#4 Arbeit

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Milo

Mit einem Eimer voll Wasser geweckt zu werden, war von Sierra übertrieben. Grinsend schaute sie zu mir hinab, während ich meinen Arm hob, um ihr den Mittelfinger zu zeigen. In einem harschen Ton befahl sie mir aufzustehen, was ich nur tat, weil mein Bett nass war. Mit einem Seufzen suchte ich in meinem Nachtschrank nach einer Schmerztablette, um mich von den Kopfschmerzen zu befreien.

„Milo!", rief Diego von unten aus nach mir.

Da ich nicht reagierte, rief er noch drei weitere Male nach mir, aber ich war schon längst unter der Dusche, als er nach oben kam. Trotz des Rauschens, des Wassers, konnte ich ganz genau hören, wie er gegen meine Zimmertür klopfte. Nur seine Worte verstand ich nicht, worum ich froh war. Seine Stimme war wie Gift für meine Ohren.

Als ich aus dem Badezimmer kam, stand Diego noch immer vor meiner Zimmertür. Überrascht schaute er mich an, besonders als ich mich an ihm vorbei drängelte. Wie bestellt und nicht abgeholt stand er im Türrahmen und verfolgte jede meiner Bewegungen.

„Kann ich dir helfen?", fragte ich genervt nach. „Du bist zu spät dran", merkte er an. „Ach wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen, als ich komplett nass aufgewacht bin. Hätte Sierra noch Shampoo ins Wasser gemischt, hätte ich mir sogar die Dusche sparen können", gab ich patzig zurück. „Milo", sprach Diego meinen Namen mahnend aus. „Spar dir deine Standpauke oder was auch immer du sagen möchtest", mit meinem Schlüssel, welchen ich mir vom Schreibtisch nahm, lief ich an ihm vorbei.

Sierra rief mir irgendwas zu, aber ich ignorierte es, als ich das Haus verließ. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wollte sie mir eine Standpauke halten, welche sie sich sparen konnte. Die Luft und Wörter sollte sie für etwas anderes verschwenden, dachte ich mir. Da ich zuhause keinen Kaffee getrunken hatte, machte ich noch einen Abstecher bei einem Café, welches sich um die Ecke von der Firma befand. Am Ende kam ich mit fünf Stück raus, welche ich mit einer Getränkehalterung bis zur Firma balancierte.

Mit meinem Fuß klopfte ich gegen die Bürotür von Enrico. Ihm gehörten zwei Etagen, des Firmengebäudes, da am Anfang keine andere Fläche gefunden hatte. Für ihn passte das perfekt, da er ein Lager außerhalb hatte. Nachdem ich herein gebeten wurde, öffnete ich die Tür umständlich.

„Einmal Kaffee", stellte ich einen To Go Becher auf seinem Schreibtisch ab. „Danke", sagte er mit einem Lächeln.

Von der Halterung nahm ich mir zwei weitere Kaffees, die ich zum benachbarten Büro von Sidney und Tizian brachte, welche sich auch bedankten. Mein Cousin freute sich sogar, dass sein Heißgetränk passend überzuckert war. Nach all den Jahren konnte ich noch immer nicht verstehen, warum er seinen Kaffee so süß trank.

„Wo ist Alessandro?", fragte ich, als ich mich bei Enrico auf einem Sessel niederließ. „Zimtzicke!", schrie er nach seinem Ehemann, welcher kurz darauf im Türrahmen stand. „Setz dich, nimm einen Kaffee und erzähl Milo von unserem Entschluss", befahl er ihm. „Sprich weiter so mit mir und wir können uns gleich ein Bett suchen", mit einem Grinsen setzte Alessandro sich neben mich. „Warum ist euch nie etwas peinlich?", jammerte ich.

Natürlich verfielen beide in lautstarkes Lachen, wodurch sie auch Sidney und Tizian anlockten. Wahrscheinlich war mein Gesicht rot angelaufen, als ich ihnen erklärte, warum die beiden lachten. Die zwei schienen sich so fremd zu schämen wie ich es tat, denn der braunhaarige verzog leicht angeekelt seinen Blick, obwohl er solche Sprüche selber oft genug zum Besten gab.

„Milo, du weißt ja, dass Enrico sehr gerne die Meinung seiner Schwester ignoriert, wodurch uns der Entschluss sehr leicht gefallen ist. Du kannst gerne einen Job haben, wenn du dir mit den beiden Idioten ein Büro teilst", am Ende deutete Alessandro auf Sidney und Tizian, die ihn gespielt schockiert anschauten. „Es ist jetzt schon zu klein", beschwerte sich mein Cousin schließlich. „Ihr zieht in den Konferenzraum, der sowieso nie benutzt wird", sagte Enrico. „Du hast mit Sierra gesprochen?", fragte ich unsicher nach. „Fragen, ob es in Ordnung ist, musste ich zumindest machen", antwortete er.

Daran hätte ich denken müssen, bevor ich Enrico nach einem Job gefragt habe. Natürlich war sie dann noch schlechter gelaunt als die letzten Wochen sowieso schon. Flüchtig bedankte ich mich noch, bevor ich das Büro verließ, um zum Fahrstuhl zu gelangen. Die nervige Musik verbesserte meine Stimmung nicht, sondern verschlimmerte sie nur noch mehr. Nachdem ich drei Etagen später ausgestiegen war, steuerte ich sofort das Büro von Sierra an.

Erschrocken schaute sie von ihren Papieren hoch, als ich die Tür aufriss. Die metallrot gefärbten Haare hatte sie in einen Dutt, welcher nur durch einen Bleistift zusammengehalten wurde, gebunden. Den weißen Rollkragenpullover identifizierte ich direkt als meinen. Mit einem Seufzen ließ ich mich auf einen unbequemen Stuhl plumpsen.

„Warum hast du etwas dagegen, dass ich bei Enrico anfangen möchte?", fragte ich gerade heraus. „Du gehörst hier hin", antwortete sie. „Weil es mir ja so viel Spaß macht", lachte ich ironisch auf. „Arbeit macht sowieso keinen Spaß", entgegnete sie, wobei sie ihren Blick wieder auf die Unterlagen richtete. „Bullshit!", knallte meine flache Hand auf den Tisch. „Milo, ich muss arbeiten. Auf deinem Schreibtisch liegen auch noch Anträge, die du durchschauen musst", verwies sie mich indirekt ihres Büros.

***

Den einzigen, den ich am Abend mit meiner Anwesenheit belästigen konnte, war Severin. Wenn er nicht als Türsteher arbeitete, bediente er in einer Bar die Gäste. Genervt schaute er mich an, als ich mich an den Tresen setzte.

„Irgendwann gebe ich dir Hausverbot, damit ich Abends meine Ruhe habe", murrte Severin, nachdem ich mir einen Drink bestellt hatte. „Ach, Severin, dafür hast du mich viel zu sehr lieb", säuselte ich. „Da wäre ich mir nicht so sicher, Minion", er wusste, dass ich diesen Spitznamen nicht sonderlich mochte.

Tizian hatte mir diesen ach so tollen Spitznamen irgendwann verpasst, als wir uns umarmt hatten. Zwischen uns lagen nämlich genau 15cm. Bei meiner Körpergröße von 1,63 Meter war es kein Wunder, dass alle meine Freunde größer waren als ich. Lange hatte ich mich damit unwohl gefühlt, aber durch viele Gespräche kam ich mittlerweile sehr gut damit klar und konnte selber darüber Witze machen. Klein zu sein hatte manchmal auch seine Vorteile.

„Sev, würdest du mich eventuell für eine Nacht beherbergen?", fragte ich vorsichtig nach, da ich bereits mit einem Nein rechnete. „Nein, warum sollte ich das?", hinterfragte er genervt. „Weil wir Freunde sind", nannte ich das offensichtliche. „Trotzdem nein. Ich kann dich bei Tizian absetzen, sofern du kein Taxi nehmen möchtest", bot er mir an, was ich bejahte.

Mir war alles lieber als zuhause zu schlafen, wo sich sowieso nur die Hölle abspielte. Sierra war nämlich noch immer sauer, dass ich nicht mehr bei ihr arbeiten wollte. Ich hatte ihr noch am Mittag alle Anträge, die auf meinem Schreibtisch gelegen hatten, auf ihren Schreibtisch geschmissen. Seitdem war es noch angespannter zwischen uns beiden, was mich eigentlich nicht verwundert hatte. Ehrlich gesagt, hatte ich genau das erwartet.

„Severin, machst du bitte Pause", kam Mike, der Besitzer, der Bar, aus dem Lager. „Meinst du nicht, dass das ein bisschen früh ist?", hinterfragte Severin, nachdem er auf dem Handy die Uhrzeit gecheckt hatte. „Nein, wir machen heute früher zu", antwortete er, wobei er einen auffordernden Blick aufgelegt hatte.

Das Handtuch, welches Severin über der Schulter hatte, schmiss er im perfekten Bogen zum Spülbecken. Wenn es möglich gewesen wäre, dass sich das Handtuch im Flug faltet, wäre das auch noch passiert. In voller Pracht konnte ich ihn betrachten, nachdem er durch die hüfthohe Schwingtür hinter dem Tresen hervor kam.

Obwohl er lieber weite Hosen trug, hatte er sich für eine eng anliegende Jeans entschieden. Als Oberteil hatte er einen schlichten Rollkragenpullover mit einer dünner goldenen Halskette gewählt. Ziemlich angemacht von seinem Erscheinungsbild zog ich mein Lippenpiercing zwischen die Zähne.

Da ich wusste, was Severin vorhatte, folgte ich ihm nach draußen. Durch seine Kollegen im Club hatte er sich das Rauchen während des Arbeitens angewöhnt. Zumindest hatte ich ihn noch nie außerhalb der Arbeit rauchen gesehen, aber es konnte mir egal sein, denn es waren seine Lungen, die er beschädigte. Kräftig zuckte Severin zusammen, als sein Handy anfing zu klingeln.

„Hey kleines... Ich bin in drei Stunden zuhause... Ja, das wäre super... Bis später", das ganze Telefonat lächelte Severin wie ein Honigkuchenpferd. „Wieder in einer Beziehung?", hakte ich neckend nach. „Vielleicht", frech grinste er mich an. „Aber du kannst mir nie und nimmer sagen, dass du für alle Weiber und Typen Gefühle hattest", vermutete ich. „Wenn dem so wäre, wäre ich ja nur noch mit Liebeskummer beschäftigt", lachte er.

Nur ein WunschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt