sein Mund ist jetzt gefährlich nah an meinem. Ich kann vor Anspannung kaum atmen.
Felix lächelt mich vorsichtig an. Er legt mir langsam eine Hand in den Nacken, schaut mir tief in die Augen und presst seine Lippen auf meine.
Ein elektrisierendes Gefühl fährt mir in die Glieder und ich versteife mich augenblicklich.
Oh mein Gott. Was passiert hier gerade? Was macht er da? Was machen wir hier?!
Felix' Lippen bewegen sich sanft auf meinen und ich spüre, wie mir die Knie weich werden. Allmählich fange ich an, mich ein wenig zu entspannen, doch die Alarmglocken in meinem Kopf ringen so laut, dass ich sie nicht länger ignorieren kann. Aber gleichzeitig... fühlt es sich viel zu gut an, um aufzuhören.
Leise stöhne ich an seinen Lippen auf und er lächelt mich an. Seine Hände vergraben sich tiefer in meinen Haaren und hinterlassen Spuren auf meiner Kopfhaut, die mir eine Gänsehaut bescheren. Schließlich gebe ich nach und strecke ebenfalls meine Hand aus. Ich lege sie an Felix' Oberkörper und streichele vorsichtig mit meinem Daumen über seine trainierte Brust. Sofort spannen seine Muskeln sich unter meiner Hand an.
Wir vertiefen unseren Kuss und werden zärtlicher. Plötzlich spüre ich seine Zunge an meinen Lippen. Kurz zögere ich, bevor ich meine Lippen leicht öffne und seine Zungenspitze sanft mit meiner berühre. Ich warte auf den Moment, in dem mein Unterbewusstsein mir sagt, dass das, was wir gerade tun, nicht richtig ist, doch dieser Moment kommt nicht.
Verdammt, er schmeckt so gut. Warum fühlt sich das so gut an? Es sollte sich nicht so gut anfühlen!
Als ich plötzlich merke, wie sich ein pulsierendes Gefühl zwischen meinen Beinen breit macht, komme ich endlich zur Vernunft. Abrupt löse ich mich von ihm und starre ihn entsetzt an. Felix erwidert meinen Blick, auch in seinem Ausdruck liegt Verwirrung. Dann schüttelt er langsam den Kopf, so, als würde auch er jetzt erst realisieren, was gerade passiert ist.
"Chiara, ich..." Er scheint nach Worten zu ringen und weicht meinem Blick aus. Er schaut überall hin, nur nicht in meine Augen. Schließlich trifft sein Blick wieder meinen. Wir wissen beide nicht, was wir sagen sollen. Eine Million Gedanken spuken mir durch den Kopf und keine davon gibt mir eine Antwort auf die tausend Fragen, die ich in diesem Moment habe.
Er seufzt leise auf. „Tut mir leid, wenn ich... dich überrumpelt habe. Das wollte ich nicht."
Langsam nicke ich. „Ich... schon gut. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", stammele ich und weiche seinem Blick wieder aus. „Aber... ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen."
Ich stehe auf und mache mich eilig auf den Weg zur Tür. Ich spüre, wie Felix meinen Ellbogen berührt und versucht, mich festzuhalten. Ich drehe mich noch ein letztes Mal zu ihm um und werfe ihm ein entschuldigendes Lächeln zu, dann verlasse ich die Sauna ohne ein weiteres Wort.

Midnight Rain (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt