2 - Rot ist die See

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Der Weg war lang... und hart. Eines Tages jedoch hatte sich Jimin den Platz an der Spitze erkämpft. Hinter sich eine Spur aus Verderben. Seine Finger tropfend rot. Blut war sein Thron. Sein Spiegelbild ekelte sich vor ihm. Vor dem Menschen, der er nun war. Aber es war seine einzige Chance auf Respekt. Er war nicht mehr das Unterhaltungsprogramm für einen Haufen grölender Männer. Sie waren seines. Er hatte das Sagen. Er war der Kapitän. Er hatte die Macht.

Die Mannschaft lernte ihm zu gehorchen, lernten ihm zu vertrauen. Alle, die ihm begegneten, tendierten ihn zu unterschätzen. Er war klein.... Auf den ersten Blick wirkte er eher schmächtig. Sanftmütig. Sie blickten auf ihn herab. Als wäre er die Verkörperung von Schwäche. Ihr Eindruck war falsch, fern von jeglicher Realität. Denn letztendlich war er der letzte, der lachte.

Seine Unschuld war schon lange verrottet mit dem Jungen, den sie brachen. Doch wusste er sie zu nutzen. Mit lieblichen Augen und süßlichem Lächeln. Zuletzt verführte er jeden damit. Ob Mann oder Frau. Sie verfielen seiner charmanten Art. Seiner hinterlistigen Art. Er wickelte sie um seinen kleinen Finger. Sobald sie unachtsam wurden, griff er zu. Nahm ihnen alles.

Und sein Spitzname verfolgte ihn weiter. Wurden von Munde zu Munde getragen. Er war noch lange kein berüchtigter Pirat, doch Gerüchte trugen seinen Namen über das Meer. Sirene. Viele verfielen ihm und fast alle endeten im Tod. Gnade war eine Ausnahme. Niemand verdiente sie. Nicht, wenn sie ihm all die Jahre verweigert wurde.

Und wie jeden Tag auch stand er oben auf dem Achterdeck, überblickte die arbeitende Mannschaft. Sein wachendes Auge haftete auf jedem von ihnen, sicherte die Ordnung an Bord. „Wie viele Tage noch?" Sein Navigator blickte von seiner Karte auf. „Was?" Jimin rümpfte die Nase und wandte sich ihm zu. „Wie viele Tage bis wir Land erreichen?"

Er hatte es aufgegeben. Das Leben auf dem Land. Die Chance auf eine Familie. Auf Sesshaftigkeit. Auf Kontinuität. Der Gedanke der Rückkehr war längst aus seinem Kopf gewichen. Er war verloren mit dem naiven Jungen, den er einst in sich trug.

Selten wagte er es, einen Fuß auf festen Untergrund zu setzen. Manchmal wollte er es in Vergessenheit geraten lassen. Dieses Leben. Aber es wäre unfair. Diesem Menschen gegenüber. Die einzige Person, die ihn jemals geliebt hatte. Ihr Bild verwusch in seinen Erinnerungen. Es war zu schmerzhaft an sie zu denken. Die, die er verraten hatte. Die er zurückgelassen hatte. In Einsamkeit. Ein ständiger Begleiter seiner selbst.

„Vier... vielleicht drei, wenn der Wind so bleibt." Doch das Schiff musste ankern. Das Land sicherte ihr Überleben. Näherte sie, bat ihnen Abwechslung. Jimin nickte. Kein weiterer Ton verließ seine Lippen. Er sprach wenig. Keiner an Bord verdiente seine Worte.

Seine von Ringen bedeckten Finger glitten über das glatte Holz der Reling. Die Dschunke war nun seit einigen Jahren sein treuer Begleiter. Der Zweimaster war schlank und wendig. Sie konnten sich mit dem Schiff durch die schwierigsten Gewässer wagen. Es war vielleicht nicht unbedingt für den offenen Kampf geeignet, doch Jimin bevorzugte ohnehin den Nahkampf. Er wollte seinen Opfern in die Augen sehen. Der Tod verdiente ein Gesicht. Und das Leben einen ehrenwerten Abschied. Aus der Ferne erschienen die Menschen bedeutungslos, so als wären sie lediglich ein Spiel.

Jimin stockte. Sein Blick wanderte hinauf zum Himmel. „Er dreht sich." Sein Navigator hob den Kopf. Deutlich verwirrt. „Was?" Jimin wandte sich zu ihm. „Der Wind." Etwas kommt. Er konnte es spüren. Es kribbelte unter seiner Haut. Ein Gefühl. Das Meer, was einst so unergründbar war, fremd und furchteinflößend, war nun ein Teil von ihm. Es hat gerufen und er hat gehört. Jede kleinste Änderung kitzelte seine Instinkte.

Langsam schritt er die einzelnen Stufen hinab zum unteren Deck. Er bahnte sich seinen Weg durch die verschwitzten Körper. Unzählige Augen richteten sich auf ihn. Labten sich an seinem Antlitz. Die grellen Sonnenstrahlten reflektierten sich auf seinem schwarzen Haar, das sanft in sein Gesicht fiel. Wangen rundlich, doch das Kinn markant. Und die Lippen. Weich und so rosig.

Ligeia - VMINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt